Mit dem Aus von Google Reader wird vielen Internetnutzern bewusst, dass »ihr« Web eigentlich US-Konzernen gehört.
Das Internet ist mittlerweile fixer und unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens großer Bevölkerungsgruppen. Wir vernetzen uns mit Freunden und Kollegen auf Facebook, zeigen unsere Urlaubsfotos auf Picasa, Flickr oder Instagram, nutzen Googles Map-, Email- oder Clouddienste und mikrobloggen unsere Befindlichkeit per Tweets an jeden, der zuhören will. Es ist verführerisch einfach, diese Infrastrukturen als selbstverständlich anzusehen: Hier sind die digitalen Hangouts, Straßen und Piazzas der Online-Welt, öffentliche Orte, an denen wir uns zusammenfinden und unser virtuelles Sozialleben mit dem realen vernetzen.
Dabei gerät nur allzu leicht in Vergessenheit, dass diese Orte allerdings mitnichten öffentlich sind, sondern in der Regel nicht ihren Nutzern, sondern internationalen Konzernen gehören. Als Google Mitte März ankündigte, seinen RSS-Dienst Google Reader einzustellen, war die Empörung bei der kleinen, aber treuen Nutzerschar des traditionsreichen Dienstes, der 2005 gelauncht wurde, groß. Mithilfe von RSS (Really Simple Syndication) lassen sich verschiedene Nachrichtenquellen zentral sammeln – das Aufrufen der einzelnen Seiten wird dadurch überflüssig, da die jeweiligen Updates bei Abonnenten des RSS-Feeds automatisch gebündelt werden.
Schon Ende 2011 hatten die Fans des Dienstes gegen die schon damals drohende Einstellung ihres Lieblingstools demonstriert, nun, anderthalb Jahre später, ist es tatsächlich so weit. Vermutlich, so muss angesichts dürrer Wortspenden vonseiten Googles gemutmaßt werden, soll durch die Einstellung des Dienstes nicht nur das eigene, neben dem Goliath Facebook eher dahinstagnierende Social-Network Google+ gepusht werden, sondern auch etwaigen Streitereien im Zusammenhang mit dem in Deutschland und Frankreich verabschiedeten Leistungsschutzrecht aus dem Weg gegangen werden.
Trotz verfügbarer Alternativen wie etwa Feedly zeigt Googles letztlich sang- und klanglose Aufgabe des Dienstes aber in ernüchternder Deutlichkeit, was gern verdrängt wird: Es gibt de facto kein öffentliches Gut im Netz – und auch kein Anrecht auf noch so liebgewonnene Dienste, die jahrelang als gratis verfügbare Ressource ihren Weg in unser aller Alltag gefunden haben. Sowohl Googles Webdienste als auch Facebook, sowohl Twitter als auch YouTube sind letztlich im Privatbesitz – und der kann, wie am Beispiel Google Reader für seine Userschaft demonstriert, jederzeit auch der Allgemeinheit verweigert werden.
Vor diesem Hintergrund ist auch das massive Lobbying der großen Webkonzerne im Zusammenhang mit der europäischen Datenschutzreform zu sehen; immerhin droht Facebook, Google & Co eine weltweit einzigartige Regulierung des Geschäfts, das letztlich aus jenen Datenspuren besteht, die die Benutzer der vermeintlich öffentlichen Dienste so freigiebig und bedenkenlos hinterlassen. Es gilt die alte Regel, dass man bei Gratisdiensten nicht Kunde, sondern Ware ist. Über 3.000 Abänderungsanträge seien mittlerweile im Zusammenhang mit der EU-Datenschutzreform eingebracht worden – zum Teil wortgleich aus den Strategiepapieren der großen US-Konzerne übernommen. Es wundert kaum, dass vor allem die Einstellung der Gratiswebdienste wie etwa Gmail gerne als Drohung vor zu einschneidender Regulierung benutzt wird.
Diese Drohung sollte zu denken geben – oder gleich zum Handeln auffordern. Vielleicht wäre es an der Zeit, dem Netz jene öffentlichen Orte zu geben, für die die Mehrheit die privaten Plattformen ohnedies längst gehalten hat. Dass einzelne Kommunen auch hier dieser Aufgabe nachkommen können, beweist etwa: Mit der Anmeldung eines Hauptwohnsitzes in Linz und vollendetem 14. Lebensjahr ist das Anrecht auf 1 GB Webspace auf dem öffentlichen »Public Space Server Linz« verbunden. So kann jede Linzerin, jeder Linzer auch in der virtuellen Welt ein Stück öffentlichen Raum nutzen und eigene Homepages, Wikis, Blogs etc. dort platzieren.
Zugegeben: Das löst nicht das Problem, dass die großen Social-Media-Plattformen als De-Facto-Monopolisten den Großteil der Diskursorte im Netz stellen. Als erster Schritt aus der Abhängigkeit privater Konzerne wäre das Linzer Modell aber ein lobenswerter Schritt hin zu einer Grundversorgung mit Öffentlichkeit im Web.r