Sonntag, Dezember 22, 2024

Die Zeiten, als der Wohnbau nur die Produktion von Wohnraum war, sind endgültig vorbei. Heute geht es um ganzheitliche Wohn- und Lebensmodelle.

»Integrierte Planung« und »Real Workmanship« sind Schlagwörter der Zukunft. Die größten Herausforderungen heißen Energie, Demografie und natürlich Leistbarkeit.

 



Viel Tageslicht, private Freiräume, eine gute Infrastruktur und eine energiesparende Bauweise: Das sind laut einer Sora-Studie die zentralen Kriterien bei der Wohnungssuche. Befragt wurden insgesamt mehr als 2.000 Personen. Eine hohe Akzeptanz finden zudem auch interkulturelle Wohnprojekte und Generationswohnprojekte. Der Wiener Wohnbaustadt und Vizebürgermeister Michael Ludwig, der die Studie auch in Auftrag gegeben hat, fühlt sich dann auch gleich in seinem Weg bestätigt. Denn der geförderte Wohnbau setze wesentliche Schwerpunkte in den Bereichen ökologisches Wohnen, Wohnen für Generationen, seniorengerechtes Wohnen, Wohnen im Grünen und junges Wohnen. »Die Ergebnisse der Studie sind eine weitere Bestätigung, dass der geförderte Wiener Wohnbau mit seiner Vielfalt und seinen bedarfsgerechten Angeboten direkt am Puls der Wohnwünsche liegt«, sagt Ludwig.
Die Ergebnisse der Studie spiegeln auch zahlreiche Expertenmeinungen wider. Thomas Bednar vom Institut für Bauphysik an der TU Wien glaubt, dass in näherer Zukunft vor allem die Energiefrage zum zentralen Thema wird. Dabei liefern seine Forschungsergebnisse aber auch die eine oder andere Überraschung. Bei Untersuchungen zum Sommerverhalten von Häusern hat Bednar festgestellt, dass die Wahl des Baustoffes nur sekundär ist. »Fast in allen Varianten lässt sich ein gutes Sommerverhalten erzielen und auch energetisch gibt es nichts auszusetzen.« Viel wichtiger als die oft ideologisch besetzte Diskussion um den richtigen Baustoff sind Planung und Ausführung. »So gesehen geht ein Trend in Richtung sorgsame Planung des Gesamtsystems«, sagt Bednar.

Ebenfalls auf dem Vormarsch ist laut Bednar die »Real Workmanship«. Dieses Konzept geht davon aus, dass theoretische Überlegungen nicht 1:1 in die Praxis übertragen werden können. Demnach gibt es so etwas wie die ideale Ausführung einer Konstruktion nicht. Wenn man also davon ausgeht, dass in jeder Konstruktion Fehler passieren, ist es völlig unerheblich, welche Variante in einer perfekten Ausführung die beste wäre. »Es wird vermehrt darum gehen, Konstruktionen zu realisieren, die eine gewisse Fehlertoleranz haben«, erklärt Bednar. Und die Konstruktionen, die auch mit den eingerechneten Fehlern noch gute Werte aufweisen, werden den Zuschlag bekommen.
Weitere Trends in Sachen Energie hat Bednars Kollege Dietmar Wiegand vom Institut für Städtebau parat. Sein Schlagwort heißt »Integrierte Planung«. »Es greift zu kurz, beim Thema Energieeinsparungen nur das Gebäude zu betrachten.« Um sinnvolle Analysen der CO2-Emissionen zu erstellen, müsse man vielmehr den gesamten Stadtteil und den Lebensstil der Bewohner mit einbeziehen. Das Passivhaus mag deutlich weniger Energie verbrauchen als sein traditionelles Pendant, ist es in der Peripherie platziert, drehen sich diese Einsparungen durch den größeren Mobilitätsbedarf aber rasch ins Gegenteil. Eine Grundvoraussetzung für »Integriertes Planen« ist die Kompetenz der Planer, die befinden sich laut Wiegand aber zum Großteil »noch in der Übungsphase«. Eine weitere Voraussetzung, um »Integriertes Planen« auf Schiene zu bringen, sind Anreizmodelle für die Bauherren. Hier gibt es laut Wiegand einen enormen Verbesserungsbedarf, speziell bei den öffentlichen Gesellschaften. »Wenn die Asfinag den Auftrag bekommt, eine Autobahn so günstig wie möglich zu bauen, dann kann man von ihr keinen Beitrag zur Regionalentwicklung und zur Baukultur erwarten.« Ähnliches gilt für die gemeinnützigen Wohngenossenschaften. Erst wenn der Geschäftsauftrag geändert und Finanzmittel bereitgestellt werden, könne sich etwas in Richtung »Integriertes Planen« bewegen.   

Generationen-Wohnen
Die größten Herausforderungen an den modernen Wohnbau sind für Dietmar Wiegand aber sozialer Natur. Laut Statistik Austria wird Österreich bis zum Jahr 2030 auf neun Millionen Einwohner anwachsen. 30 Prozent der Bevölkerung werden über 60 Jahre alt sein, mehr als zehn Prozent sogar über 75 Jahre.
Erfolgreicher und guter Wohnbau wird sich dann zu einem großen Anteil an den Themen »Generationen-Wohnen« und »Interkulturelles Wohnen« messen lassen. Dabei geht es laut Wiegand auch längst nicht mehr nur um die reine Produktion von Wohnraum. »Es geht um Lebensmodelle. Um das Zusammenleben von Jung und Alt. Weg von Pflegegedanken, hin zu Selbsthilfemodellen.« Nicht mehr die Grundrisse sollen im Vordergrund stehen, sondern Services und Dienstleistungen. Diese Forderungen des TU-Professors werden zum Teil schon umgesetzt. Anfang Oktober fiel in Wien Ottakring der Startschuss zum Pilotprojekt »Wohngruppen für Fortgeschrittene«. In diesem Wohnmodell hat jeder Bewohner älteren Datums seine eigene Wohnung, die jedoch mit zahlreichen Gemeinschaftsflächen ergänzt wird. Ähnliche Projekte gibt es schon in zahlreichen anderen europäischen Städten. In Österreich ist es eine Premiere. Im Vordergrund steht dabei die nachbarschaftliche Hilfestellung, Engagement für die Hausgemeinschaft ist verbindlich vorgesehen. 20 Wohnungen in einer Wohnhausanlage mit insgesamt 80 Mietwohnungen stehen für das Projekt zur Verfügung. Die Fertigstellung des innovativen Wohnmodells ist für 2011 geplant, aufgrund des großen Interesses sind bereits alle Wohnungen vergeben. Karl Wurm, Geschäftsführer des Bauträgers Neue Heimat, hat deshalb für die Zukunft schon weitere Projekte dieser Art angekündigt.
Ein weiterer Beitrag zum Thema »Generationen-Wohnen« kommt aus der Steiermark. Im letzten Jahr hat die Metropolis Real Estate das Wohnmodell »Silver Living« mit zehn Projekten gestartet. Dabei handelt es sich sowohl um Revitalisierungen als auch um Neubau von zentral gelegenen Objekten. Zielgruppe sind Bewohner ab 50. Pro Projekt werden bis 20 Wohnungen barrierefrei und auf dem neuesten Stand der Technik eingerichtet. Betreiber sind Sozialorganisationen, die nicht nur einen 24-Stunden-Notrufservice garantieren sondern auch zahlreiche andere Dienstleistungen erbringen können, von der Organisation des Arztbesuches über Amtswege bis hin zur Haushaltsführung. Dazu können auch noch Wahlleistungen wie Wäsche- und Bügelservice, Reparaturservice oder Physiotherapien gebucht werden. Projekte in Bad Gams, Burgau und Gnas sind bereits fertiggestellt, vier weitere in Seckau, Pöllauberg, Riegersburg und Bad Waltersdorf befinden sich in Bau.
»Silver Living« ist aber nicht nur eine attraktive Wohnform für ältere Menschen, sondern auch ein interessantes Veranlagungsmodell. »Der Ertrag dieser Anlageform ergibt sich durch die Kombination von Mieteinnahmen, Förderungen und Steueroptimierungen«, erklärt Metropolis-Geschäftsführer Walter Eichinger. Der Investor erwirbt persönliches, im Grundbuch verankertes Eigentum an einem umfassend sanierten oder neu gebauten und langfristig voll vermieteten Wohnhaus. Nach Ablauf der Kredittilgungsphase erhält der Investor jährlich aus den Mieteinnahmen eine lebenslange wertgesicherte Auszahlung. Die Rendite hängt dabei stark vom Projekt ab. Bei Sanierungen erwartet Eichinger eine Rendite von sieben bis acht Prozent, bei Projekten auf Basis »Grüne Wiese« zwischen 5,5 Prozent und 6,5 Prozent. Als Investoren kommen institutionelle ebenso wie private Geldgeber in Frage, Privatinvestoren können ab 35.000 Euro einsteigen. Für die Mieteinnahmensicherheit sorgen langfristige Betreiberverträge mit den jeweiligen Gemeinden und ebenso langfristige Mietgarantien der Betreibergesellschaft.

Miete statt Kauf
Spricht man mit den Wohnbauexperten über aktuellen Trends, ist man auch schnell beim Thema »Leistbares Wohnen«. Herbert Ludl, Chef der Sozialbau AG, weiß, dass die Kunden »den Euro derzeit mehrmals umdrehen«. Als Folge kommt es zu einer Verschiebung der Wohnformen. »Auf Eigentum wird weitgehend verzichtet werden, selbst wenn es sich um die bevorzugte Option handelt«, sagt Ludl. Die Einmalleistungen seien in Zeiten der Krise für viele einfach nicht zu stemmen. Dafür sind Miet-Kauf-Modelle auf dem Vormarsch. Und auch die Nachfrage nach Miet- und Genossenschaftswohnungen wird weiter steigen. So zeigt auch eine Trendstudie zum Wohnverhalten in Österreich, dass Mietvarianten auf dem Vormarsch sind. »Wir haben zurzeit die Situation, dass viele Einfamilienhäuser zum Verkauf angeboten werden und sich keine Käufer finden, aber zunehmend mehr suchen ein Miethaus«, so Studienautorin Andrea Baidinger. Der Bedarf an Mietwohnungen, speziell in den österreichischen Landeshauptstädten, steigt seit Jahren. So übersteigt zum Beispiel in Salzburg der Bedarf von Zweizimmerwohnungen mit Balkon und Parkplatz bei weitem das vorhandene Angebot. Auch in den anderen Bundesländern gelingt es nicht, den Bedarf am Wohnungsmarkt angemessen zu befriedigen.
Mit diesem Angebotsengpass werden auch die Wohnkosten steigen.  »Wenn die Preise steigen, steigt auch das Interesse der Investoren«, sagt Ludl und glaubt an einen steilen Aufwärtstrend im frei finanzierten Wohnbau. Bremsend wirkt lediglich, dass viele gewerbliche Bauträger derzeit nicht die Bonität für günstige Kredite haben.
Einen weiteren Trend sieht Ludl in der Umkehrung einer Entwicklung der letzten Jahre. Wer nicht auf Eigentum verzichten will, aber nicht über das nötige Kleingeld verfügt, der muss eben auf Raum verzichten. »Die Wohnungsgrößen sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Da ist jetzt eine gewisse Stagnation zu erkennen«, erzählt Ludl. Vier-Zimmer-Wohnungen sind schon die Ausnahme, alles darüber hinaus eine echte Rarität.

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