Donnerstag, November 21, 2024
Weiblicher Fingerprint in der IKT

Vielfalt und Chancengleichheit stellen einen wichtigen Anker der modernen Unternehmensstrategie dar. In der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) hat sich das noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Die letzten beiden Jahre haben allerdings positive Veränderungen für Frauen am IT-Arbeitsmarkt gebracht.

»IKT besteht nicht nur aus Programmieren, sie bietet vielseitige und kreative Jobs«, stellt Christine Wahlmüller-Schiller, Initiatorin und Mitbegründerin von WOMENinICT, fest. »Ich bin seit mehr als 20 Jahren in der Informations- und Kommunikationstechnologie tätig. Vielfach wird sie nur mit Mathematik verbunden, IKT erfordert aber vor allem logisches Denken, das können Mädchen ebenso wie Burschen.« Sie umfasst die Kommunikation über die Problemlösung und Weiterentwicklung bestehender Technologien und gerade hier beweisen Frauen ihre Stärke.

»Sie haben mehr soziale Kompetenzen, können besser auf die jeweiligen Gesprächspartner eingehen«, meint Wilfried Seyruck, Geschäftsführer der Programmierfabrik und Präsident der Österreichischen Computer Gesellschaft.

Für Katharina Bechtloff, HR-Managerin im Bechtle IT-Systemhaus Österreich, braucht es vor allem Wissen über technische Berufe. »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich mehr Frauen für eine Karriere in der Technik entscheiden, wenn sie eine genaue Vorstellung davon haben, wie technische Berufe konkret ausgestaltet sind.«
Bechtloff unterstützt daher Initiativen wie den Töchtertag, berufspraktische Tage für Schülerinnen und begleitet Technikerinnen bei Berufsorientierungsevents.

Auch Wahlmüller-Schiller fordert mehr Engagement in der frühen Bildungsphase. Es müsse bereits in der Volksschule gestartet, Lehrerinnen für die IKT begeistert werden.
Der Bildungsfokus ist eine der zentralen Forderungen von WOMENinICT.



Marlene Thallinger ist ein Trainee der ersten Stunde in der Programmierfabrik mit Sitz in Oberösterreich.


In einer Umfrage hat sich die Mehrheit der Befragten dafür ausgesprochen, dass Schülerinnen wie Schüler zumindest ein bis zwei Jahre verpflichtend programmieren lernen sollen. Gleichzeitig wird eine spielerische Vermittlung von informatischem Grundwissen, »Computational Thinking«, schon für die Volksschule vorgeschlagen.

Mädchen müssen bereits mit 12 bis 13 Jahren für die IKT gewonnen werden, denn in diesem Alter fallen wesentliche Schritte der Weiterbildung und damit der künftigen Karriere. Ausprobieren muss die Devise sein. Events wie »Girls TECH UP« zeigen Einblicke in die Branche, es wird gebastelt, inspiriert und ausprobiert.

Mankos bei der IKT

Der Grund für den geringen Frauenanteil in IKT-Berufen wird oft zurückgeführt auf

- fehlende Frühförderung in der Schule
- negative Einstellung im sozialen Umfeld gegenüber Frauen in der Technik
- fehlende Gleichstellung in den Unternehmen (Gender-Pay-Gap und Übergehung bei Beförderungen)
- Mangel an weiblichen Rolemodels in IKT-Berufen.



IKT wird in den Schulen noch viel zu wenig vermittelt. Jedes Kind, egal ob Bub oder Mädchen, sollte in der Schule IKT-Fähigkeiten erwerben. Hilfreich wären eigene Mädchengruppen im IKT-Unterricht, denn rein unter Mädchen traut sich jede Einzelne mehr.


Frau an der Spitze

»Frauen sind bereit für die IKT«, kommt eine klare Aussage von Wilfried Seyruck. In seinem eigenen Unternehmen, der Programmierfabrik, liegt der Frauenanteil in der Technik bereits bei 40 %. »Wir sind erfolgreich beim Akquirieren von Frauen, weil gut die Hälfte der Teamleiter weiblich ist.« Besonders in diesen Teams gebe es Soft Skills, die Männer nicht so mitbringen.


ÖBB Infrastruktur

Die Kampagne #joboffenSIEve ist einer von mehreren Schritten der ÖBB zur Förderung von Frauen. Deutlich sichtbar war sie durch die Baustellengalerie mit fotokünstlerischen Porträts von Technikerinnen bei der Haltestelle Wien Matzleinsdorfer Platz. In persönlichen Steckbriefen erzählten die Protagonistinnen von ihrem Werdegang, ihrer Motivation, in ehemals männlich dominierten Berufen Fuß zu fassen, und welche Vorbilder auf dem Weg zum Traumjob geholfen haben.

Silvia Angelo, Vorständin ÖBB Infrastruktur, sieht eine große Chance für mehr Frauen in der IKT in der zunehmenden Digitalisierung. Innerhalb der letzten Jahre wurden die Lehrberufe E-Commerce-Kauffrau/-mann und Applikationsentwicklung und Coding etabliert. Die Ausbildungszentren der ÖBB wurden mit 3D-Druck- und VR-Technologie aufgerüstet.



Silvia Angelo (rechts), ÖBB Infrastruktur: »Große Chance für mehr Frauen in der IKT.«


»Die Berufsanforderungen ändern sich und wir können immer vielfältigere Jobs anbieten, die auch für Frauen attraktiv sind«, betont Angelo. Vielfalt bildet bei den ÖBB ein Leitmotiv. Noch liegt der Anteil der weiblichen Beschäftigten bei zehn Prozent, bis 2026 soll er auf 17 Prozent steigen.

Dazu gibt es eine »Diversity Charta«. Im Fokus steht der Frauenanteil bei Neuaufnahmen, der Lehrlingsausbildung sowie bei Weiterbildungsprogrammen, der Nachbesetzung von Führungspositionen und in Aufsichtsräten. Mit der ÖBB-Gleichstellungspolicy 2011 wird dem Anspruch von Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben entsprochen, Aufklärung bietet die Kampagne #joboffenSIEve.

Daneben setzen die ÖBB auf Maßnahmen wie Karriereworkshops, Netzwerkveranstaltungen bis hin zu Weiterbildungsangeboten im Bereich »Gender and Diversity Management« und Cross-Mentoring-Programme.


Ausbildung gegen Mangel

»Der Fachkräftemangel ist unsere größte Wachstumsbremse, daher nutzen wir die Duale Akademie, um selbst einen Teil der benötigten Fachkräfte auszubilden«, erklärt Programmierfabrik-Geschäftsführer Seyruck.

AHS-Absolvent*innen, an die sich das Angebot der Dualen Akademie vor allem richtet, sind bestens geeignet für eine IT-Ausbildung, weil sie gute Englischkenntnisse mitbringen und in der Lage sind, rasch Wissen zu akquirieren. Mittlerweile arbeiten acht Trainees im Unternehmen.


Initiativen für ein Plus an Frauen in der IT

Projekte zur Stärkung der technischen Interessen und Fähigkeiten bei jungen Frauen und Mädchen gibt es bereits einige, darunter Kompass, FiT, Girl’s Day, LET’S TECH, meine TECHNIK, zimd, MiT, Mit Mut, OVE fem, Women in Technology, Re-Ment, Roberta und Sprungbrett.

»Praxisnahe Einblicke können viel dazu beitragen, dass mehr Schülerinnen die Technik als spannendes Berufsfeld für sich entdecken. Vor allem dann, wenn es gelingt, ihnen die Vorteile einer solchen Berufswahl näherzubringen und ihre Neugierde geweckt wird«, beurteilt Katharina Bechtloff den Girl’s Day.

Die ÖBB sind auch mit Unternehmensbesuchen im Rahmen des Töchtertags oder der Kooperation mit dem Österreichischen Frauenlauf aktiv.


Frauen  - und Wege in die IKT

Katharina Bechtloff

Um weibliche Fachkräfte zu gewinnen, braucht es laut Katharina Bechtloff attraktive Angebote wie flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten, Programme für Wiedereinsteigerinnen oder die Möglichkeit zum dualen Studium.

»So haben wir bei Bechtle den Frauenanteil seit 2018 mehr als verdoppelt«, betont Bechtloff und berichtet von guten Erfahrungen mit Quereinsteigerinnen. Gerade für diese Menschen sei Weiterbildung entscheidend – die Bechtle Akademie hilft. Erfolgreich laufen auch Mentoring-Programme.

»Immer mehr Technikerinnen stehen selbst als Mentorinnen neuen Teammitgliedern zur Seite«, berichtet Bechtloff, die selbst nach einem BWL-Studium an der WU Wien und Auslandssemestern in Großbritannien und den USA seit 2019 als HR-Managerin im Bechtle IT-Systemhaus Österreich arbeitet, sich der Aus- und Weiterbildung des Mitarbeiter*innenstabs widmet sowie Berufspraktika von Schüler*innen aus HTLs, Fachhochschulen und Universitäten ermöglicht.


Nicole Berlakovich


Für Nicole Berlakovich ist der Aufbau von Frauennetzwerken innerhalb des Unternehmens entscheidend.
»T-Systems hat dazu zwei Programme: FEM-T ist eine Plattform von Frauen im Berufsleben, die Diversity-Strategy ist eine Kampagne zur Realisierung von mehr Vielfalt, nicht nur bei Gender.«

Eine große Hilfe sieht Nicole Berlakovich, die an der FH Wirtschaftsrecht studiert hat, einige Jahre in der Personalberatung tätig war und seit 2018 als HR Business Partnerin fungiert, in der Präsenz von Frauen in leitenden Funktionen.

»Sie leben vor, dass die Karriere im technischen Bereich für Frauen möglich ist und stärken das Selbstbewusstsein der nachfolgenden Generationen.« Mit Gertrud Hierzer als Mitglied der Geschäftsführung setzt T-Systems diesen Wunsch um.


Christine Wahlmüller-Schiller

Der Weg von Christine Wahlmüller-Schiller in die IKT ist außergewöhnlich. »Ich habe Publizistik, Spanisch, Geschichte und Internationale BWL an der Universität Wien und der London School of Media studiert. Mein Wunsch war, Wissenschafts- oder Auslandsjournalistin zu werden.«

Durch den engen Kontakt zu IKT-Kunden in einer PR-Agentur hat sie sich dann autodidaktisch das notwendige Technikwissen angeeignet. Mittlerweile ist Wahlmüller-Schiller mehr als 20 Jahre in der IKT-Branche tätig. »Die Haltung gegenüber Frauen in der IKT ist heute offener, aber nicht selbstverständlich.«

Im Februar 2020 hat sie mit anderen Frauen WOMENinICT als Initiative und Netzwerk im Verband Österreichischer Software Industrie (VÖSI) gestartet.

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