Fassaden sind längst mehr als optische Bestandteile der Gebäude, dementsprechend umfangreich ist die Liste der Innovationen und Forschungsprojekte. Nachhaltigkeit steht im Zentrum der Weiterentwicklung.
In der europäischen Bau- und Immobilienbranche findet derzeit ein Umdenken statt. Im Trend liegen disziplinübergreifend und lebenszyklusorientiert«, erklärt Prof. Helmut Floegl von der Donau-Universität Krems. Die Fassade als Schnittstelle zwischen dem Gebäude und seiner Umgebung hat eine Vielzahl an funktionellen und gestalterischen Aufgaben: Tragwerk, Optik, Wärmedämmung, Feuchte- und Tauwasserschutz, Blitz- und Regenschutz, natürliche Belüftung, Brand- und Schallschutz. Als Konstruktionsweisen stechen Wärmedämmverbundfassaden und vorgehängte hinterlüftete Fassaden hervor. WDVS dominieren noch, v.a. aufgrund ihrer geringeren Erstkosten. Allerdings wird heute der Nachhaltigkeit immer mehr Bedeutung geschenkt, z.B. durch das Bundesvergabegesetz, das Nachhaltigkeitskriterien vorsieht.
»Die Jahre der Stagnation der VHF sind vorbei«, zeigt sich Simon Rümmele, Vorstandsmitglied im Österreichischen Fachverband für hinterlüftete Fassaden, ÖFHF, zufrieden. Christof Pohn, Leiter Business Unit Fassade bei Eternit, ergänzt: »Viele Objekte müssen saniert werden, 5 bis 8 cm starke Styroporplatten sind zu entsorgen. Daher muss bei einer neuen Fassade mehr auf Nachhaltigkeit geachtet werden.« Bei der VHF gibt es ein stetes Wachstum. Neben Ökonomie (s. Studie Donau-Universität Krems) und Ökologie zählt auch der Brandschutz: Vorgehängte hinterlüftete Fassaden können zur Gänze mit nicht brennbaren Baustoffen ausgeführt werden. Der bereits realisierte Anteil dieser Fassaden am gesamten Gebäudebestand beträgt etwa 15 Prozent. VHF-Fassaden werden innerhalb ihres Segments mit über 60 Prozent bereits mehrheitlich bei Renovierungen eingesetzt, zumeist einhergehend mit einer thermischen Gebäudesanierung.
Die Zukunft ist Multi
Georg Bursik, Geschäftsführer von Baumit, bringt es auf den Punkt: »Die Fassade wird zum Multifunktionselement. Durch den Einsatz natürlicher, mineralischer Baustoffe liegt der Fokus auf Schutzfunktion, Temperatur- und Feuchteregulierung – wie beim größten Organ des Menschen, der Haut.« Intelligente Fassaden, also Fassaden, die aktiv auf Veränderungen des Außenklimas reagieren und natürliche Gegebenheiten und Energiequellen wie Sonnenlicht, Sonnenwärme und Nachtkühlung aktiv nutzen, sind laut Bursik ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Energieautarkie, ebenso wichtig seien jedoch Langlebigkeit und Sauberkeit. Bereits heute ist das Aufgabenfeld der Fassade umfassend – Fachleute sehen zusätzliches Potenzial, v.a. im Bereich Energiegewinnung, aber auch bei Belüftung und Klimatisierung.
Prüfungen Der Großteil der Fassadenprüfungen wie Witterungsschutz, Langlebigkeit und Bauphysik wird in Österreich betriebsintern erledigt. Für die Kontrolle des Brandschutzes zeichnet die MA39 in Wien oder das IBS in Linz verantwortlich. Der Trend geht hin zur europäisch technischen Zulassung ETZ (bzw. ETB), damit Fassadenbauteile europaweit eingesetzt werden können |
Für Georg Bursik ist die Grenze des Machbaren und Sinnvollen dagegen fast erreicht. Mehr Beachtung wird künftig Wartung finden. Dazu passend gibt es eine aktuelle Studie der Donau-Universität Krems, die im Auftrag des ÖFHF erstellt wurde. Darin wurden für ein fiktiv errichtetes Wohngebäude die Lebenszykluskosten für vier VHF (großformatige Faserzementplatten, Aluminiumverbundplatten, kaltgeformtes Aluminiumblech, Hochdruck-Schichtpressstoffplatten) und zwei WDVS (EPS-F und Mineralwolle) nach ÖNORM B 1801-4 modelliert und analysiert sowie Folgekosten wie Reinigung, Instandhaltung und Abbruch errechnet. »Bei einer ordentlichen mängelfreien Ausführung ohne starke Verschmutzung und ohne grobe Schadensfälle betragen die Lebenszykluskosten der VHF 184,- bis 313,- Euro/m², jene der WDVS hingegen 263,- bis 320,- Euro/m² Fassade«, erklärt Studienleiter Prof.
Helmut Floegl. Beim Best-Case-Szenario werden über 30 Jahre weder Reinigung noch Instandhaltung angenommen. Natürlich erhöhen sich die variablen Kosten je nach Zahl der Anstriche und sonstigen Arbeiten an der Fassade. Somit amortisieren sich die höheren Errichtungskosten der VHF verglichen mit wartungsintensiveren WDVS noch schneller. »Erstmals ist wissenschaftlich erwiesen, dass vorgehängte hinterlüftete Fassaden verglichen mit den vermeintlich günstigeren WDVS bereits bei kleinen Sanierungen und erst recht bei Betrachtung der Lebenszykluskosten von Gebäuden attraktiver sind«, resümiert Simon Rümmele.
Anders sieht es Georg Bursik. »WDVS mit EPS/Styropor sind ökonomisch und ökologisch unverzichtbar.« Bereits nach weniger als einem Jahr im Einsatz hätten sich der Energieverbrauch und Ausstoß von Treibhausgasen bei der Produktion durch die Einspareffekte ökologisch amortisiert. Styropor ist zwar ein Erdölprodukt, es benötigt aber außerordentlich wenig von dieser wertvollen Ressource. Es besteht zu 98 Prozent aus Luft. Im Verhältnis zum Endprodukt ist die verwendete Rohstoffmenge mit nur zwei Prozent des Volumens also äußerst gering. Mit jedem Liter Erdöl, der zur Herstellung von Styropor verwendet wird, werden rund 100 Liter Heizöl eingespart.
Forschung
Die Lebenszykluskosten-Analyse ist nur eine Studie aus dem breiten Fassaden-Forschungsprogramm. Weitere Projekte: Fassaden können begrünt werden, um das Mikroklima zu korrigieren. In Großstädten sind Akustikfassaden für Wohngebäude eine Lösung. PV eignet sich für die flächenbündige Integration in die Fassade. Im dicht verbauten Gebiet wird auch die Nanobeschichtung bzw. Antigraffitibeschichtung ein zentrales Thema. Besprayte Fassade können mit Hochdruckreinigern einfach gewaschen werden, eine Freude für jeden betroffenen Hausbesitzer, der Opfer geltungssüchtiger Freiluftkünstler wurde.
Nachhaltigkeit und intelligenter Mehrwert ist auch Thema bei Rieder. Sto ist am Forschungsprojekt facade4zeroWaste mit der Vision der Fassade der vierten Generation beteiligt und forscht im Bereich der Bionik. Ergebnis: intelligente Fassadenfarben wie StoColor Dryonic und StoColor Lotusan mit Lotus Effect Technologie. Christof Pohn verweist auf das Forschungsprojekt Grünfassade: »Grünflächen in der Fassade sind früher oder später ein Muss.«