Ziemlich genau vor zehn Jahre wurde in Österreich der Energieausweis eingeführt, um Gebäude miteinander vergleichbar zu machen und für mehr Transparenz unter Gebäudenutzern und -besitzern zu sorgen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes mit dem klangvollen Namen »Eden« wird dem Instrumentarium nun auf den Zahn gefühlt.
Bereits seit Herbst arbeitet das Energy-Design-Team rund um Bernhard Sommer von der Universität für Angewandte Kunst gemeinsam mit der Abteilung Bauphysik und Bauökologie der TU Wien unter der Leitung von Professor Ardeshir Mahdavi an der »Entwicklung einer strukturierten und fehlerminimierten Datenaufbereitung und Dokumentation für Energieausweise«, so die etwas sperrigere Langversion des Projekttitels Eden.
Anlass und Ausgangspunkt für das Projekt war die Feststellung, dass das Fehlen rechtlicher Verbindlichkeiten für lange Zeit zu starken Mängeln bei der Ausstellung von Energieausweisen geführt hat. »Es gab einen großen Spielraum, der es natürlich auch erlaubte, sagen wir sehr zielgerichtet bei der Ausstellung von Energieausweisen vorzugehen«, so Ulrich Pont, Senior Researcher der Abteilung Bauphysik und Bauökologie. Bis zur Novelle des Energieausweisvorlagegesetzes (EAVG) im Jahre 2012, dessen Vorgänger noch eher dürftig ausgefallen war, gab es keinerlei Haftung oder Risiko, das mit der Zertifizierung von Gebäuden verbunden war. Es wurden bis dahin auch aus baurechtlicher Sicht keine Festlegungen darüber getroffen, wer Energieausweise überhaupt ausstellen darf, weshalb von markanten Qualitätsunterschieden zwischen davor und danach erstellten Ausweisen auszugehen ist. Erste Ergebnisse des Forschungsprojektes Eden zeigen aber, dass eine Vergleichbarkeit von Gebäuden aufgrund ihrer Klassifizierung auch heute noch kaum oder nur sehr bedingt möglich ist. Unterschiedliche Praktiken und Annahmen von verschiedenen Ausstellern führen nämlich nach wie vor zu großen Abweichungen.
Schwächen identifizieren
»Wir haben es uns im Rahmen des Projekts zunächst zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, welche Parameter für Abweichungen besonders anfällig sind und ins Gewicht fallen«, so Pont. Erwartungsgemäß stellte sich heraus, dass einen entscheidenden Punkt die Geometrieerfassung darstellt. Diese werde von verschiedenen Ausstellern höchst unterschiedlich erfasst. Während die einen auf der Grundlage von Excel Sheets berechnen und zum Teil grob schätzen, erfassen andere die dreidimensionale Geometrie genauestens über CAD- oder BIM-Tools, natürlich mit einem entsprechend ungleichen Ergebnis.
Viel Raum für Interpretation beinhaltet außerdem das Thema Verschattung. Auch hier fehlen verbindliche Angaben darüber, wie detailliert oder vereinfachend vorgegangen werden soll. Stark vereinfacht wird bei der Berechnung von einem bestimmten Verschattungsgrad für alle Verglasungen ausgegangen, während bei detaillierter Betrachtung die Verschattung der Außenhülle durch umgebende Gebäude oder Bäume berücksichtigt wird, was nicht nur für jede Ausrichtung, sondern auch für jedes Geschoß zu anderen Werten führt. Eine weitere und schwerwiegende Ursache für Differenzen bilden die sogenannten Default-Werte. Nicht immer ist es möglich, mit einem vernünftigen wirtschaftlichen Aufwand alle nötigen Daten zu erheben, die für die Ausstellung des Energieausweises nötig sind.
Das Darstellen von schichtartigen Aufbauten in Plänen ist erst seit etwa den Siebzigern üblich. Bei Gebäuden aus früheren Epochen ist man häufig auf Mutmaßungen angewiesen. Da sich auch aus vagen Informationen wie »verputztes Mauerwerk« keine thermischen Kennwerte ableiten lassen, gibt es für solche Fälle bei der Berechnung des Energieausweises Default-Werte, die sich aus den Mindeststandards der jeweiligen Zeit, beziehungsweise ab Einführung des U-Wertes, aus den Mindestanforderungen an diesen ableiten. »Bei einem Gebäude aus dem Jahr 1885 kann es aber durchaus sein, dass die Berechnung auf der Grundlage des Default-Werts zu einer Klasse C oder D führt, das Gebäude in Realität aber Klasse B entspricht«, so der junge »Senior« Scientist der TU Wien.
Offene Fragen
Ins Skurrile kippt das Ganze spätestens dann, wenn man bedenkt, dass aufgrund der österreichspezifischen Situation das Baurecht in jedem Bundesland unterschiedlich ist und somit auch frühere Mindestanforderungen an den U-Wert voneinander abweichen können. »Das bedeutet, dass ein und dasselbe Gebäude in einem anderen Bundesland unter Umständen aufgrund des abweichenden Default-Wertes anders klassifiziert würde, was bemerkenswert ist, zumal die Energieklasse zum Teil auch als Grundlage für Landesförderungen zu Sanierungen herangezogen wird. In den einzelnen Bundesländern könnte dieser Faktor ja noch richtig berücksichtigt werden, aber es gibt ja auch eine Bundesförderung für thermische Ertüchtigungen«, so Pont. Der Frage, ob es hier ein Potenzial dafür gibt, Gebäudebesitzer mit denselben Voraussetzungen unter Umständen ungleich zu gewichten, wird laut Pont im Rahmen des Forschungsprojektes noch im Detail nachgegangen.
Ernüchterndes Fazit
Zirka auf halbem Wege des Projekts »Eden« angelangt lautet das Urteil von Ulrich Pont: »Der Energieausweis an sich ist eine edle Intention und auch das Berechnungsverfahren, das bis zu einem gewissen Grad von der EU vorgegeben und in Österreich adaptiert und weiterentwickelt wurde, ist gut. Das große Defizit ist jedoch, dass es durch die Bank an einer Dokumentation fehlt, der entnommen werden könnte, von welchen Annahmen ausgegangen wurde und welches Verfahren zur Anwendung kam, um es damit jedem zu ermöglichen, mit demselben Werkzeug zum selben Ergebnis zu kommen. Unsere Zielsetzung ist es, durch diese Forschungsarbeit ein Gefühl dafür zu bekommen, wo die Hauptursachen für grobe Abweichungen sind. Dann könnten wir Zertifizierer darauf aufmerksam machen, welche Dinge besonders detailliert betrachtet und dokumentiert werden müssen, um Ergebnisse zu erzielen, die tatsächlich miteinander vergleichbar sind. Erst das würde zu mehr Transparenz führen, was ja der ursprüngliche Gedanke hinter dem Instrumentarium Energieausweis gewesen ist.«