Mittwoch, November 20, 2024
Wenn Jakob Nielsen über Webseiten, Internet-Handys und Online-Händler herzieht, kann er sich einer gespannten Zuhörerschaft gewiss sein: Firmen zahlen ihm 10.000 Dollar am Tag, damit er ihre Produkte kritisiert.

Der gebürtige Däne ist Usability-Experte und beschäftigt sich bereits seit Jahren mit der Interaktion Mensch - Maschine. Mensch, das sind in seinem Fall unbedarfte User, und Maschine: von Handys über Handhelds hin zu Websites.

Besonders das Internet hat es ihm angetan. Er untersucht die Funktionalität von Websites - aber auch der Geräte, die die Betrachtung erst ermöglichen. Hier hat er sich vor allem auf mobile Devices eingeschworen - und stellt ihnen meist kein gutes Zeugnis aus. "Das Handy ist doch absolut ungeeignet, Informationen weiterzugeben. Eine kleine, mickrige Tastatur, ein ebensolches Display - das widerspricht jeglichen Grundsätzen der Usability."

Die Form werde vom Abstand Mund/Ohr bestimmt und nicht von benutzerfreundlichen Richtlinien. Im Zuge des mobilen Internetzugangs, der zunehmenden Vernetzung und der steigenden Bedeutung d Visualisierung von Daten gehört für ihn das Telefon zum alten Eisen. "Das gute alte Telefon hat uns mehr als hundert Jahre lang gute Dienste geleistet. Nun ist es aber wirklich Zeit für etwas Neues", proklamiert Nielsen.

Das Tor zur Außenwelt ist nicht mehr der Hörer, sondern der Bildschirm. "Der Bildschirm ist in Wahrheit die wertvollste Immobilie dieses Planeten", legt er den Wert von Information dar. Der Bildschirm ist die einzige Auffahrt zum Datenhighway - zur Zeit werden die Auffahrten allerdings immer enger: Handhelds und Handys versuchen, Information auf winzige Displays zu pressen. Das Handy ist für Nielsen ohnehin Urgestein - er sagt den Mobiltelefonen ein Ende à la Minitel voraus.

Minitel, Frankreichs BTX-ähnliches Onlinesystem der Achtziger und frühen Neunziger, hatte zu seiner Blütezeit mehrere Millionen Benutzer und war sogar der größte Online-Dienst der Welt. Trotz der großen Verbreitung ging das System letztlich an einer Krankheit zugrunde: mangelnde Usability. Die Bildschirme waren klein, die Tastatur wackelig, übertragungsgeschwindigkeit lähmend. "Ganz wie bei den heutigen WAP-Handys", gibt Nielsen zu bedenken.

WAP ist ein rotes Tuch für den Usability-Guru. In einem Test, den er in London mit Freiwilligen über mehrere Tage durchführte, wurden die User aufgefordert, sich mit WAP vertraut zu machen und unterschiedlichste Dienste zu verwenden. Nach Ablauf der Tests, nach denen die Benutzer durchwegs große Erfahrungen mit WAP-Diensten gewonnen hatten, wollten 70 Prozent der User die Dienste nicht mehr weiterbenutzen - nicht einmal geschenkt. "WAP ist derart kompliziert zu benutzen, dass es nicht etwas darstellt, was die User jeden Tag freiwillig verwenden würden. Wäre WAP fünf Jahre früher auf den Markt gekommen, würde es vielleicht heute langsam Erfolg haben."

Feldstudien sind Nielsens Spezialgebiet. Kurz vor Weihnachten hat er sich Dutzende E-Commerce-Sites näher angesehen. Zusammen mit Partnern seiner Firma Nielsen Norman Group hat er auf seiner virtuellen Shoppingtour vernichtende Kritiken ausgestellt. Bei den meisten Sites kamen die durchwegs web-erfahrenen Personen nicht einmal zum Bezahlen - sei es, dass Fragen offen blieben, der Einkaufskorb nicht zu finden war oder keine Produktsuche integriert war. Boston Consulting erhob gar, dass bis zu zwei Drittel der gefüllten Online-Einkaufskörbe noch vor dem Auschecken virtuell stehen gelassen werden, weil irgendwann während der Einkaufstour Komplikationen auftreten. Das bedeutet hochgerechnet verlorene Umsätze in der Höhe von 15 Milliarden Dollar. Jährlich.

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