Digitaler Bücherwurm
Elektronik und weltweite Vernetzung haben unser Leben verändert: wie wir Musik hören, wie wir Filme und TV konsumieren, wie wir kommunizieren. Nur die älteste Kulturtechnik von allen, das Lesen, schien bislang im elektronischen Dornröschenschlaf, obwohl seit über zehn Jahren kontinuierlich weltweit die „elektronische Revolution des Buches“ angekündigt wird. Mit Amazons „Kindle“, einem seit 2007 erhältlichen E-Book-Reader mit e-Paper-Technologie, änderte sich einiges – allerdings bisher nur im Rest der Welt. Im deutschen Sprachraum ignorierten sowohl Verlage als auch Buchhandel die schöne neue Welt des elektronischen Lesens beharrlich. Nur langsam, mit dem Marktstart mehrerer Lesegeräte für den deutschsprachigen Markt und zögerlich etablierten E-Book-Portalen wie libri.de, belebt sich die Szene. Während allerdings Amazons Eigenentwicklung „Kindle“ bisher nur in den USA erhältlich ist und bereits erste Rechtsstreitigkeiten mit den Autorenverbänden ausgefochten wurden, kommen hierzulande erst Mal andere Anbieter zum Zug: Anfang April startet etwa Sony mit Unterstützung von Thalia mit einem Reader in den österreichischen Markt.
Die Vorteile der Technologie scheinen verlockend: Das elektronische Lesen ist umweltfreundlich, praktisch, spart Platz und Zeit. Dank der e-Paper-Technologie ist das Schriftbild gestochen scharf und optisch fast nicht von normalem Papier zu unterscheiden, und eine Akkuladung sollte für fast 7.000 Mal Umblättern reichen. Vorbei die Zeiten übervoller Regale und kiloschwerer Reiseführer, die man im Urlaub mit sich schleppen muss – könnte man meinen. Die größte Hürde für den Erfolg des Konzepts liegt aber weder in der technischen Umsetzung noch in der nostalgischen Verklärung erklärter Bücherfreunde, sondern ganz woanders: Der internationalen Verlagsbranche ist das Ganze etwas unheimlich.
Man kann es den Autoren, Verlagen und Buchhändlern nicht verübeln, dass sie die digitale Revolution eher als Gefahr denn als Chance wahrnehmen. Der Todeskampf der bisher so wohlgenährten Musik- und Filmindustrie ist in vollem Gange, die digitale Verteilbarkeit ihrer Güter lässt Vertriebs- und Businessstrukturen zusammenfallen wie Kartenhäuser. Doch leider scheint man in der Verlagsbranche daraus wenig gelernt zu haben: Amazons „Kindle“ schnürt die Käufer mit proprietären Formaten und DRM eng ein, und auch die geplante Preisgestaltung auf dem deutschsprachigen Markt zeigt die Ahnungslosigkeit der Verantwortlichen, wie mit der wunderbaren Welt des Web und ihrer unbekümmerten Verteilungsmoral umgegangen werden sollte: Selbstverständlich könne man die digitalen Bücher, so sich die Verlage überhaupt zu elektronischen Ausgaben durchringen, nicht günstiger als die handfesten Papierversionen abgeben, ließ kürzlich der Börsenverein des deutschen Buchhandels ausrichten. Apples iTunes, das Vorzeigemodell im Umgang mit zahlungswilligen Musikkunden, ist allerdings gerade wohl auch deshalb so erfolgreich im Verkaufen von auf anderswo umsonst zu habender Musikstücke, weil dort ein vom Käufer als fair wahrgenommener niedrigerer Preis verlangt wird – eine Lektion, die im Buchhandel derzeit noch ignoriert wird. Zumindest will man sich aber das Katz-und-Maus-Spiel mit den Raubkopierern ersparen und statt DRM auf Wasserzeichen setzen, die den ursprünglichen Käufer dauerhaft im tauschbaren eBook verewigen.
Dass auch Bücher zur beliebig kopierbaren Ware in einem weltweiten Netz potenzieller Käufer werden, scheint auf absehbare Zeit unvermeidlich. Die bisherigen Aktivitäten der Rechteinhaber deuten aber auch hier eher darauf hin, dass auch sie ihr unzeitgemäß werdendes Geschäft mit Gewalt verteidigen werden, statt innovativ die neuen Märkte mit passenden Angeboten zu bearbeiten. Eines scheint aber sicher: Dass in Zukunft weniger Bücher gelesen werden, ist nicht zu befürchten – im Gegenteil.