Sonntag, Dezember 22, 2024

Im Interview mit Report(+)PLUS erklärt der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, wie er den großen Wohnbedarf der Hauptstadt stillen will, wie die Erfahrungen aus dem Megaprojekt Seestadt Aspern auch in andere Entwicklungsgebiete einfließen und wie das Erfolgsmodell der Sanften Stadterneuerung funktioniert.

Von Bernd Affenzeller

(+) Plus: Wien ist alleine im Jahr 2014 um rund 33.000 Personen gewachsen. Dazu kommt der Trend zu Single-Wohnungen. Wie kann dieser zusätzliche Wohnbedarf gestillt werden?


Michael Ludwig: Es stimmt, dass Wien eine sehr attraktive Stadt ist. Das liegt auch an der hohen Qualität des geförderten Wohnbaus und der hohen Anzahl an geförderten Wohnungen. Diese rund 420.000 Wohnungen wirken sich auf den gesamten Wohnungsmarkt positiv aus, weil sie eine mietpreisdämpfende Wirkung haben. Wir tragen dem Bevölkerungswachstum, zu dem ja auch der Geburtenüberschuss und mitziehende Kinder und Jugendliche zählen, durch eine kontinuierlich gesteigerte Neubauleistung Rechnung. Im vergangenen Jahr wurden 7.273 neue geförderte Wohnungen übergeben und knapp 8.000 zugesichert. Dieses Niveau wollen wir halten. Damit sind wir europaweit einsame Spitze. Nicht zu vergessen ist das frei finanzierte Segment. Auch der Zunahme der Singlehaushalte begegnen wir im geförderten Neubau mit verschiedenen Modellen, vom gemeinschaftlichen Wohnen bis hin zu anteilig mehr Ein- und Zweizimmerwohnungen. Ich bin überzeugt, dass wir mit allen Maßnahmen im Rahmen der Wohnbauförderung die Nachfrage an Wohnraum, auch besonders kostengünstigem, etwa mit dem SMART-Wohnbauprogramm und den Gemeindewohnungen Neu, abdecken.

(+) Plus: Sie haben kürzlich neue Vergaberichtlinien für den geförderten und kommunalen Wohnbau vorgestellt. Was erwarten Sie sich davon?

Ludwig: Mit der Harmonisierung der Kriterien für die Wohnungsvergabe und der Einrichtung einer zentralen Anmeldemöglichkeit für das gesamte Angebotsspektrum schaffen wir zusätzliche Erleichterungen auf dem Weg zu einer passenden, kostengünstigen Wohnung. Das ermöglicht eine wesentlich raschere und treffsicherere Angebotslegung. Nach nur noch einer Anmeldung bzw. Registrierung erhalten Wohnungssuchende ihr persönliches Wiener Wohn-Ticket. Mit dieser Eintrittskarte in den geförderten und kommunalen Wohnbau erhalten die Interessentinnen und Interessenten je nach den persönlichen Grundvoraussetzungen und Wünschen individuell maßgeschneiderte Angebote aus dem vielfältigen Spektrum, von der Gemeindewohnung über die geförderte Wohnung, bis hin zu den neuen SMART-Wohnungen oder auch jenen aus der Wiener Wohnbauinitiative. Die Harmonisierung und Vereinheitlichung der Vormerkrichtlinien umfasst also das gesamte Wohnungsangebot, das über die Wohnberatung Wien zur Vergabe kommt. Ab 1. Juli wird der Lebensmittelpunkt Wien noch stärker berücksichtigt. Personen, die bereits seit langem in Wien wohnhaft sind, können einen Bonus von bis zu neun Monaten in der Reihung der Angebotslegung erhalten. So werden für jeweils volle fünf Jahre, für die jemand seinen Lebensmittelpunkt in Wien nachweist, drei Monate „gutgeschrieben“. Es werden jedoch maximal 15 Jahre „angerechnet“. Ist diese Dauer des Lebensmittelpunkts Wien erfüllt oder überschritten, wirkt sich dies mit einem Bonus von maximal neun Monaten in der Reihung aus.

(+) Plus: Mit dem Gemeindebau Neu in der Fontanastraße tritt die Stadt Wien wieder selbst als Bauherr in Erscheinung. Wie viele Gemeindebauten werden mittelfristig folgen?

Ludwig: Ziel ist es, in den kommenden fünf Jahren 2.000 Gemeindewohnungen Neu auf Schiene zu setzen. Die Stadt Wien tritt allerdings nicht selbst als Bauherrin auf. Zur Umsetzung dieser Gemeindewohnungen Neu wurde die WGEG – Wiener Gemeindewohnungs- Entwicklungsgesellschaft gegründet. Die Errichtung der Gemeindewohnungen übernimmt die ebenfalls neu gegründete und eingetragene WIGEBA – Wiener Gemeindewohnungs- Baugesellschaft, eine 100%-Tochter der WGEG. Diese wird den Bau jedoch nicht selbst durchführen, sondern die entsprechenden Bauaufträge zur Errichtung der Gemeindewohnungen nach dem Bundesvergabegesetz ausschreiben.

(+) Plus: Große Stadtentwicklungsgebiete laufen immer wieder Gefahr, zur reinen Schlafstadt zu verkommen. Wie stellen Sie sicher, dass das in der Seestadt Aspern nicht passiert?

Ludwig: Wien ist weltweit anerkannt, weil es hier eine soziale Durchmischung gibt. In den großen Entwicklungsgebieten versuchen wir gezielt zu intervenieren und auch eine funktionale Durchmischung zu erzielen. Das gelingt auch sehr gut, wenn ich etwa an das Sonnwendviertel denke. In der Seestadt Aspern werden ja nicht nur bis 2028 rund 10.500 Wohnungen für 20.000 Menschen errichtet. Die Entwicklung geht einher mit Errichtung der sozialen Infrastruktur, etwa dem Schulcampus und einer Bundesschule. Aber es werden auch 20.000 Arbeitsplätze geschaffen. Der Konzern Hoerbiger, der sich in der Seestadt ansiedeln wird, ist ein prominentes Beispiel – noch dazu im Bereich Forschung und Innovation, wo wir in Aspern den Schwerpunkt setzen wollen. Wien hat insgesamt eine strategisch günstige Lage und bietet beste Voraussetzungen.

(+) Plus: Inwieweit werden die Erfahrungen aus der Seestadt auch in andere Projekte einfließen?

Ludwig: Wir entwickeln die Seestadt bewusst in Etappen, allein schon um Erfahrungen aus dem ersten Schritt in den zweiten einfließen zu lassen. In anderen Ländern hätte man dieses Megaprojekt auf einmal buchstäblich aus dem Boden gestampft. Wie Sie wissen, verfolgt Wien die Rahmenstrategie Smart City Wien. Seestadt Aspern fungiert als Stadtlabor der Smart City Wien, als ein Ort, wo smarte Ideen, Technologien und Konzepte ausprobiert werden. Ich möchte zwei Beispiele nennen, wo auch schon Entwicklungen der Seestadt weitergeführt wurden. In Aspern haben wir ein Stellplatzregulativ von 0,7. Es gibt für zehn Wohnungen also sieben Stellplätze. In der Garagenverordnung von 2014 haben wir einen Stellplatz pro 100 m2 Nutzfläche.

(+) Plus: Die Sanfte Stadterneuerung gilt als ein absolutes Erfolgsmodell und wurde mit der »Scroll of Honour«, der höchsten internationalen Auszeichnung im Bereich des Wohnens, prämiert. Was ist das Besondere an dem Modell?

Ludwig: Wien hat sich Anfang der Siebzigerjahre entschlossen, die abgewohnten Gründerzeitviertel behutsam zu revitalisieren. Das heißt im Einklang mit der dort ansässigen Bevölkerung und ohne diese zu verdrängen. Und das gelingt uns gut. Wir haben diesen »Wohnbau-Oscar« ja vor allem für die soziale Komponente der Sanften Stadterneuerung erhalten. Gentrifizierung ist beinahe kein Thema, ganz verhindern können wir sie nicht. Wir verbinden die Sanierungsförderung mit der Auflage, dass die Mieten 15 Jahre gebunden sind. Wien war vor 40 Jahren grau und in den Gründerzeitvierteln abgewohnt, ganz zu schweigen von einem Substandardwohnungsanteil von 42 Prozent. Jetzt sind wir bei unter drei Prozent. Wir versuchen nicht nur einzelne Häuser zu sanieren, sondern im Rahmen von Blocksanierungen ganze Grätzel, wo nicht nur die Wohnhäuser revitalisiert werden, sondern auch andere Interventionen zur Aufwertung des Wohnumfelds durchgeführt werden. Hier leisten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gebietsbetreuungen Stadterneuerung als Stadtteilexperten großartige Arbeit. Die bisherige Bilanz ist beeindruckend. 750.000 Wienerinnen und Wiener wohnen in einer der über 330.000 gefördert sanierten Wohnungen. Dass das Brunnenviertel, der Karmelitermarkt als Wohngegenden so boomen, ist nicht zuletzt ein Verdienst der auch finanziell hohen Anstrengungen der Stadt Wien. 

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