Dienstag, November 19, 2024

Das 2. Energie Forum Burgenland befasste sich mit der Energie der Zukunft. Dabei trafen visionäre und realwirtschaftliche Konzepte aufeinander.

 

 Er kam, sah und siegte: Hermann Scheer, Träger des „Alternativ-Nobelpreises“ 1999, Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien Eurosolar und Vorsitzender des Weltrates für Erneuerbare Energien, beehrte Eisenstadt mit seiner Anwesenheit. Das Energie Forum Burgenland war eine der Stationen auf der Vortragstour Scheers. Gebucht war er als Keynote-Speaker bei dem vom Landesenergieversorger Bewag heuer zum zweiten Mal veranstalteten Forum, das sich die „Zukunft der Energie – Energie der Zukunft“ zum Thema genommen hatte. Rund 150 Zuhörer zog der begnadete Rhetoriker in seinen Bann, als er über den Wettlauf der Menschheit mit der Zeit sprach. Schmelzende Gletscher und Polkappen seien Belege für die globale Erwärmung. Scheer sparte auch nicht mit drastischen Vergleichen, um die Dramatik der Situation darzustellen: Die Festlegung der internationalen Gemeinschaft, diese Erwärmung auf +2° zu begrenzen, sei ungefähr so, wie wenn die UNO sich zum Ziel gesetzt hätte, den Hunger in der Welt nicht zu reduzieren, sondern dessen Anstieg von derzeit 900 Millionen Menschen auf 2 Milliarden zu begrenzen, so der Experte.

Nicht auf andere warten.
Was 2° mehr bedeuten, werde klar, wenn man sich vergegenwärtige, dass die globale Durchschnittstemperatur seit Beginn der Industrialisierung, als der CO2-Gehalt der Luft 350 ppm (parts per million) betrug, um 0,7° gestiegen ist und heute bei 380 ppm liegt. 2° mehr würden 450 ppm und eine Verdreifachung der derzeitigen Erwärmung bedeuten, so Scheer. Dass dieses Ziel als realistisch gilt, sei absurd, so Scheer. Tatsächlich bedeute es eine Katastrophe. Sämtliche Konzepte von Regierungen und internationalen Institutionen zur Begrenzung der Erderwärmung sind seiner Meinung daher unrealistisch. Die einzige Chance, aus der Klima- und auch der Ressourcenkrise zu entkommen, liege in der vollständigen Ablösung von atomaren und fossilen Energieträgern. In diesem Zusammenhang plädierte Scheer auch für ein Ende der Versuche, solche Ausstiegsszenarien auf internationaler Ebene zu versuchen: „Es ist ein Irrtum zu glauben, es sei ein ökonomischer Schaden, selbst etwas zu tun, aber andere nicht!“ Hätten die Staaten immer auf globale Initiativen gewartet, wäre es in der Vergangenheit zu keiner industriellen Revolution und zu keiner einzigen technischen Entwicklung gekommen, meint Scheer. „Der richtige Ansatz ist eine neue technologische Revolution, die die energetischen Verhältnisse ändert!“ Weg von der globalen Versorgung von wenigen Zentren aus und der Entkoppelung der Räume der Energiegewinnung von denen des Verbrauchs hin zur regionalen Versorgung mit Energie aus erneuerbaren Quellen, lautet sein Motto. Dass die Energiewirtschaft in diesem Umstellungsprozess bleibt, wie sie ist, sei nicht vorstellbar, so Scheer. Denn die sei heute auf die herkömmliche Energiekette zugeschnitten, die auf der Entkoppelung von Energiegewinnung und Energieverbrauch beruht.

Koalition der Weitermacher.
Wenig Verständnis zeigte der Energieguru, der auch in der darauffolgenden Diskussion keinerlei Widerspruch duldete, für Unternehmen und Experten, die seiner Meinung nach die herkömmlichen Denkweisen nicht überwunden haben und für einen langsamen Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern eintreten. Das sei „Greenwashing“, so Scheer: „Hier ist eine Koalition der Weitermacher am Werk, die bis zum letzten Tropfen Öl weitermachen wollen.“ Ein Paradoxon der Energiekrise sei, dass in diesem Zusammenhang „Erzeuger von Primärenergie in der Dämmerphase des Energiezeitalters zu Krisengewinnlern geworden sind“, lautete das vernichtende Urteil des Vortragenden, der wusste, was sich gehörte und dem Land Burgenland und dem Energieversorger Bewag als Veranstalter abschließend Lob zollte: „Sie brauchen sich nicht zu bescheiden“, meinte er im Hinblick auf die Tatsache, dass das Burgenland bereits 50% seines Strombedarfs aus Windkraft und 10% aus Biomasse bezieht, wie Landeshauptmann Hans Niessl stolz in seiner Eröffnungsrede betonte. „Ich halte das Ziel, bis 2013 hundert Prozent der Energie aus erneuerbaren Energieträgern zu gewinnen, durchaus für realistisch“, streute Scheer den Burgenländern Rosen.

Antwort E-Mobilität.
Auch Hans Lukits, Vorstandsdirektor der Bewag, zeichnete ein düsteres Bild für unseren Planeten: Ende dieses Jahrhunderts könnte die globale Durchschnittstemperatur um 4° angestiegen sein, meinte Lukits und zitierte die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, die in diesem Fall vom Leben auf einem anderen Planeten gesprochen hatte. Lukits wies darauf hin, dass die fossilen Quellen heute 88% des weltweiten Energieverbrauchs ausmachen, in Österreich aber nur zu 30% an der Energieerzeugung beteiligt sind. Allerdings, versuchte der Bewag-Vorstand die Dimensionen zurechtzurücken, habe die Energieerzeugung lediglich 19,1% Anteil an den CO2-Emissionen, während fast ein Drittel aus dem Bereich Verkehr stammt.
Die Antwort darauf sei die Elektromobilität, ein Thema der Zukunft, das in Frankreich mit 1,5 Milliarden Euro Förderung für inländische Autohersteller gepusht wird, wie Lukits erzählt. Darüber hinaus sei eine CO2-Besteuerung geplant, und ab 2012 müssten alle Wohnhäuser in Frankreich mit Ladestationen für Elektroautos ausgestattet sein, schwärmte der Vorstand von Rahmenbedingungen, die im Vergleich zu Österreich wie das Klimaparadies schlechthin klingen. Josef Münzenrieder, ebenfalls Bewag-Vorstandsdirektor, erzählte vom Projekt Smart Metering, das die Bewag gestartet hat

Grenzen nicht dicht machen.
Eine etwas differenziertere Sicht als Hermann Scheer vertrat Gregor Czisch, einer der von Scheer als „Teil des Problems“ titulierten Energieexperten. Der Physiker und energiewirtschaftliche Berater der deutschen Bundesregierung plädierte für einen wirtschaftlichen sinnvollen Mix aus großräumiger und dezentraler Energieversorgung, die vor allem aus Wind und Biomasse kommen. Für die Photovoltaik sieht Czisch keine Perspektive: Seinen mathematischen Berechnungen zufolge könne diese Technologie der Umwandlung von Sonnenenergie in Strom erst bei einem Achtel der derzeitigen Produktionskosten einen wirtschaftlich sinnvollen Beitrag zur Energieversorgung leisten – aber nur dann, wenn die Produktion am Nordrand der Sahara stattfinde. Um ein Europa ökonomisch erzeugt werden zu können, müssten sich die Kosten nochmals halbieren, so Czisch. Für falsch hält der Experte die Ansicht, man könne komplett auf Energieimporte verzichten, wie es Scheer propagiert. Dennoch könne der Binnenmarkt aktiviert werden, etwa über die planmäßige Errichtung von Nullemissionshäusern, die nach Ablauf der Abschreibungsperiode zu Lieferanten von kostenloser Energie werden, so Czisch.

Auch Günter Brauner, Vorstand des Instituts für Energiewirtschaft an der TU Wien, und Eveline Steinberger vom Klima- und Energiefonds schlossen sich der Meinung an, dass regionale Energieversorgung nur bis zu einer ökonomisch vertretbaren Grenze machbar sein könne. „Wir sind heute nicht in der Lage, Energie rein erneuerbar zu erzeugen“, widersprach die Fondsgeschäftsführerin Steinberger der Vision Scheers. Ihrer Meinung nach haben die Industrieländer zwei Optionen, um die Klimaziele zu erfüllen: den Bereich erneuerbare Energien auszubauen oder in hocheffiziente Technologien zu investieren, etwa in die Elektromobilität. Mit Hilfe der technologisch immer ausgereifteren Batterien als Speichermedium könnte Strom, der nicht benötigt wird, wieder ins Netz rückgekoppelt werden. Die Chancen für die von Scheer propagierte neue technologische Revolution sieht Steinberger skeptisch: „Bei einem solchen Systembruch müssen die Menschen mitspielen“, so Steinberger. Und Energieexperte Brauner merkte an, dass ein vollständiger Umstieg auf erneuerbare Energieträger darüber hinaus einen enormen Materialaufwand bedeuten würde. Und Bewag-Vorstand Hans Lukits relativierte das Konzept einer Energieautarkie, wie sie Scheer fordert: „Energieautarkie heißt nicht, die Grenzen dicht zu machen und Leitungen zu kappen!“

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