Um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und langfristig zukunftsfit zu sein, sollten zwei lange Zeit sträflich vernachlässigte Themen in den Fokus rücken: An der Digitalisierung führt ohnehin kein Weg vorbei und auch die Forschung muss in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Der Megatrend der Digitalisierung stand in der Bauwirtschaft lange Zeit auf dem Abstellgleis. Laut einer Umfrage des Bau & Immobilien Reports spielt die Digitalisierung bei rund der Hälfte der Unternehmen derzeit nur eine»eher kleine« oder sogar »sehr kleine« Rolle. »Die zögerliche Umsetzung überrascht vor allem mit Blick auf die Entwicklung der Produktivität«, sagt Kai Stefan Schober, Partner beim Beratungsunternehmen Roland Berger und Autor der Studie »Digitalisierung der Bauwirtschaft«.
In den vergangenen zehn Jahren stieg diese in Deutschland nur um bescheidene vier Prozent. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Wirtschaft verbesserte ihre Produktivität in diesem Zeitraum um elf Prozent, das verarbeitende Gewerbe sogar um 34 Prozent und das produzierende Gewerbe um 27 Prozent. Ähnliches gilt für Österreich. »Die heimische Bauwirtschaft ist noch wenig digital«, erklärt Wilhelm Reismann, Gedankenvater und Mitbegründer der Plattform »Planen.Bauen.Betreiben 4.0 – Arbeit.Wirtschaft.Export«. Wenn sich Unternehmen aus der Baubranche mit der Digitalisierung beschäftigen, dann dreht sich fast alles um das Thema Building Information Modeling. Darunter versteht man die digitale Abbildung aller architektonischen, technischen, physikalischen und funktionalen Eigenschaften eines Bauwerks schon vor Baubeginn in einem zentralen Datenmodell. Dabei werden die Informationen aller Planungsprozesse erfasst, aktualisiert und dokumentiert.
»Mit BIM erstellt der Architekt gemeinsam mit allen Projektbeteiligten ein intelligentes, fünfdimensionales Gebäudemodell, das nicht bloß die räumlichen Dimensionen seines Entwurfes abbildet, sondern die präzise Darstellung sämtlicher relevanter Daten ermöglicht«, erklärt Dieter Hayde, HD Architekten. Wie sehr mit diesem Instrument die Produktivität gesteigert werden kann, zeigt ein aktuelles Projekt der Strabag-Tochter Züblin in Dänemark. Bei der Errichtung eines Multifunktionsgebäudes in Kopenhagen konnten alleine durch die Kollisionsprüfung schon vor Beginn des eigentlichen Bauprozesses 30.000 potenzielle Probleme identifiziert werden, von denen der Großteil noch im virtuellen Modell gelöst werden konnte. Bei diesem Projekt konnte die Strabag nachweisen, dass ein Euro, der in BIM.5D investiert wurde, sechs Euro an Ersparnis brachte.
Aber auch abseits von BIM schlummern für die Baubranche in der Digitalisierung enorme Potenziale. So hat etwa die Porr ihren gesamten Maschinenpark digitalisiert, um durch präventive Wartung signifikante Einsparungen zu erzielen. Auch im Betrieb von Gebäuden wird präventive Wartung künftig eine große Rolle spielen. »Dienstleistungen werden in Zukunft erst dann durchgeführt, wenn tatsächlicher Bedarf besteht«, ist Alexander Redlein, Professor am Institut für Immobilien und Facility Management der TU Wien, überzeugt. Dafür werden mittels intelligenter Sensoren Daten gesammelt und ausgewertet. »Dann müssen etwa auch Toiletten nicht mehr dreimal am Tag gereinigt werden, sondern nur wenn es wirklich nötig ist.«
Die Fortschritte in der Sensorik nutzt auch der Schalungshersteller Doka. Mit Concremote Betonmonitoring wird mittels Sensoren die Betonfestigkeit in Echtzeit gemessen und so der Bauprozess optimiert.
Und auch in das Thema E-Commerce kommt langsam Bewegung. Trockenbauspezialist Knauf hat mit e.knauf ein elektronisches Kundeninformations- und Bestellsystem entwickelt, das Kunden die Möglichkeit bietet, rund um die Uhr Bestellungen aus dem kompletten Produktprogramm zu tätigen. Auch bei Wienerberger steht das Thema E-Commerce ganz oben auf der Agenda. »Die ganze Branche muss sich rasch mit dem Thema E-Commerce auseinandersetzen, um nicht internationalen Anbietern wie Amazon das Spielfeld zu überlassen«, ist Wienerberger-Geschäftsführer Franz Kolnerberger überzeugt. »Die Digitalisierung ist eine Chance, die Zielgruppe noch besser und direkter zu erreichen und gleichzeitig die Auftragsabwicklung noch effizienter zu gestalten.«
Forschungsinitiative Bau
Aber nicht nur bei der Digitalisierung, auch im Bereich der Forschung zählt die Bauwirtschaft nicht unbedingt zu den Musterschülern. Während die F&E-Quote in Österreich branchenübergreifend bei knapp über drei Prozent liegt, erreicht die Bauwirtschaft gerade einmal magere 0,1 Prozent. Das bedeutet, dass bei Umsatzerlösen von rund 40 Milliarden Euro gerade einmal 40 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung fließen. Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder Bestrebungen, diese traurige Bilanz zu verbessern. Zu den erfolgreichsten Maßnahmen zählt die von der Bundesinnung Bau gemeinsam mit der Forschungsförderungsgesellschaft FFG ins Leben gerufene Brancheninitiative Bauwirtschaft »BRA.IN«.
Ziel der von 2006 bis 2009 laufenden Initiative war es, die von der FFG angebotenen Unterstützungsmaßnahmen zu bündeln und neue Impulse für Innovation zu setzen, um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft zu steigern. Tatsächlich konnte nach Projektende nahezu eine Verdoppelung sowohl bei den geförderten FFG-Projekten als auch bei den neuen FFG-Kunden mit Bezug auf die Baubranche festgestellt werden. Dass die Baubranche durch BRA.IN positiv beeinflusst wurde, zeigen auch die aktuellen Statistikzahlen der FFG. Der Anteil an Projekten von der Baubranche gemessen an der gesamten Unternehmensförderung der FFG wurde von 4,4 im Jahr 2006 auf 11,2 Prozent im Jahr 2009 gesteigert. Nach Auslaufen der Initiative kam es zwar wieder zu einem Rückgang, das Niveau liegt aber seither mit rund acht Prozent deutlich über dem von 2005, wodurch auch die nachhaltige Wirkung von BRA.IN belegt wird.
Diesen Erfolg will die FFG jetzt mit der Anfang des Jahres gestarteten Brancheninitiative Bauforschung wiederholen. Ziel ist es abermals, die Forschungsaktivitäten in der Bauwirtschaft deutlich anzukurbeln. Ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Initiative ist der Katalog zur Brancheninitiative, der sowohl die für die Bauwirtschaft wichtigsten FFG-Förderprogramme als auch ein Verzeichnis der baurelevanten heimischen Hochschul- und Forschungsinstitute enthält. Auch ein Initiativenkomitee mit Bauexperten aus Verwaltung, Wirtschaft und Forschung unterstützt die Initiative.
Zur Vorbereitung der Branchenforschungsinitiative hat die KMU Forschung Austria eine Studie zum bauspezifischen Forschungsbedarf erstellt. Dabei wurde ein Bedarf insbesondere bei jenen Innovationen festgestellt, die gleichzeitig qualitätssteigernd und kostensparend wirken, und vier prioritäre Forschungsbereiche identifiziert: Material und Konstruktionen, Innenraum und Wohnen, Organisation und Prozesse, Ressourcen und Energie sowie Immobilien, Wohnraum und Städte.
Die wichtigsten Forschungsfelder der Bauwirtschaft
Material und Konstruktionen
❙ Bauteil- und Baustoffinnovationen
❙ Bauphysikalische Optimierungen
Innenraum und Wohnen
❙ Emissionen und Schadstoffe
❙ Nutzerbehaglichkeit
Ressourcen und Energie
❙ Ressourcenmanagement
❙ Lebenszyklusbetrachtung
❙ Energie- und Umwelttechnik
Organisation und Prozesse
❙ Digitalisierung, Elektronik, IKT-Einsatz
❙ Prozessoptimierung
❙ Neue Geschäftsfelder
❙ Humanressourcen
Immobilien, Wohnraum und Städte
❙ Demografische Entwicklung
❙ Leistbarer Wohnraum
❙ Finanzierungsmodelle