Donnerstag, Juli 04, 2024

Für den Bau & Immobilien Report hat Marktforscher Andreas Kreutzer exklusiv die Ergebnisse von 89 Markt- und Wettbewerbsstudien analysiert und die Bundesländer identifiziert, die die meisten Umsätze im Bereich Bauen und Einrichten erzielen (siehe voherige Seite). Im Interview interpretiert er die Ergebnisse, warnt vor einem weiteren Verlust von Entscheidungskompetenz und erklärt, warum sich viele Segmente ein Beispiel an der Fensterbranche nehmen sollten.

Report: Was lässt sich aus Ihrer Sicht aus den Zahlen dieser Erhebung herauslesen?

Andreas Kreutzer: Man kann aus diesen Ergebnissen die Wichtigkeit der Bundesländer hinsichtlich der Standorte herauslesen. Und zwar nicht bezogen auf die Mitarbeiter oder Produktion, sondern in Bezug auf die Vertriebsentscheidungen. Das ist insofern relevant, weil es ein zentrales Thema der Standortpolitik ist, die Entscheidungskompetenz nach Öster­reich zu holen oder hier zu behalten.

Report: Oberösterreich und Nieder­österreich sind sehr stark, Wien ist ebenso weit abgeschlagen wie auch das Industrieland Steiermark. Wie überraschend waren für Sie die Ergebnisse?

Kreutzer: Eigentlich nicht sehr überraschend. Man bekommt im Laufe der Jahre ein Gespür dafür, wo die Umsätze kumuliert werden.

Report: Was macht die Stärke Ober­österreichs aus?

Kreutzer: Es sind vor allem zwei Marktsegmenten, in denen Oberöster­reich sehr stark ist. Oberösterreich ist führend bei Bauelementen wie Fenstern, Türen oder Toren und ist im Einrichtungsbereich sehr stark. Oberösterreich ist mit Herstellern wie DAN, der Nobia-Gruppe mit den Marken EWE und FM, dazu Pols­ter- und Matratzenherstellern auch das Möbelland Österreichs. Und das sind jeweils Riesenmärkte.

Report: Wo sehen Sie den Grund für diese Konzentration?

Kreutzer: Solche Beispiele gibt es in Österreich häufig. Eine starke auch regionale Konkurrenzsituation kann ungemein beflügelnd sein. Außerdem kommt es über die Jahre durch Mitarbeiterwechsel zu einer gegenseitigen Befruchtung. Das mag für das einzelne Unternehmen manchmal schmerzhaft sein, für die Branche ist das aber eine durchaus positive Entwickung. Das entspricht ja auch dem Cluster-Gedanken. Es gab so viele Versuche, künstlich Cluster zu schaffen wie etwa den Automobil-Cluster in der Steiermark. In Ober­österreich haben sich diese Cluster auf evolutionäre Weise gebildet.

Report: Und warum ist Nieder­österreich so stark?

Kreutzer: Auch in Niederöster­reich gibt es zwei sehr starke Segmente. Das sind vor allem die Bauchemie und der Fertigbau. Dazu kommt, dass Niederösterreich schon für sich ein großer Markt ist und dann auch noch Wien umgibt. Das ist vor allem bei Produkten relevant, bei denen kurze Transportwege wichtig sind wie etwa bei Transportbeton. In Niederösterreich hat man ganz einfach einen sehr großen Markt direkt vor der Haustür. Bei Produkten mit einer höheren Wertschöpfung kann man auch längere Transportwege in Kauf nehmen. Das sieht man sehr gut im Bereich der Gebäudetechnik, wo die Vertriebsentscheidungen zu einem nicht unwesentlichen Teil sogar im Ausland fallen.

Report: Wird sich daran in Zukunft etwas ändern?

Kreutzer: Ich denke nicht, eher im Gegenteil. Es wird eher zu einer Entwicklung wie im Bereich der Fast Moving Consumer Goods kommen. Da gibt es große internationale Konzerne, die die Anzahl an Produktionsstätten und Vertriebsniederlassungen immer weiter zurückfahren. Dazu wird es auch im baustoffaffinen Bereich kommen. Dort, wo es internationale Anbieter gibt, wird Österreich in vielen Fällen Teil einer größeren Region wie der DACH-Region sein. Die Entscheidungskompetenzen wandern damit ab. Diese Entwicklung wird auch durch die Konzentration im Baustoffhandel befeuert. Wenn es nur noch wenige Ansprechpartner gibt, dann brauch ich keine eigene Vertriebszentrale.

Report: Was kann man gegen diese Entwicklung tun?

Kreutzer: Das ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Aber ganz wichtig ist das Thema Innovation, und zwar auf Produkt- und auf Prozessebene. Und man muss sich noch viel mehr Gedanken machen über Vertriebskonzepte. Man muss sich die Frage stellen, wie Produkte in Zukunft verkauft werden. Ein gutes Beispiel ist die heimische Fensterindustrie, die in allen Belangen weltweit führend ist. Wer hätte noch vor 20 Jahren gedacht, dass ein Produkt wie ein Fenster einmal in Showrooms gezeigt wird, wo das Fenster zelebriert oder in Flagshipstores verkauft wird? Das ist eine Entwicklung, die jetzt auch auf Deutschland übergreift. Über kurz oder lang werden auch andere Produktgruppen nachziehen, vielleicht nicht bei Dämmstoffen, aber warum nicht beim gesamten Fassadensystem? Wir werden in Zukunft viel stärker in Systemen denken müssen. Das entspricht auch den Vorgaben aus Brüssel. Und wenn diese Gedankenarbeit aus Österreich kommt, wenn man das Thema Bauen vorausdenkt, dann stärkt das langfristig den Standort. Das machen einige Unternehmen schon sehr gut, andere weniger, die jammern lieber, dass alles schlecht ist.

Report: Wien, aber auch die Steiermark, Tirol und Vorarlberg schneiden im Vergleich zum Bruttoregionalprodukt schlecht ab. Warum?

Kreutzer: Das liegt ganz einfach daran, dass hier weniger oft Vertriebsentscheidungen getroffen werden. So gibt es zwar in der Steiermark einige Produktionsstätten, aber nur wenig Vertriebszentralen. Das gilt etwa für wichtige Player aus der Trockenbaubranche wie Rigips oder Knauf. 

Report: Warum?

Kreutzer: Viele steirische Betriebe wurden übernommen, von Unternehmen aus dem Ausland oder aus anderen Bundesländern. Damit haben die Steirer in den letzten 20 Jahren zwar nur wenig an Produktionskraft, aber viel an Entscheidungskompetenz verloren. Das gilt auch für Großunternehmen anderer Branchen wie etwa Magna. Produziert wird in der Steiermark, aber die Entscheidungen fallen in Niederösterreich. 

Report: Warum kommt auch Wien nur relativ schlecht weg?
Kreutzer: Das liegt daran, dass wir im Bereich Bauen und Wohnen schon noch einen sehr hohen Anteil an österreichischer Produktion haben. Und in den überwiegenden Fällen sind Produktion, Geschäftsführung und Vertrieb immer noch an einem Standort konzentriert und damit fällt Wien als möglicher Standort meist aus. Wien hat dort eine Bedeutung, wo die Wertschöpfung hoch ist. In Bereichen wie der Gebäudetechnik, wo anderswo produziert wird, aber in Wien die Vertriebsentscheidungen fallen.

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