Samstag, Dezember 21, 2024
»Wenn Menschen mehr wissen, haben sie auch mehr Ideen«

Die Wirtschaft steht vor einem Wandel, der durch KI hervorgerufen wird. Welche Defizite derzeit vorherrschen und warum KI-Projekte weit oben in Organisationen gesteuert werden sollten, beantworten Werner Höger und Michael Petroni, IT-PS (IT-Power Services), und ihr strategischer Lösungspartner Klaas Bollhöfer, Birds on Mars.

Report: Wie fortgeschritten sind KI-Projekte in Österreich bei Unternehmen in der Industrie und in anderen Branchen in der Regel?

Werner Höger: Das Thema KI ist in aller Munde. Auch die Geschäftsleitungen in der Industrie wissen, dass sie dazu aktiv werden müssen – sei es im Bereich Predictive Maintenance in der Produktion oder etwa in der Optimierung von Prozessen in der Logistik. Aber es ist oft nicht einfach, diese Themen auf den Boden zu bringen. Manchmal scheitern Projekte an der Budgetierung, obwohl sie auf oberster Ebene unterstützt werden – dafür müssten verschiedene Abteilungen eingebunden werden, allen voran die betroffene Fachabteilung. Dieser Abteilung allerdings alleine die Projektfinanzierung umzuhängen, kann aber schwierig werden, wenn gleichzeitig eine Ungewissheit am Arbeitsplatz gegenüber Veränderungen aufgrund des technischen Wandels herrscht.

Die Technik selbst ist bereit dafür, eingesetzt zu werden – daran scheitert ein Rollout in der Regel nicht. Das Engagement der IT-Abteilung allein ist unserer Erfahrung nach aber meistens zu wenig.

Bild oben: Werner Höger ist Geschäftsführer von IT-Power Services GmbH (IT-PS).

Michael Petroni: Wir sehen im Vergleich zum deutschen Markt, dass wir Aufholbedarf haben im Reifegrad der Unternehmen bei den Themen Data
Science, AI und Machine Learning. Projekte dazu sind gerade im Mittelstand sehr oft von Einzelkämpfern initiiert, aber nicht in der Unternehmensstrategie verankert. Das wäre aber unbedingt notwendig, um abteilungsübergreifend Innovationen auf den Boden bringen zu können.

Report: Welche Empfehlungen haben Sie für die Umsetzung von KI-Projekten?

Höger: Für das Erreichen eines gemeinsamen Ziels mit einem KI-Projekt braucht es eine entsprechende Governance-Struktur in Unternehmen und den klaren Auftrag der Unternehmensführung für alle Beteiligten. Man sollte strukturell den Menschen die Ängste nehmen und die Vorteile für alle klar kommunizieren. Generell gilt: Je weiter oben in der Hierarchie Projekte angesiedelt sind, desto größer ist die Chance für die Akzeptanz und die fortlaufende Umsetzung.

Report: Welche Branchen in Österreich sind hier der Industrie voraus?

Höger: Unternehmen in der Finanzdienstleistung, etwa Versicherungen, sind mit ihren eigenen Data-Science-Abteilungen anderen sicherlich bereits voraus. Trotzdem haben wir auch dort die gleichen Herausforderungen, wenn bei Projekten Abteilungen zusammenarbeiten.

Ein gutes Beispiel derzeit für laufende Projekte ist der öffentliche und Gesundheitsbereich, in dem Standardprozesse automatisiert werden sollen. Viele dieser Prozesse könnten auch durch eine Maschine erledigt werden. Die Sachbearbeiter in den einzelnen Bereichen würden damit für höherwertige Serviceaufgaben freigespielt werden.

Report: Wie ist der Reifegrad in Deutschland?

Klaas Bollhöfer: Über KI haben die meisten Unternehmen schon geredet. Gerade im Konzernumfeld wurde dazu schon viel bewegt und es wurden Erfahrungen gesammelt – wenn auch nicht immer sonderlich geplant und strukturiert. Mit diesem Reifegrad bei den größeren Unternehmen gibt es jetzt im gesamten Markt eine Bewegung von den einzelnen Produkten und Prototypen hin zu einer breiten Entwicklung von KI-Projekten und KI-bezogenen Prozessen. Wir sehen das aktuell bei der Bahn, bei der Lufthansa und in der Automobilindustrie. Auch große Handelsunternehmen setzen aktiv darauf – hierbei wurden ja bereits viele Prozesse in den vergangenen zehn Jahren digitalisiert. Trotzdem sind diese Bestrebungen noch nicht durchgehend standardisiert und strategisch verankert. Man versteht gerade erst jetzt die Abhängigkeiten und Hebel, um KI in die Organisationen und zu den Kunden zu bringen.

Bild oben: Klaas Bollhöfer ist Mitbegründer und Geschäftsführer bei »Birds on Mars« in Berlin.

Report: Welche Defizite gibt es mitunter noch?

Bollhöfer: Die größten Defizite betreffen sicherlich Wissen und Kompetenz. Man differenziert KI wenig. Vielen scheint die Themenbreite für die eigene Organisation schwer fassbar. Soll ein KI-Projekt für mehr Automatisierung eingesetzt werden? Soll es in Richtung Analyse gehen oder maschinelles Lernen? Können wir es für die Softwareentwicklung einsetzen oder für die Produktentwicklung? Es ist ein beliebig großes Feld, das Know-how und Skills bei den Projektbeteiligten erfordert. Den Fachkräftemangel merken wir auch in Berlin – es ist schwer, Leute zu bekommen.

Auf der Seite der Unternehmen wurde mitunter jahrzehntelang versäumt, in Softwareentwicklung zu investieren. Man hatte stets Herstellerlösungen zugekauft, bestenfalls noch Beraterverträge mit IBM, SAP und sonstigen abgeschlossen – und steht jetzt ohne Ressourcen da. Es fehlt allerorts an Kompetenz für Softwareentwicklung, um aus dem eigenen Gut an Daten tatsächlich intelligente neue Lösungen zu schaffen. Vorausgesetzt diese Daten sind vorhanden: Oft fehlt es auch an einer Datenstrategie, um überhaupt nachhaltig auch in den Bereich künstliche Intelligenz zu gehen. Und wir sollten nicht vergessen: Nur weil wir über Predictive Maintenance reden, heißt das noch nicht, dass bis zu 30 Jahre alte Maschinen dazu »ready« sind.

Report: Wie gehen Unternehmen bei der Umsetzung von KI-Projekten mit dieser Ressourcenknappheit um?

Bollhöfer: Das ist sehr individuell. Die großen Unternehmen können strategisch in neue Innovationsfelder mit Personal, Projekten und Beratern investieren. Die, die das nicht können – der Mittelstand –, probieren es irgendwie aus eigener Kraft oder sie warten auf Herstellerlösungen mit branchenspezifischen Komponenten. Man wird sie deutlich einfacher, aber ein Stück weit standardisierter einführen können. Jene, die bereits – und das würde ich auch nicht an einzelnen Branchen festmachen – innovieren, sind dem Mitbewerb voraus. Allen anderen fehlt entweder die richtige Strategie oder sie brauchen noch keine KI-Lösungen. Es muss auch nicht jeder KI in die Hand nehmen, nur weil es die Technologie gibt.

Petroni: Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, gibt es in Österreich bereits einige Ausbildungsformate für diesen Bereich. Junior-Expertinnen und -Experten sind durchaus am Jobmarkt verfügbar. KI und Machine Learning haben auch nur begrenzt etwas mit klassischer Softwareentwicklung zu tun. Gefragt sind andere Technologien, Vorgehensmodelle und ein anderes Mindset. Das alles ist – geballt mit ein paar Jahren Erfahrung, und bestenfalls mit weiterem Branchen-Know-how – für Firmen aktuell schwierig zu bekommen.

Report: Was können IT-PS und Birds on Mars zu KI-Projekten beitragen?

Petroni: In einer ersten Phase erarbeiten wir gemeinsam mit dem Kunden konkrete Ansätze für mögliche Anwendungen. Diese werden entsprechend bewertet, es werden Business-Cases errechnet und in einem agilen Vorgehensmodell werden die Einsatzmöglichkeiten weiter geschärft. Der Kunde bekommt Erfahrung mit den Themen KI und Machine Learning. Und auch wir sammeln in unserer Rolle als Dienstleister Erfahrung mit den Daten des Unternehmens, mit den Problemstellungen und Anforderungen an die Geschäftsprozesse. Aus dem – meistens zarten – Pflänzchen zu Beginn wird oft eine langjährige Kooperation.

Bollhöfer: Birds on Mars fokussiert auf die Strategiearbeit zum Thema KI, wenn dabei bereits Erfahrungen gesammelt wurden. Dieses Sortieren und das Erarbeiten eines echten Plans gehören in eine Unternehmensstrategie und diese muss auch keine 300 Seiten umfassen, wie man es von den großen Beratungshäusern gewohnt ist. Wir gehen mit dem Umsetzungspartner IT-PS mit Workshops und unseren Erfahrungen zu den Kunden und entwickeln und explorieren stufenweise Ideen und schärfen diese.
Wenn Menschen mehr wissen, haben sie auch mehr Ideen. Unsere Aufgaben sehen wir auch darin, die Leute zu begeistern und ihnen Inspiration zu vermitteln. Wenn wir das geschafft haben, sind diese selbstständig in der Lage, ihre Potenziale zu identifizieren.

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