Freitag, Februar 07, 2025

Wer online ist, steht unter Dauerbeobachtung. Industriespionage ist im »Krieg gegen den Terror« aber kein Bug, sondern ein bislang übersehenes Feature.

Dass Emails so privat sind wie Postkarten, ist eine altbekannte Weisheit. Dass besonders Social-Media-Plattformen wie Face­book öffentlich sind und ihre Nutzer bis ins Privateste öffentlich durchleuchtbar machen, wird sogar schon Volksschülern eingebläut. Dass das Internet kein »rechtsfreier Raum« ist und man als Nutzer im Regelfall keinesfalls so anonym ist, wie man alleine vor seinem Rechner glauben könnte, ist ebenso ein alter Hut. Vielleicht ist es das diffuse Bewusstsein um all diese Warnungen, das dumpfe theoretische Halbwissen um all die aus »CSI« und anderen Hightech-Thrillern bekannte Trickkiste all der »guten« Verbrecherjäger und Terrorismusbekämpfer, das zur öffentlichen Lethargie angesichts des größten Skandals beiträgt, seit es die weltweite Vernetzung gibt.

Dabei sind die Auswirkungen der tröpfchenweise, aber noch keinesfalls umfassend aufgedeckten Überwachungs­ praktiken der US- und britischen Geheimdienste eigentlich gesellschaftspolitischer Sprengstoff. Das Netz, von euphorischen Verfechtern bislang stets als Paradeinstrument von Offenheit und Demokratie verklärt, ist in den letzten Jahren unbemerkt zu einem Überwachungsinstrument geworden, das George Orwells Dystopie »1984« nachgerade naiv und harmlos erscheinen lässt. Die ostdeutsche Stasi verfügte niemals über derart lückenlose Akten über ihre gefährlichsten »Staatsfeinde«, wie 2013 von jedem einzelnen Internetbenutzer auf Knopfdruck bei NSA und Konsorten abrufbar sind. Das ist nicht nur demokratiepolitisch katastrophal, sondern zerstört im Grunde auch die Basis der globalen Marktwirtschaft, die sich jeder Vertraulichkeit in ihrer Kommunikation mit Geschäftspartnern beraubt sehen müsste – wenn, ja wenn die Erkenntnis, dass in diesem systematisch mit Hintertüren und Lauschposten versehenen Netz Industriespionage nicht ein Bug, sondern ein Feature ist, schon weiter durchgesickert wäre.

Handel mit Feinden

Es wäre höchst an der Zeit, sich diese de facto in die Luft gesprengte Vertrauensbasis eindringlich vor Augen zu führen. Denn US- und EU-Verhandler feilschen bis vor kurzem in einem weiteren Anlauf um eine Erweiterung der Handelspartnerschaft. Das geheim verhandelte, eben erst von der EU auf Eis gelegte Freihandelsabkommen TTIP sollte bekanntlich einige, auch demokratische Handelshürden zwischen den USA und Europa beseitigen. Abgesehen von den altbekannten, schon vom gescheiterten Vorgänger ACTA bekannten skandalösen Aushebelungen demokratischer und nationalstaatlicher Souveränität aber müsste doch eigentlich der Elefant im Raum Thema sein: Wie soll man internationalen Wirtschaftspartnern vertrauen können, die zugleich globale erbitterte Konkurrenten sind, wenn deren Schutzmächte de facto alle Möglichkeiten zur Wirtschaftsspionage in nicht für möglich gehaltenem Ausmaß besitzen?

Der Abzug europäischer Unternehmen aus US-amerikanischen Serverstandorten ist nur ein kläglich ineffizienter Schutz gegenüber einem großen Bruder, der im Namen der Terrorismusbekämpfung universell jeden unter Generalverdacht stellt. Dass die so bequem zur Verfügung stehen­ den Informationen tatsächlich nur im diffusen »Krieg gegen den Terror« verwendet werden, wurde erst jüngst anlässlich der Abhörung von US-Anwälten, die den Handelspartner Indonesien in heiklen Handelsstreitigkeiten mit dem US-Verbündeten Australien vertreten sollten, als Lüge ent­larvt. Der Vorwurf der Wirtschaftsspionage von ganz oben lässt sich somit eigentlich kaum mehr entkräften.

Es ist ein Argument, das eigentlich auch den ansonsten in den Vereinigten Staaten so glühend begeisterten Anhängern des freien Marktes einleuchten sollte: Unter totaler staatlicher Überwachung kann keine freie Marktwirtschaft entstehen – nur Oligopole und totalitäre Aristokratien. Bizarre Pointe: Vor wenigen Jahren noch lebte die Hoffnung, durch das Netz und freie Marktwirtschaft würden starre Einparteiendiktaturen wie das große kommunistische China demokratisiert. Das Gegenteil wird gerade Wirklichkeit. Es scheint, als würde auch die vermeintlich »freie westliche Welt« auf das Modell China zusteuern. Es wird Zeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

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