Samstag, Dezember 21, 2024

Die Ansprüche an Gebäude steigen: Komfortabel sollen sie sein, effizient und nachhaltig, dabei aber günstig in Errichtung und Betrieb. Der Bau & Immobilien Report zeigt, wie Forschungsinstitute und Bauwirtschaft auf die neuen Anforderungen reagieren.

Von Karin Legat

Wo liegt der Unterschied zwischen einem Gebäude aus dem Jahr 1913 und einem von 2013? Claudia Dankl, Programm-Managerin von »Haus der Zukunft« bei der ÖGUT, lacht. »Das ist eine gute Frage. Die Gebäudehülle ist heute effizienter, die Haustechnik modern, Steuerung und Regelung sind teilweise sehr komplex und stellen hohe Anforderungen an die Nutzer. Sie bedeuten aber Bequemlichkeit und Wohnkomfort.«

Weg frei
Forschung und Entwicklung erstrecken sich heute über das gesamte Bauwesen. »Ab 2020 müssen alle neu errichteten Gebäude nahezu energieautark sein«, erinnert Udo Pappler, Bereichsleiter Werkstoffanwendungen beim OFI. »Das ist ein gewaltiger Treiber am Markt. Mit der üblichen Geothermie, ein bisschen Wärmepumpe und Solar wird man nicht über die Runden kommen. Hier braucht es z.B. die Integration von Photovoltaik in die Gebäudefassade.« Das ist eines der Schwerpunktthemen des OFI. »Wir finden Materialentwicklungen, die in ihren neuartigen Qualitäten erst verstanden und für den optimalen Einsatz interpretiert werden müssen«, erwähnt Christine Bärnthaler vom Netzwerk Ofroom.
»Ohne Forschung kann ein Baustoffproduzent heute langfristig nicht mehr erfolgreich sein«, so Georg Bursik, Geschäftsführer der Wopfinger Baustoffindustrie. Die Anforderungen werden aufgrund der vielen EU-Vorschriften immer höher. Häuser müssen immer energieeffizienter gestaltet werden. Für Andreas Oberhuber, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen, zählen auch Aspekte der Nutzung, Sicherheitsfragen sowie Brand- und Katastrophenschutz. Die Baustoffforschung ist hier ebenso gefragt wie die Bauprodukte- und Bauprozessentwicklung. Johannes Steigenberger, Institutsleiter des Forschungsinstituts der VÖZ, geht ins Detail. »Die in den Häusern ohnehin vorhandenen Bauteile aus Beton sind bei intelligenter Planung der Haustechnik nicht nur passiv wirksam, sondern ein ganz hervorragend funktionierender Energiespeicher für die thermische Bewirtschaftung von Gebäuden.«

Im Großen …
»Manchmal muss Bewährtes einfach neu gedacht werden«, regt Christian Weinhapl, Geschäftsführer der Wienerberger Ziegelindustrie, an und verweist auf einen Bürobau in Lustenau, der beste energetische Werte nur dank der elementaren Mittel der Architektur erreicht. Forschung motiviert aber auch und kann Entwicklungsprozesse verkürzen. Im Fokus stehen Systemlösungen, welche die Produktivität erhöhen und somit leistbares Bauen ermöglichen. Dazu zählen bei Wienerberger Innovationen wie das Porotherm-Dryfix-System (Planziegel-Kleber) oder die industriell vorgefertigten Porotherm Redbloc Ziegelfertigteile.
In Sachen Energieeffizienz geht die Entwicklung in Richtung neuer Gebäudekonzepte, wie dem e4-Sonnenhaus, und beim Ziegel in Bausysteme für einschalige Mauerwerke ohne außenliegende Zusatzdämmung. Beim neuen Porotherm W.i. Ziegel ist zum Beispiel innovativerweise die Dämmung in Form von Mineralwolle bereits werkseitig in den Ziegel verfüllt. So können mit einer einschaligen Wandkonstruktion Niedrig(st)energie- und Passivhäuser realisiert werden.
»Forschung und stetige Weiterentwicklung sind von entscheidender Bedeutung«, bestätigt auch Herbert Hochreiter, Leiter der Technologieentwicklung bei Internorm. Nur durch Forschung und Entwicklung entstehen innovative Projekte wie zuletzt die vollständig in den Fensterrahmen integrierte I-tec Lüftung mit 84-prozentiger Wärmerückgewinnung und die energieautarke I-tec Beschattung für Verbundfenster, bei der die Energie für den Motorantrieb aus einem integrierten PV-Modul gewonnen wird.
Auch Baumit ist stark auf Forschung fokussiert. »Nur so konnten Produkte wie das atmungsaktive Wärmedämmverbundsystem Baumit open, das Verankerungssystem Baumit KlebeAnker oder das Anti-Aging-System Baumit Nanopor für die Fassade die Welt erobern«, erklärt Georg Bursik.

… und Ganzen
Ein Schwerpunkt der ÖGUT ist das Management von »Haus der Zukunft«. Ziel des Programms ist es, innovative Lösungen für Komponenten, Bauteile und Bauweisen für den Wohn-, Büro- und Nutzbau zu finden. Ein Beispiel: vorgefertigte Fassadenelemente für die Gebäudesanierung. Holzforschung Austria führt anhand der beiden bauphysikalischen Forschungsgebäude Untersuchungen zur Energieeffizienz sowie zu innovativen Neuentwicklungen im 1:1-Maßstab durch.
»Der Einsatz von vorgefertigten Holz­elementen mit integrierter Haustechnik stellt eine zukunftsweisende Möglichkeit für die Sanierung bzw. die Modernisierung von Bestandsgebäuden sowie die Erweiterung und Aufstockung dar. Darüber hinaus laufen Forschungsschwerpunkte im Bereich des mehrgeschoßigen Holzbaus im städtischen Bereich«, informiert Martin Teibinger, Bereichsleiter Bauphysik der Holzforschung Austria.  Auch bei Velux ist die Forschungspalette umfangreich. »Wir arbeiten permant an Lösungen, die Energieeffizienz unserer Produkte zu verbessern und gleichzeitig mehr Tageslichteintrag zu ermöglichen«, nennt Projektleiter Heinz Hackl die widersprüchlich scheinende Zielrichtung.

Overview
Einen Überblick über heimische F&E-Tätigkeiten bietet das Innovationsradar der Austrian Cooperative Research, ACR, das sich jedes Jahr unter anderem den Themen Nachhaltigkeitskonzepte und -normen, Lebenszykluskosten und Energieeffizienz widmet. Das nächste Innovationsradar erscheint Ende 2013 (www.acr.ac.at). Ofroom präsentiert Material- und Produktneuheiten für die Architektur im jährlich erscheinenden material:book, z.B. das Dämmsystem UdiRECO, das elektrochrome Glas SageGlass oder Aerogele. »Die Bauforschung geht ganz klar weiter in Richtung Ressourceneffizienz in jeder Form«, so Petra Sölkner vom Bautechnischen Institut Linz. Ein entscheidender Faktor kommt dabei der ganzheitlichen Betrachtung von Bauwerken hinsichtlich Lebenszyklus zu. Laut Sölkner entwickelt sich Lifecycle zu einem Megatrend. Velux forscht beim Projekt Modelhome 2020 mit sechs Demonstrationsprojekten an integrierten Wohnkonzepten für Wohnqualität, Funktionalität und Energieverbrauch und führt ein umfangreiches Monitoring durch. Bautypen stehen auch bei der Holzforschung Austria auf der Agenda. »Beim Projekt Innovative Gebäudekonzepte werden durch Kombination von vier Bautypen – Niedrigenergie-, Sonnen-, Passiv- und Plusenergiehaus  – unter Berücksichtigung verschiedener Konstruktionsarten (Beton-, Holz-, Ziegelbauweise) und Haustechnik sowie Wärmedämmungssysteme fiktive Gebäudekonzepte entwickelt, analysiert und verglichen«, informiert Martin Teibinger. Claudia Dankl berichtet, angesprochen auf das Thema Energie, u.a. vom Projekt ICoSEB, das sich mit smarter Regelungstechnik auch im Gründerzeitbestand befasst.

Forschungswege
Die Wege von F&E sind im Bauwesen vielfältig. Die Großindustrie forscht dank vorhandener Ressourcen meist selbst. Kleinere Unternehmen lagern oft an Forschungsinstitute und bautechnische Institute wie ACR, Holzforschung Austria, OFI oder VÖZ aus (alles Mitglieder der ACR). Universitäre Einrichtungen haben das Bauwesen längst in ihre Agenda aufgenommen. »Unsere Forschungsaktivitäten umfassen Entwicklungsprojekte zur Steigerung der Gesamtenergieeffizienz, der thermischen Behaglichkeit, der Raumluftqualität sowie integrale Energiespeichertechnologien wie thermisch aktive Bauteile«, berichtet Christian Heschl, Studiengangsleiter Gebäudetechnik und Gebäudemanagement an der FH Burgenland.

»Eine Herausforderung der Zukunft ist die Überwindung der zeitlichen Inkohärenz zwischen dem Energiebedarf und der Verfügbarkeit bei EE. Hier kann u.a. die Sorptionsspeichertechnologie einen wesentlichen Beitrag leisten.« Die Forschungsaktivitäten der Donau-Universität Krems integrieren den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes, von Real Estate Management über nachhaltige Architektur bis hin zu Facility Management«, stellt Richard Sickinger, Leiter des internationalen Lehrgangs für nachhaltiges Bauen Future Building Solutions MSc, fest.

Forschung 2013+
»Das Bauwesen ist in einer Phase, in der es Innovation braucht«, betont Claudia Dankl. Neue Materialien sieht Udo Pappler zwar nicht, jedoch neue Materialkombinationen, »etwa Compounds von polymeren Werkstoffen mit besonderen Eigenschaften und Beschichtungen«. Für Christine Bärnthaler steht das Bauwesen am Beginn eines »disruptiven Innovationsprozesses«. Architektur wird sich in ihrem technischen und ökologischen Anspruch neu definieren. Viele moderne Technologien sind bekannt, können sich in der Breite aber nicht durchsetzen und werden vom Kunden nicht wahrgenommen. »Man muss zeigen, was möglich ist. Nachhaltige Energien müssen im Wohnbau jederzeit eingesetzt werden können. Wenn bei PV etwa Schnittstellen und Kanäle im Neubau mitbedacht werden, ist es viel wahrscheinlicher, dass solche Technologien später auch zum Einsatz kommen«, zeigt Claudia Dankl auf. Auf gutem Weg befindet sich die thermische Bauteilaktivierung. »In Kombination mit regenerativen Energiesystemen und prädiktiven Regelstrategien ist noch ein großes Entwicklungspotenzial zu erwarten« betont Heschl. Man darf die Bauforschung laut Andreas Oberhuber aber nicht auf Wohnen und gewerbliche Bauten beschränken. Auch Infrastrukturanlagen zählen zur Bauforschung. Im Betonbereich wird hier an der Langlebigkeit und Festigkeit  unter Einbeziehung der Optimierung der Oberflächen im Straßenbau (Lärmreduktion, Griffigkeit, Helligkeit, Ebenheit, Recycling, …) geforscht. »In der Weiterentwicklung der Baustoffe gibt es im Feinteilbereich noch enormes Potenzial.
Durch neue Analysemethoden können die Korneigenschaften von Zementen und Baustoffen hinsichtlich Mahlprozess, mineralischer Zusammensetzung, Homogenisierung und Ressourcenverbrauch verbessert werden«, informiert Steigenberger. Ultrahochleis­tungsbeton wird mit Stahlfasern verstärkt,­
die ihn bei weniger Volumen deutlich widerstandsfähiger und günstiger machen. Die Gebäudetechnik wird laut FGW, ACR-Partnerinstitut, aber auch in Zukunft eine sehr große Rolle spielen.r

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