»Lügenpresse«, Parallelgesellschaften, Filterblasen – Populismus und Algorithmen stellen die digitale Gesellschaft vor gewaltige Aufgaben.
Hillary Clinton betreibt einen Kinderpornoring, Alexander van der Bellen ist dement und Flüchtlinge bekommen bei Einreise ein iPhone vom Staat geschenkt – wer seine Nachrichten abseits arrivierter Printmedien konsumiert, sieht sich einer bizarren Parallelrealität gegenüber. Und das tun inzwischen die meisten Menschen: In dem Ausmaß, in dem klassische Medien wie Zeitungen und Nachrichtenmagazine an Reichweite einbüßen, wachsen Social-Media-Kanäle und News-Beiträge auf Facebook, YouTube und Twitter ins Riesenhafte. Da ist es nicht nur für verblendete Stammtischdiskutierer schwierig, populistische Lügen, Falschmeldungen und Hetzpropaganda von Fakten und der altmodischen »Wahrheit« zu trennen: Jüngste Studien belegen, dass jugendliche Leser in besorgniserregendem Umfang nicht imstande sind, auch haarsträubende »Fake News« als Unsinn zu erkennen oder auch nur gesponserten Content wie Anzeigen von echten Artikeln zu unterscheiden.
Das mag zum einen einer Schul- und Bildungspolitik anzulasten sein, die nicht nur hierzulande der digitalen Lebensrealität oft um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinterherhinkt, zum anderen ist dieses bedrohliche Versagen, Propaganda und Wahrheit zu unterscheiden, aber auch dem Erfolg der großen Social-Media-Plattformen anzulasten: Facebooks Algorithmen sind eben darauf programmiert, besonders heiß diskutierte Beiträge auf die Bildschirme der User zu pushen. Dadurch entstehen einerseits förmliche Lawinen besonders aggressiver Meldungen mit oft geringem Wahrheitsgehalt, andererseits festigt sich durch die persönliche Zuschneidung des Gezeigten auch jene »Filterblase«, in der ausschließlich die eigenen Ansichten, Meinungen und Weltbilder bestärkt werden. Willkommen im postfaktischen Zeitalter.
Die Polarisierung der Gesellschaft zeigt sich somit nicht zufällig in dem, was auf den Facebook-Profilen etwa eines Norbert-Hofer- und eines Van-der-Bellen-Fans an News bereitgestellt wird, wie der Standard jüngst in einer Analyse der jeweiligen News-Feeds auf Facebook erhoben hat: Apokalyptische Horrorszenarien von Islamisierung und Dauernotstand auf der einen, dramatische Warnungen vor rechter Gewalt und Radikalisierung auf der anderen Seite lassen das Gefühl entstehen, hier wäre von zwei verschiedenen Welten die Rede.
Natürlich ist das alles gut fürs Geschäft, sowohl jenes von Facebook & Co als auch das findiger Trittbrettfahrer, wie etwa jener mazedonischen (!) Schlaumeier, die während des US-Wahlkampfs im großen Stil amerikanische Leser mit frei erfundenen, aber perfekt ins Weltbild passenden Artikeln über Trump und Clinton anlockten und so absurde Geldmengen scheffelten. Der Kollateralschaden: Wähler, die aufgrund dieser Verwirrung gegen ihre Interessen abstimmen, Polarisierung und gesellschaftliche Destabilisierung.
Der Kampf gegen diese Art von Gesellschaftsschädigung kommt erst langsam in die Gänge. Nur zögerlich erklärt sich Facebook bereit, künftig Werkzeuge zur Kennzeichnung erfundener »News« bereitzustellen. Die Politik drängt auf rasches Handeln: Die deutsche CSU preschte vor kurzem mit der Forderung vor, gezielte Desinformationskampagnen als Straftatbestand zu verankern. Wie dramatisch der Informationskrieg ausgehen kann, zeigt sich in den USA: Dass russische Hacker am Sieg Donald Trumps durch gezielte Kampagnen großen Anteil hatten, wird kaum mehr bestritten – doch Konsequenzen gibt es bislang keine. Es wäre an der Zeit, das Wuchern dieser Krankheit energisch zu bekämpfen – solange es nicht zu spät ist.