Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Wohnbau-Experte Wolfgang Amann vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen über Stärken und Schwächen der Wohnbauförderung, die Kritik an der neuen Wohnbauinvestitionsbank und die Gefahr, die von der aktuellen Sanierungsmüdigkeit ausgeht.
Report: Durch den starken Zuzug von außen steigt in Wien der Druck auf den Wohnungsmarkt. Droht eine Wohnungsnot?
Wolfgang Amann: Nein, eine akute Wohnungsnot sehe ich nicht. Die Neubauraten sind seit 2012 massiv in die Höhe gegangen, sie hinken aber hinterher. Das Problem ist, dass während der Nuller-Jahre signifikant zu wenig gebaut wurde. Das liegt unter anderem daran, dass in dieser Zeit die Wohnbauförderung drastisch zurückgefahren wurde, weil es in den Jahren davor einen Angebotsüberhang gab. Seither sind die Raten aber deutlich in die Höhe gegangen. 2015 waren es in Wien unserer Schätzung nach rund 13.000 baubewilligte Wohnungen. Das liegt auch daran, dass der private, frei finanzierte Wohnbau seit 2009 an Bedeutung gewonnen hat.
Report: Wie ist die Lage in den anderen Bundesländern?
Amann: Laut unseren Erhebungen haben wir in den meisten anderen Bundesländern eine relativ ausgewogene Angebotssituation. Es wird also in etwa so viel gebaut, wie auch Bedarf besteht.
Report: Die Statistik ist das eine, aber wird auch dort gebaut, wo der tatsächliche Bedarf besteht?
Amann: Da gibt es eine gewisse Schwäche. In den Hauptstädten ist die Nachfrage fast durchgehend größer als das Angebot. Es ist richtig, dass in vielen strukturschwachen Regionen mit Mitteln der Wohn-bauförderung versucht wird, Regionalpolitik zu betreiben. Mit neuen Wohnungen wird versucht, die jungen Menschen in der Region zu halten. Das gelingt manchmal, in der Regel geht es aber schief. Denn wenn es keine Jobs gibt, ziehen die Menschen in die Städte.
Report: Kritik gibt es auch immer wieder an der Eigenheimförderung, die zur Verhüttelung führt und den Pendlerverkehr in die Städte drastisch ansteigen lässt. Ist die Eigenheimförderung noch zeitgemäß?
Amann: Die Eigenheimförderung wird in großer Breite hinterfragt. Aber aus meiner Sicht ist es durchaus sinnvoll, die Förderung im Eigenheimbereich aufrecht zu erhalten, gleichzeitig aber die Lenkungseffekte zu verstärken. Das betrifft insbesondere den Flächenverbrauch. Mehr als 500 Quadratmeter Grundstücksfläche sollten ebenso wenig gefördert werden wie mehr als 130 Quadratmeter Wohnfläche.
Report: In den aktuell laufenden Finanzausgleichsverhandlungen geht es natürlich auch wieder um die Wohnbauförderung. Wenn Sie die Wohnbauförderung von Grund auf neu gestalten könnten: Wie würde diese aussehen?
Amann: Ich denke, es geht gar nicht darum, die Wohnbauförderung von Grund auf neu zu gestalten. Denn die Performance ist gut. Am wichtigsten ist es, die Wohnbauförderung als Instrument schlichtweg zu erhalten. Denn müsste man sie neu implementieren, bestünde keine Chance auf Durchsetzung. Zu den größten Stärken zählt die vielfältige Wirkungsweise der Wohnbauförderung. Sie ist sozialpolitisch, wirtschaftspolitisch, umweltpolitisch und regionalpolitisch nutzbar. Es gibt aber sicher einige Stellschrauben, an denen man drehen kann, um die Wohnbauförderung zu verbessern. Im Eigenheimbereich wäre eine stärkere Bindung an den Bodenverbrauch dringend angeraten. Denn es ist unbestritten, dass die Wohnbauförderung einen nicht unwesentlichen Anteil an der Verhüttelung trägt. Diese Effekte könnten reduziert werden.
Zudem sollte die preisdämpfende Wirkung des geförderten Wohnbaus auf den privaten Sektor auch für den Eigentumsbereich nutzbar gemacht werden. Wenn Wohnungseigentum wieder systematisch in den Fokus der Förderung rücken würde, würde dies marktregulierende Auswirkungen haben.
"Es geht nicht darum, möglichst viel Geld in die Wohnbauförderung zu stecken, sondern große qualitative und quantitative Effekte zu erzielen." |
Report: Welches Bundesland hat heute aus Ihrer Sicht das beste und effektivste Fördermodell?
Amann: Niederösterreich arbeitet sehr stark mit Garantien und Annuitätenzuschüssen und hat damit sicher eine wegweisende Neugestaltung seiner großvolumigen Förderung gemacht. In dem neuen System wird das Risiko für Kapitalmarktschwankungen vom Land getragen. Das hat zur Folge, dass beim derzeitigen Zinsniveau der Förderaufwand sehr niedrig ist. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Förderinstrumente stechen sicher Vorarl-berg und Tirol hervor, die praktisch nie Darlehensforderungen verkauft haben. Allgemein ist festzuhalten, dass die Länder wirklich viel tun. Und zwar alle Länder. 2015 hatten wir einen absoluten Höchststand an Ausgaben im Rahmen der Wohnbauförderung.
Report: Verglichen mit den ehemaligen Bundeszuschüssen: Wie hoch sind die Ausgaben der Länder für die Wohnbauförderung heute?
Amann: In Summe aller Bundesländer haben wir Landesmittel, abzüglich der Rückflüsse aus aushaftenden Darlehen, die ungefähr in der Größenordnung der ehemaligen Zweckbindung liegen. Es geht aber nicht darum, möglichst viel Geld in den Wohnbau zu stecken, sondern große qualitative und quantitative Effekte zu erzielen. Und in Sachen Produktivität ist schon einiges passiert.
Report: Wie groß ist dennoch die Gefahr, dass die Bundeswohnbauoffensive die Wohnbauförderung der Länder substitutiert?
Amann: In die Rahmenbedingungen der Wohnbauoffensive ist sehr viel Hirnschmalz geflossen. Vor allem dieser Aspekt wurde sehr intensiv diskutiert. Man hat auch Regelungen gefunden, die genau das verhindern sollen. Wenn die Länder Gelder der neuen Wohnbauinvestitionsbank in Anspruch nehmen wollen, müssen sie gesonderte Förderungsbestimmungen erlassen. Es wird sehr darauf geachtet, dass es zu keiner Substitution kommt. Ich bin zuversichtlich, dass das auch gelingen wird. Man muss aber zugeben, dass der Kontrollmechanismus eher ein politischer ist als ein rechnerischer.
Report: Heftig kritisiert wurde die Installation der Wohnbauinvestitionsbank WBIB wegen vermeintlicher Doppelgleisigkeit. Wie sinnvoll ist die WBIB aus Ihrer Sicht?
Amann: Die Länder waren von der WBIB tatsächlich nicht begeistert. Das liegt daran, dass aus ihrer Sicht Wohn-bauförderung Landessache ist. Die Initiative des Bundes ist aber sicher richtig. Man hat den Ländern die Rute ins Fenster gestellt, um die konstruktive Weiterentwicklung der Wohnbauförderung sicherzustellen.
Report: Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dass Wohnbau und Wohnbauförderung Landessache sind?
Amann: Das ist eine gute Frage. Österreich hat sich für ein föderales System entschieden. Ob das für ein Land mit 8,5 Millionen Menschen die beste Lösung ist, ist eine Grundsatzfrage. Vorteile sind sicher die Bürgernähe, aber in Bereichen wie dem Baurecht bereitet der Föderalismus sicher Probleme. Bei der Wohnbauförderung sehe ich das Problem nicht so sehr. Da sehe ich den Vorteil des Systemwettbewerbs zwischen den Ländern bei der Entwicklung neuer Instrumente. Unterm Strich denke ich dass der Föderalismus bei der Wohnbauförderung positive Auswirkungen hat.
»Die preisdämpfende Wirkung der Wohnbauförderung sollte auch im Eigentumsbereich genutzt werden.« |
Report: Der Sanierscheck wurde deutlich gekürzt, von der immer wieder kolportierten 3%-Marke ist Österreich weit entfernt. Wie ist aktuell die Sanierungstätigkeit im Land zu bewerten?
Amann: Im Rahmen des Sanierungstages 2016 hat die französische Energieexpertin Yamina Saheb den Satz gesagt: »Europa ist gebaut, jetzt gilt es, den Bestand in einen energetischen Zustand zu bringen, um die Paris-Ziele zu erreichen.« In Österreich ist von dieser Sichtweise nicht viel vorhanden. Der Fokus liegt eindeutig auf dem Neubau. Bei umfassenden energetischen Sanierungen haben wir praktisch eine Halbierung der Sanierungsrate seit 2010. Das ist eine alarmierende Entwicklung.
Dafür gibt’s natürlich Gründe wie das milde Wetter und die niedrigen Energiekosten. Langfristig ist es aber von großer Bedeutung, eine Trendwende herbeizuführen, denn wir müssen davon ausgehen, dass von europäischer Seite in absehbarer Zeit sehr entschlossene Maßnahmen gesetzt werden, um den Gebäudebestand emissionsneutral zu machen. Ich gehe davon aus, dass das Regelwerk binnen Jahresfrist neu aufgestellt wird. Das betrifft aber nicht nur die Sanierungsförderung. Wir werden nicht umhin kommen, den wohnrechtlichen und vielleicht sogar den ordnungsrechtlichen Bereich anzupassen.
Report: Wie soll diese Anpassung aussehen?
Amann: Es ist bekannt, welche Maßnahmen die größten Effekte hätten. Im Bereich der Eigentumswohnungen müsste in Anlehnung an den Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag der Gemeinnützigen eine dispositive Mindestrücklage eingeführt werden. Was es braucht, ist eine Umkehr der Beweislast: Es soll nicht eine Mehrheit für die Erhöhung der Mindestrücklage gesucht werden, sondern eine Mehrheit dagegen.
Ein großer Brocken ist der private Mietwohnungsbereich. Ich halte es für völlig anachronistisch, dass der bauliche und energetische Zustand eines Gebäudes praktisch nicht in die zulässige Mietenhöhe einfließt. Ich finde überhaupt, dass ein viel zu großer Teil des privaten Mietwohnungsbestandes mietenreguliert ist. Der Markt hätte da viel mehr Möglichkeiten. Die derzeitige Regulierung führt nämlich dazu, dass der Anreiz sehr groß ist, Mietwohnungen zu parifizieren und mit gutem Gewinn abzuverkaufen. Damit wird der Bestand an Mietwohnungen weiter eingeschränkt.
Report: Sehen Sie in diesem Bereich politische Bewegung?
Amann: Eigentlich nicht, obwohl das Thema sogar im Regierungsprogramm steht. Aber mit der WBIB und der Reform des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes ist eine ansehnliche Wohnrechtsreform geglückt. Damit ist das Minimum an Wohnrechtsreform in dieser Legislaturperiode abgedeckt.
Report: Im Zuge der Flüchtlingsdebatte werden auch schnell realisierbare Sofortprogramme oder temporäre Wohnmöglichkeiten diskutiert. Die einen sehen darin eine sinnvolle Übergangslösung, für andere wird damit der Weg für zukünftige Ghettos und soziale Brennpunkte geebnet. Wie sehen Sie die Diskussion?
Amann: Auch die angedachten temporären und schnell umsetzbaren Lösungen etwa in Holzbauweisen sind nichts, was man in fünf Jahren wieder entfernt. Wir müssen uns also vor Augen halten, dass wir die Folgen dessen, was jetzt gebaut wird, über Jahrzehnte zu tragen haben. Bei einer allfälligen Reduktion der Standards muss man also sehr vorsichtig sein.
Es braucht auch politische Instrumente, um Asylwerber und Asylberechtigte über das gesamte Bundesgebiet aufzuteilen und auch längerfristig im ländlichen Raum zu halten. Denn sonst würde ein Großteil in die Ballungsräume strömen. Die Herausforderung ist leichter zu bewältigen, wenn sie geteilt wird.