Im Jahr 2004, drei Jahre nach 9/11, stellte der britische Dokumentarfilmer Adam Curtis in seiner preisgekrönten BBC-Serie »The Power of Nightmares« eine nüchterne These auf: In der Vergangenheit hätte die Politik auf Visionen einer besseren Zukunft gesetzt, um ihre Anliegen beim Wähler populär zu machen. Nach dem Verlust des Glaubens an Ideologien hätte sich die politische Kaste nun aber vermehrt dem Gegenteil zugewandt: Angst und Schrecken, ironischerweise auch die Ziele des Terrorismus, sind zum besten Verbündeten einer Politik geworden, die sich durch das Schüren dieser Ängste als Garant von Sicherheit und Stabilität vermarkten lasse.
Dass diese Analyse vor allem in Österreich auch im Jahr 2011 noch ihre Berechtigung hat, zeigte sich überdeutlich nach dem Massaker in Norwegen im Sommer dieses Jahres. Während der norwegische Premierminister Jens Stoltenberg auf die die Weltöffentlichkeit schockierende Wahnsinnstat mit einem Plädoyer für mehr Offenheit in der Gesellschaft reagierte, nutzte die österreichische Law-and-Order-Fraktion das Thema für entgegengesetzte Zwecke: Kaum 48 Stunden nach der Wahnsinnstat forderte der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Peter Gridling erweiterte Befugnisse zur Überwachung des Internets. Dass sämtliche Experten zugleich einräumen mussten, einen Einzeltäter wie im Anlassfall Norwegen auch mit umfassender Überwachung eher nicht im Vorfeld erkennen zu können, fiel da schon einmal unter den Tisch.
Das vor wenigen Wochen im österreichischen Parlament beschlossene Anti-Terror-Paket der großen Koalition stößt trotzdem wieder ins selbe Horn: Geschnürt von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) wird es, so stellen es Kritiker wie die Grünen und Arge Daten-Obmann Hans Zeger dar, acht Millionen Österreicher unter Generalverdacht stellen und den Behörden weitreichende Befugnisse unter anderem in der Online-Überwachung erteilen. Da passt auch gut ins Bild, dass Österreich jüngsten Berichten zufolge auch an dem in Deutschland verwendeten »Staatstrojaner« reges Interesse gezeigt habe – das legen zumindest die Kontakte der für den deutschen Staatsspion zuständigen Firma Digitask nahe: Ein Sprecher der hessischen Firma hat in einem Interview mit der Deutschen Welle den Verkauf ähnlicher Software an die Schweiz, die Niederlande und Österreich bestätigt.
Stasi 2.0?
Die Argumente für mehr und vor allem digitale Überwachung sind weltweit immer dieselben – die tatsächliche Anwendung nach ihrer Einführung anscheinend auch: In Deutschland wurde die dilettantisch und unsicher programmierte Überwachungssoftware, die noch dazu weit außerhalb des gesetzlichen Rahmens agieren konnte, nicht etwa gegen Terroristen und Kinderpornoringe eingesetzt, sondern nachweislich in Bagatellfällen wie etwa Zigaretten- oder Medikamentenschmuggel. Und in Österreich, wo nun die Befugnisse der Behörden wieder ausgeweitet wurden, wurde schon der umstrittene »Mafiaparagraph« nicht gegen organisierte Kriminalität oder Terrorismus zum Einsatz gebracht, sondern gegen Tierschützer und NGOs – mit bekanntem blamablen Ergebnis vor Gericht. Man sieht: Ist das unter dramatischen Angstszenarien eingeführte Instrument einmal vorhanden, wird es von den ermittelnden Organen mangels »großer« Bedrohungen eben auch im Kleinen benutzt. Nicht zufällig macht sich ja auch hauptsächlich die mächtige Urheberrechtslobby seit Jahren weltweit für verschärfte Kontrolle des angeblich »rechtsfreien Raumes« Internet stark. Die Angstkulissen des internationalen Terrorismus oder der angeblich überall im Netz lauernden Kinderschänder werden als Ausreden für die schier unbegrenzte Überwachungswut der Behörden einerseits und die Begehrlichkeiten einer Industrie andererseits verwendet, die nicht zuletzt ihre eigenen Kunden mit Argusaugen beobachtet und ihre Pfründen verteidigt.
Während trotz deutschem Trojanerskandal Österreichs Regierung unbeirrt mehr Überwachung forciert sehen will, beginnt beim großen Bruder Deutschland schon ein Wandel. Ausgerechnet der deutsche CDU/CSU-Geschäftsführer Peter Altmaier regt in der FAZ reumütig zum Umdenken des Verhältnisses der Politik zum Internet an: Die Integrität des Netzes und der Zugang zu ihm seien zu Rechtsgütern von höchstem Wert geworden. Die Bedürfnisse der Sicherheit und die Freiheit des Netzes müssten in eine neue Balance gebracht werden – und das diesmal nicht zu Ungunsten der unfreiwillig Überwachten.
Kein Wunder: In Deutschland drohen eben schon die Piraten mit dem Enterhaken. In Österreich kann man sich bislang mit der zwölften Vergabe des Big Brother Awards Ende Oktober nur bedingt über die politische Realität hinwegtrösten.