Zu Beginn eines jeden Projekts steht der Auswahlprozess, so die landläufige Meinung. Der ERP-Experte und Professor an der Universität Würzburg Dr. Axel Winkelmann rät jedoch, sich in einer ersten Projektphase zunächst einige grundlegende Gedanken zu machen. Welche Punkte dabei geklärt werden sollten, erläutert der Software-Hersteller proALPHA in einem gemeinsamen Gespräch.
Ein ERP-Projekt erneuert nicht nur das technologische Rückgrat eines Unternehmens. Es transformiert häufig auch Geschäftsabläufe und verändert damit den Arbeitsalltag großer Teile der Belegschaft. Daher sollten Unternehmen ganz am Anfang, also weit vor der Softwareauswahl, einige elementare Überlegungen anstellen:
Das Wieso, Weshalb, Warum klären
Wenn alle paar Monate Inventur gemacht wird, weil der Lagerbestand nicht stimmt, oder die Geschäftsleitung tagelang auf Auswertungen warten muss, ist klar: Es läuft nicht rund. Wer mit dem Wechsel eines ERP-Systems primär solche Druckpunkte auszubügeln versucht, bleibt hinter seinen Möglichkeiten.
Eine ERP-Einführung ist auch die Chance zum „großen Wurf“: Unternehmen sollten sich klar werden, was sie in Zukunft erreichen wollen und was sie dazu brauchen. Mit Fragen wie: Wie wollen wir in den kommenden Jahren arbeiten? Wo sehen wir Chancen für tragfähige Geschäftsmodelle? lässt sich dieser Prozess anstoßen.
Organisatorische Hürden: „Lähmschichten“ aufspüren
Hausgemachte Probleme und organisatorische Blockaden verhindern vielerorts einen effizienten Informationsfluss. Axel Winkelmann zieht hier Vergleiche mit undurchlässigen Lehmschichten – oder „Lähmschichten“. Dabei ist Durchgängigkeit für den Geschäftsbetrieb genauso wichtig wie für die Projektorganisation – damit Zielvorgaben und Anweisungen von der Geschäftsleitung auf allen Ebenen ankommen. Aber vor allem auch, damit Anregungen und Input aus der Belegschaft nach oben durchdringen – und nicht irgendwo im Mittelbau an einem „Ja, aber“ stecken bleiben.
Zum Thema Projektorganisation: Falsch aufgestellte Teams führen immer wieder zum Scheitern von ERP-Projekten. Der Kardinalfehler: Es allein in der IT-Abteilung aufzuhängen. „Wie soll die IT-Abteilung organisatorische Maßnahmen diskutieren und dann auch durchsetzen? Das ist faktisch unmöglich. Wir brauchen also immer die steuernde Hand in diesem Projekt, immer die Weitsicht von jemandem, der die Übersicht über das ganze Unternehmen hat“, unterstreicht Axel Winkelmann.
Von Zeit bis Zaster: den wirtschaftlichen Rahmen abstecken
Neben der Budgetfrage gehört auch das Thema Timing früh auf den Tisch: Gibt es saisonale Spitzen oder andere Termine, die es zu berücksichtigen gilt? Wie lässt sich für das Projektteam die nötige Zeit „freischaufeln“? Wer glaubt, Mitarbeiter*innen im Tagesgeschäft noch zusätzliche Projektarbeit aufbürden zu können, darf sich nicht wundern, wenn die Motivation zu wünschen übriglässt. Zur Abschätzung des eigenen Aufwands hat Winkelmann eine Faustformel parat: „Wenn ein ERP-Berater für einen Manntag zu Ihnen kommt, können Sie noch einmal zweieinhalb bis drei Manntage eigene Arbeit dazurechnen.“
Klare Kommunikationsstrukturen schaffen
Praxiserfahrungen zeigen: Projekte, die im stillen Kämmerlein laufen, drohen oftmals zu scheitern. Es gilt, Mitarbeitende mitzunehmen und offen über Pläne zu kommunizieren – sei es über einen regelmäßigen Newsletter oder einen Speakers Corner in der Kantine. Wichtig ist, dass die Belegschaft mitbekommt, was die Geschäftsleitung vorhat. Dies steigert das Engagement, die wahrgenommene Wertschätzung und auch am Ende die Bereitschaft unter den Beschäftigten, mit der neuen Software zu arbeiten.
Alles auf Anfang: Change-Prozesse vorbereiten
Neben der Technik geht es auch um organisatorische Anpassungen: Abteilungen, Abläufe und Regelwerke werden neu aufgestellt. Nicht jeder Mitarbeitende wird da mit Begeisterung dabei sein. Ein so großes Projekt schürt auch Ängste. Diese einfach zu ignorieren senkt die Motivation und fördert eine Blockadehaltung. Besser ist es da, um Verständnis für die sich ergebenden Veränderungen zu werben und den Mitarbeiter*innen Möglichkeiten zur Mitgestaltung zu geben.
Wollen ist menschlich: Konflikte antizipieren
Natürlich wird jeder Bereich versuchen, seine Abläufe eins zu eins auch im neuen System abzubilden. Wer will sich schon gerne an andere anpassen, und schon gar nicht an eine Software! Konflikte sind da vorprogrammiert. Die Berater des ERP-Herstellers gelten hier meist nicht als unparteiisch. Da kann es hilfreich sein, sich einen neutralen Dritten als Mediator an die Seite zu stellen, der bei Bedarf moderiert und vermittelt. Und es hilft von Anfang an klar zu machen: Anpassungen sind möglich, dürfen aber nicht zu Lasten einer späteren Upgrade-Fähigkeit ausufern.
Solide Daten, solides Business
Axel Winkelmann rät außerdem, das Datenfundament eines Unternehmens so früh wie möglich zu konkretisieren: Welche Daten braucht wer? Wo kommen sie her und wohin fließen die Informationen im Anschluss? Aber auch erste Anforderungen an die Technik können in diesem frühen Stadium schon festgehalten werden. Winkelmann warnt dabei eindringlich davor, sich bei der ERP-Wahl nur auf eine, wenn auch gut gemeinte, Empfehlung eines befreundeten Unternehmens oder Geschäftspartners zu verlassen. Das Risiko, dass es nicht zum eigenen Geschäftsmodell und der eigenen Zukunftsvision passt, ist sehr hoch.
Know-how-Quellen anzapfen
Richtig viel Erfahrung mit ERP-Einführungen haben inhouse die wenigsten. Schließlich führen Unternehmen so ein Projekt eher nur alle 10, manche sogar nur alle 20 bis 25 Jahre durch. Das nötige Know-how beschaffen sich Unternehmen, indem sie neue Mitarbeiter an Bord holen und externe Unterstützung hinzuziehen. Denn die Consultants des Herstellers kennen sich nicht nur mit dem System gut aus. Sie können mit ihrem Erfahrungswissen aus ähnlichen Branchen auch Best Practices beisteuern.
Schnell ins Tun kommen
„Es nützt nichts, wenn Sie ein perfekt geplantes Projekt fünf Jahre vorbereiten und doch nicht ins Tun kommen“, mahnt ERP-Experte Winkelmann. Denn im Zweifel setzt der Mitbewerb dann schon bereits die digitalen Vorteile um, an denen Sie noch aus Sorge, etwas Wesentliches zu übersehen, herumkauen. Der Weg aus dieser Zwickmühle? Mit Prototypen arbeiten und eine Software aussuchen, die sich in weiten Teilen konfigurieren lässt.
Und last but not least, so Winkelmann, hängt auch Vieles am richtigen Erwartungsmanagement: Nicht alles werde in den Prozessabläufen auf einen Schlag besser. Aber im Zusammenspiel führt ein gut vorbereitetes ERP-Projekt dazu, dass das Unternehmen als Ganzes für die Digitalisierung richtig aufgestellt ist und vieles anders und besser machen könne als vorher.