Sonntag, Dezember 22, 2024

Gefesselt – so fühlen sich viele Menschen, die etwa nach einem Sportunfall für einige Wochen auf den Rollstuhl angewiesen sind. Ältere und körperlich eingeschränkte Menschen müssen oft ihr ganzes Leben auf das Transportmittel Rollstuhl ausrichten. Zu schmale oder schwer zu öffnende Türen stellen auch für Eltern mit Kinderwägen ein enormes Handicap dar. Barrierefreie Lösungen sind das Gebot der Stunde. Eine langjährige Forderung der Bundesinnung Bau soll jetzt endlich umgesetzt werden.

Barrierefreies Bauen und Wohnen wird immer nur mit Alt und Behindert in Verbindung gebracht, oft mit Rollstuhl. Das bestätigt Robert Labi, Leiter der Kompetenzstelle für barrierefreies Planen, Bauen und Wohnen in Wien: »Die Konzentration auf den Rollstuhl ist einfach erklärt. Rollstuhlfahrer benötigen die größten baulichen Veränderungen. Andere Sinnesbehinderungen sind relativ einfach mit technischen Hilfsmitteln zu lindern. Ein blinder Mensch kann ein reguläres WC nutzen, er benötigt lediglich einen Haltegriff, gehörlose Menschen brauchen kommunikative Hilfsmittel.« Kritik übt er daran, dass Rollstuhlfahrer das klassische Bild eines Behinderten repräsentieren. »Das Bewusstsein fehlt, dass es viele Arten von Behinderung gibt.« Fast jeder dritte Österreicher weist laut Helpstars eine körperliche Beeinträchtigung auf. Hohe Stufen, Türschwellen, zu schmale Türrahmen, schwer zu öffnende Eingangstore und schlecht gekennzeichnete Glastüren bilden auch Barrieren für Kinder und Eltern mit Kinderwägen und verletzte Personen.

Die Autorin dieser Zeilen kann aus eigener Erfahrung sprechen: Vor einigen Jahren war sie für drei Monate auf den Rollstuhl angewiesen. Drei Monate, die vorwiegend auf das Rehabilitationszentrum und die eigenen vier Wände beschränkt waren. Denn freier Zugang war durchwegs ein Fremdwort – nicht nur im öffentlichen Bereich. Wie sich bauliche Barrieren einfach und schon bei der Planung von Gebäuden und deren Umgebung vermeiden lassen, dafür liefert die neu überarbeitete ÖNORM B 1600 die notwendigen Grundlagen, die mit 1. Oktober 2013 erschienen ist. Das Normenwerk ist als umfassende Empfehlung und als Planungsinstrument für Bauherren und Planer bei der Umsetzung barrierefreier Gebäude anzusehen, heißt es von Austria Standards. Die ÖNORM B 1600 formuliert dabei die grundlegenden Anforderungen an barrierefreies Bauen. Für spezielle Nutzungen gelten: ÖNORM B 1601 Gesundheits-, ÖNORM B 1602 Bildungs-, ÖNORM B 1603 Tourismus- und Freizeiteinrichtungen.

Barrierefrei Wohnen
»Wir haben viel Kontakt mit älteren Menschen, die in ihren Wohnungen bleiben möchten, diese aber nicht mehr mit ihrem Rollstuhl oder Rollator verlassen können«, berichtet Labi. Laut Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner wollen 80 Prozent der Generation 50 plus bauliche Maßnahmen für ihren Lebensabend vornehmen. Mit dem Seniorenscheck, der einen Teil der anlaufenden Koalitionsverhandlungen bildet, will die Regierung die barrierefreie Gestaltung von Wohnungen fördern. Damit kommt sie einer langjährigen Forderung der Bundesinnung Bau nach. Bundesinnungsmeister Hans-Werner Frömmel: »Der Bereich altersgerechte Adaptierung von Häusern und Bestandswohnungen ist für die betroffenen Familien sowie für die öffentliche Hand von so großer Bedeutung, dass dazu eine eigene bundesweite Förderschiene aufgebaut werden sollte.« Dabei könne auf die bewährte Administration durch KPC und Bausparkassen zurückgegriffen werden.

Derzeit sind nur 13 Prozent der Häuser und Wohnungen gänzlich, weitere 24 Prozent teilweise barrierefrei. »Bei Gründerzeitbauten ist schon das Betreten der Wohnung mühsam. Es gibt nicht genügend Bewegungsflächen oder zu schmale Türen. In vielen Altbauten sind Zwischengeschoße Wohnstandard«, beschreibt Robert Labi von der Kompetenzstelle für barrierefreies Planen, Bauen und Wohnen in Wien die aktuelle Situation. Plattformtreppenlifte bilden hier eine gute Lösung, um den Zugang zum Aufzug zu ermöglichen. In einem mehrstöckigen Gebäude relativiert sich das aber wieder. Viele Betroffene stoßen an ihre finanzielle Grenze. In dieser Situation ist die Übersiedelung in untere Geschoße eine mögliche Alternative. Mehrere Betroffene wohnen dann auf der gleichen Etage, es muss nur ein Treppenlift installiert werden. Das ist aber nicht immer umzusetzen.

Helmut Melzer von wohnnet.at regt in diesem Zusammenhang eine verpflichtende Quote an barrierefreien Wohnungen im geförderten Wohnbau an. Barrierefreie Wohnlösungen gibt es viele, so auch das Generationenhaus. Mittlerweile wird die Nachfrage nach Informationen weitgehend abgedeckt. Austrian Standards veranstaltet etwa am 2. Dezember den Info-Event »[im Focus:] Barrierefreiheit«. Der Fonds Soziales Wien, die Kompetenzstelle für barrierefreies Planen, Bauen und Wohnen sowie alle Landes-Bauressorts bieten umfangreiche Beratung. Im Verlag des Österreichischen Normungsinstituts ist das Buch »Barrierefreies Planen und Bauen in Österreich – Ein Handbuch für mehr Mobilität« von Maria Grundner, Mobilitätsagentur, erschienen.

Rechtliche Barrieren?
Barrierefreiheit wird langsam selbstverständlicher Teil im Alltag. Veranstaltungsstätten müssen gemäß Legislative bereits rollstuhlgerecht errichtet und mit einem rollstuhlbenutzbaren WC ausgestattet sein. »Lokale, die vor 1998 errichtet wurden, haben das noch nicht. Wenn sie allerdings um einen Umbau ansuchen, wird Barrierefreiheit automatisch vorgeschrieben«, informiert Labi. »Bei öffentlichen Gebäuden müssen Planer bei uns eine Vidierung einholen.« Die OIB 4 behandelt Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit auch im privaten Bereich. Sie regelt vertikale Erschließungen ebenso wie Durchgangsbreiten und -höhen. Punkt 8 verweist in vielen Punkten auf die überarbeitete ÖNORM B 1600, etwa bei Rampen, Stellplätzen für KFZ, Eingängen und Türen sowie Sanitärräumen und Kennzeichnung. Neu in der ÖNORM finden sich taktile und visuelle Orientierungssysteme, womit die Bedürfnisse von Personen mit Hör- oder Sehbehinderungen angesprochen werden.

Barrierefreies Tohuwabohu
Förderungen für barrierefreien Umbau gibt es derzeit in allen Bundesländern, allerdings mit unterschiedlichen Kriterien. In Wien ist Barrierefreiheit seit der Bauordnungsnovelle 91 bei Neubauten zwar verpflichtend vorgeschrieben, mit einem Zuschuss von 75 Prozent der Baukosten (max EUR 12.000,–) oder laufenden Annuitätenzuschüssen wird allerdings nur der behindertengerechte Umbau gefördert, z.B. Türverbreiterungen, Rampen und automatische Türöffner. Die Steiermark betreibt Seniorenförderung in Form von nicht rückzahlbaren Annuitätenzuschüssen zu Darlehen oder einmaligen Förderungsbeiträgen (15 Prozent der anerkannten Kosten) für Schwellenbeseitigungen, Treppenmarkierungen und z.B. Hebehilfen. In Oberösterreich sind laut Bautechnikgesetz Wohnungen so zu planen und auszuführen, dass sie mit minimalem Aufwand für die barrierefreie Nutzung adaptiert werden können. Für Wohngebäude mit bis drei Wohnungen ist die barrierefreie Gestaltung baurechtlich zwar nicht verpflichtend, jedoch wird für die freiwillige Ausführung eine erhöhte Förderung gewährt.

Tirol leistet finanzielle Unterstützung u.a. durch die Impulsförderung »Sicheres Wohnen«. Für Maßnahmen wie Rampen, Treppensteiger, Lift und Badumbau gibt es eine Zusatzförderung. Im Burgenland werden Maßnahmen zur Schaffung von Barrierefreiheit mit maximal EUR 40.000,– gefördert. Dabei werden infrastrukturelle Mindestanforderungen gestellt, z.B. an horizontale Verbindungswege und den Sanitärbereich. Das westlichste Bundesland kennt keine eigene Förderung für barrierefreies Bauen. Die Neubau- und Wohnhaussanierungsförderung sieht in Vorarlberg aber Ökopunkte bei freiwilliger barrierefreier Umsetzung vor. Ein Härtekredit in Höhe von 80 Prozent oder ein Einmalzuschuss in Höhe von 20 Prozent der Kosten helfen nach einem Unfall. Sanierungsmaßnahmen in Kärnten, u.a. Anfahrtsrampen, Behindertenaufzüge und Verbreiterungen der Türöffnungen, werden in Form eines jährlichen Zuschusses auf die Dauer von zehn Jahren unterstützt. In Salzburg treten die OIB-Richtlinien voraussichtlich im Juli 2014 in Kraft. In Niederösterreich gilt OIB 4 noch nicht, bauliche Maßnahmen für Barrierefreiheit werden aber bereits im Rahmen des sogenannten 100-Punkte-Modells gefördert.


Daten des Inkrafttretens der OIB-Richtlinie 4, 2011

- Die Bundesinnung Bau fordert ihn schon lange – den Seniorenscheck zur altersgerechten Adaptierung von Häusern und Bestandswohnungen. Der Seniorenscheck wird nun Thema in den Regierungsverhandlungen.
 
- Bei öffentlichen Gebäuden sind Planer verpflichtet, sich an die Kompetenzstelle für barrierefreies Wohnen in Wien zu wenden.
 
- Förderungen für barrierefreien Umbau gibt es in allen Bundesländern, allerdings basierend auf unterschiedlichen Kriterien.

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