Bei einem Branchentalk des VÖSI im Juni wurden die Möglichkeiten eines europäischen Softwarekonsortiums diskutiert.
Stephan Schulmeister zählt zu den bekanntesten Ökonomen Österreichs. In seinem aktuellen Buch »Der Weg zur Prosperität« skizziert er Wege für einen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Aufbruch Europas. Dabei schlägt er auch die Gründung eines »Europäischen Software Konsortiums« vor und erinnert an die mutige Gründung von Airbus im Jahr 1970.
Der Verband Österreichische Software Industrie (VÖSI) hat in einem Branchentalk am 12. Juni in Wien diese Idee diskutiert. »Ohne Software wird es in Zukunft keine Innovation geben. In Österreich sind zwar alle Fähigkeiten vorhanden, um richtungsweisende Software für die ganze Welt zu entwickeln. Aber leider bleiben wir bisher weit hinter unseren Möglichkeiten zurück, da gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen nicht stimmen«, sagt VÖSI-Präsident Peter Lieber, der selbst Unternehmer der Softwarebranche ist. Lieber empfiehlt »rasch zu handeln«, um Europa nicht weiter von Innovationen aus China oder USA abhängig zu machen.
Es brauche eine gesamteuropäische Strategie mit langem Atem, erklärt Wirtschaftsforscher Schulmeister. So könnte die Zahl der MitarbeiterInnen eines länderübergreifenden Softwarekonsortiums durchaus die Größe von Airbus erreichen und mit eigenen Produkten den heute herrschenden Quasi-Monopolen bei Betriebssystemen und sozialen Medien entgegenwirken.
Der Ökonom sieht generell die Gefahr einer neuerlichen weltweiten Finanzkrise. Eine starke europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit wäre eine gute Antwort auf einen drohenden krisenbedingten Nationalismus. »Ende der Sechziger-Jahre hatte man erkannt, dass Europa bei der Produktion von Passagierflugzeugen hoffnungslos im Rückstand war – und einzelne, private Unternehmen nicht Milliarden investieren konnten. Die Gründung des transnationalen, staatlichen Konsortiums Airbus hat es ermöglicht, konkurrenzfähige Flugzeuge herzustellen.« Auf ähnliche Weise könnte nun auch im Softwarebereich ein marktführendes Betriebssystem oder ein Office-Paket »made in Europe« geschaffen werden.
Komplexität des Produkts
Für Christian Huemer, Studiendekan TU Wien, Institut für Softwaretechnik und Interaktive Systeme, hatte Europa damals bei Airbus mit einem vergleichsweise einfachen Produkt zu tun: »Man hat gewusst: Es ist ein Flugzeug.« Bei der Software von morgen sei die Lage komplexer. Software durchdringt alle Bereiche der Wirtschaft und nimmt entsprechend vielfältige Formen ein. Die Stärke Europas in der Entwicklung von Softwareprodukten könnte aber in »grünen Themen« wie Nachhaltigkeit und Datenschutz liegen. Es sind Schwerpunkte, die zur Differenzierung im globalen Wettbewerb taugen. »Die Ampel steht jedenfalls auf grün, auch für die Softwareentwicklung«, ist Huemer überzeugt.
Dritter Weg gesucht
Für Gertraud Leimüller, Gründerin und Geschäftsführerin winnovation consulting, wäre die Gründung eines Softwarekonsortiums allein zu wenig. »Es braucht einen gesamthaften dritten Weg, wie Europa in seinem liberalen Gesellschaftsmodell neben China und USA mit Plattform-Ökonomie und Datenwirtschaft umgeht.« Dies wäre »leichter zu verkaufen«, denn lediglich ökonomische Stärke zu generieren, wäre für eine politische Legitimierung von Maßnahmen zu wenig. Leimüller sieht dazu politische Intervention notwendig, auch mit entsprechend ökonomischen Ressourcen. Das EIT – European Institute of Technology vernetzt bereits Forschungsinstitute und Universitäten. Es könnte nun als Vehikel auch für Firmengründungen und Start-ups dienen, ähnlich wie das MIT – Massachusetts Institute of Technology in den USA.
Bildung in der Digitalisierung
»Wir brauchen wieder große Visionen und Ziele. Damit ein Konsortium erfolgreich agieren kann, müssen klar Problemstellungen definiert werden, die überhaupt gelöst werden sollen«, fordert Philippe Narval, Generalsekretär Europäisches Forum Alpbach. Dem humboldtschen Bildungsideal einer humanistischen Lehre könnte auch eine digitale europäische Universität folgen – für lebenslanges Lernen und dem Transfer von Kompetenzen über Landes- und Unternehmensgrenzen hinweg. »In allen Gesellschaftsschichten herrscht Angst vor dem Zurückbleiben, vor der Ausgrenzung.« Narval wünscht sich ein europäisches Konsortium im Bildungsbereich, um auf breiter Ebene Angebote für die Menschen für berufliche Neuausrichtung zu schaffen.
Datenschutz als Wert
»Auch wenn die meisten Unternehmen damit einen Ärger haben – Datenschutz ist spätestens seit der Datenschutzgrundverordnung zu einem wichtigen Asset Europas geworden. Auch internationale Plattformen orientieren sich bereits daran. Die DSGVO ist zu einem Standard weltweit geworden – mit ›Privacy by design‹ und ›Security by design‹ können wir uns einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten«, ist futurezone-Redakteurin Barbara Wimmer überzeugt. Die betrifft nicht nur BürgerInnenrechte, sondern auch Industrielösungen etwa im Bereich »Internet of Things«. Für die Journalistin bietet gerade Open-Source-Software eine »große Chance für Alternativen zu Facebook und Co.« Wimmers Empfehlung für Europa: Kommerzielle Software nach ethischen Prinzipien gebaut kann den Mensch wieder in den Mittelpunkt stellen.
Geht es nach Thomas Röblreiter, Experte Enterprise Europe Network bei der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), haben Österreich und Europa bereits eine hervorragende Förderlandschaft, um auch riskante Innovationsprojekte voranzutreiben. »Förderungen sind nicht nur wichtig, um Entwicklungsphasen zu finanzieren, sondern auch um die anschließende Markteinführung zu unterstützen – das wird oft vergessen«, erinnert Röblreiter. Dem FFG-Vertreter zufolge sind Unternehmen in Europa »etwas gehemmt«, ihre Produkte auch international zu vermarkten. »Unsere Welt ist oft der DACH-Raum – mehr nicht. Wir entwickeln tolle Lösungen, unterschätzen aber deren Unique-Selling-Proposition.« Jedenfalls könnte bei einem europäischen Softwarekonsortium auch Österreich auf internationaler Ebene groß mitspielen.
Bild: Peter Lieber, VÖSI. »Auf europäischer Ebene kocht die IT-Branche kleine Süppchen. Da sind uns die Amerikaner überlegen.«