Immer öfter ist im Hoch- und Tiefbau von Personalmangel zu hören. Gleichzeitig suchen Facharbeiter nach einem Job und Frauen sind am Bau nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Wer muss welche Schritte setzen, damit auch weiterhin vermessen, gemauert, verputzt und gestrichen werden kann?
Von Karin Legat.
Der Facharbeitermangel ist hausgemacht«, stellt Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz in den Raum. »Die Bauaufträge sind nicht kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt. Im ersten Halbjahr halten sich die Auftraggeber zurück und lösen damit eine höhere Arbeitslosigkeit aus.« Im März stieg die Arbeitslosenzahl im Hochbau bei Männern um 27,3 Prozent gegenüber dem Zeitraum des Vorjahres, im Tiefbau um 20,1 Prozent. Im zweiten Halbjahr sind die Auftragsbücher übervoll und haben lange Arbeitszeiten sowie Fachkräftemangel zur Folge. Gegen die hohe Winterarbeitslosigkeit versuchen beispielsweise Bausozialpartner und das Land Steiermark mit der Steirischen Winterbauoffensive zu punkten. Projekte werden unterstützt, die hohe Arbeitsplatzwirksamkeit versprechen, Dauerarbeitsplätze und Lehrausbildungsplätze sichern und innovativ sind. Eine weitere Maßnahme gegen die Winterarbeitslosigkeit ist die Qualifizierungsoffensive Bau mit einem umfassenden Kursprogramm. Muchitsch ist das zu wenig. »Wir fordern u.a., dass die öffentliche Hand wesentlich früher Auftragsvergaben durchführt und somit der Baubeginn rasch nach dem Winter erfolgen kann.« Gabriele Tscherteu, Personalleiterin bei Quester, empfiehlt firmenübergreifende Werbung für Berufe in der Baubranche. Josef Pein, Geschäftsführer von Porr Bau, verweist auf das schlechte Image von Lehrberufen am Bau.
Verstaubtes Denken
Je höher der Bildungsstand, umso sicherer ist der Arbeitsplatz. Grundwissen ist dafür entscheidend und das wird am Bau in Österreich im trialen System vermittelt. Zusätzlich zur Ausbildung im Lehrbetrieb und der Berufsschule verbringen die Lehrlinge bis zu neun Wochen an einer der acht österreichweiten Bauakademien. »In diesen von Unternehmen des Baugewerbes und der Bauindustrie finanzierten Lehreinrichtungen werden sie in allen fachpraktischen Fertigkeiten geschult«, berichtet Paul Grohmann von der Bundesinnung Bau. Für zusätzliches Know-how am Bau soll künftig das Fachkräftepaket sorgen, das Ende März im Nationalrat beschlossen wurde. Ziel ist, v.a. gering und mittel qualifizierte ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose zu Facharbeitskräften in den ausgewiesenen Mangelberufen auszubilden und die Bildungsangebote vom Hilfsarbeiter zum Facharbeiter zu forcieren. »Es ist längst nicht mehr so, dass sich die Lehre nur an Pflichtschulabsolventen und Schulabbrecher richtet. Das ist ein altes verstaubtes Credo«, so Grohmann. »Mit Lehrlingscastings reagieren die Bauakademien, aber auch immer mehr Unternehmen auf diesen Wertewechsel. Bewerber werden dabei nicht nur hinsichtlich Motorik und Fingerfertigkeit geprüft, sondern auch auf Allgemeinbildung, Mathematik und Deutsch. Das erste Casting der Bauakademie fand Ende Februar 2013 in Übelbach in der Steiermark statt.« Ein weiterer Schritt in Richtung qualifizierter Lehrling ist die Initiative Lehre und Matura. Ende 2012 haben mehr als 10.000 Lehrlinge die Vorbereitungskurse zur Berufsreifeprüfung besucht. »Der Tenor muss weggehen von ›Du bist zu dumm für die Schule, geh in die Lehre‹«, fordert Baumeisterin Renate Scheidenberger und berichtet von den immer öfter stattfindenden Schnuppertagen an Gymnasien. »Schon zwei Mal haben 14-Jährige bei mir im Büro und auch auf der Baustelle geschnuppert. Ein Mädchen hat sich dann für die HTL entschieden, sie kommt nach wie vor als Ferialpraktikantin zu mir. Ein Bursch kehrt im Sommer als Ferialpraktikant zurück, weil er am Bau sehr interessiert ist.« Porr begegnet dem Lehrlingsmangel mit attraktiven Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Der Lehrling kann den eigenen Horizont zudem durch Auslandsaufenthalte erweitern. Strabag übernimmt zum Teil die Führerscheinkosten erfolgreicher Lehrlinge.
Im Wandel der Zeit
Eine Chance im Kampf gegen den Fachkräftemangel sehen einige BaumeisterInnen im verstärkten Einsatz von Frauen am Bau. »Durch den sehr niedrigen Frauenanteil fehlt ein großer Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung«, stellt Josef Pein fest. »Im Bereich Planung und Baumanagement werden Frauen am Bau immer selbstverständlicher. Im ausführenden Bereich bilden sie aber nach wie vor die Ausnahme«, bestätigt Renate Scheidenberger. Initiativen wie das Projekt HTL4girls, Girl’s Day und das Programm FiT – Frauen in Handwerk und Technik – sollen für eine Trendumkehr sorgen. Viele Frauen und Mädchen haben Talent und Potenzial für handwerkliche und technische Ausbildungen und Berufe. Sie nehmen diese nur zu wenig wahr bzw. sind zu wenig über die Möglichkeiten informiert, hört man vom AMS. »Wir haben beispielsweise bereits 14 Polierinnen, 20 Meisterinnen, 400 Bautechnikerinnen und 310 Kalkulantinnen im Konzern«, sagt Noch-Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner. Trotz dieser eindrucksvollen Zahlen bewertet er die Lage von Frauen am Bau weiterhin als stark ausbaufähig. »2012 hat nur ein Mädchen die Lehre zur Vermessungstechnikerin abgeschlossen. Wir sind ein männliches Business und werden das auch bleiben. Auf 50 Prozent Frauenquote werden wir nie kommen, 20 Prozent sind aber realistisch erreichbar.« Derzeit liegt der weltweite Frauenanteil im Strabag-Konzern bei 13 Prozent. In Osteuropa, z.B. Russland, weist die Strabag eine höhere Frauenquote auf. »Hier haben wir das Team neu aufgestellt und erreichen im technischen Bereich eine Quote von 23 Prozent, vermutlich deshalb, weil der historische Druck noch nicht so verfestigt ist.«
Baumeisterin Nadja Wasserlof sieht auch eine kulturelle Hürde. »Ich beschäftige eine Statikerin, die in Russland studiert hat, und die mir erzählt, dass der technische Beruf dort viel weiblicher ist.« Im ehemaligen Osten sind viele Frauen als Kranfahrer-
innen und LKW-Fahrerinnen tätig. Prof. Azra Korjenic, Gleichbehandlungsbeauftragte an der Fakultät für Bauingenieurwesen an der TU Wien, erinnert sich an ihre ersten Jahre in Österreich. »Ich kam vor 20 Jahren aus Bosnien. In Ex-Jugoslawien waren viele Frauen sowohl am Bau als auch im Studium Bauingenieurwesen präsent. Bei meinem ersten Job in Österreich in einem Planungsbüro war ich die einzige weibliche Mitarbeiterin. An der TU gab es damals nur vereinzelt Studentinnen. Bis heute haben wir keine berufene Professorin.« Studien bestätigen die Vorteile weiblicher Präsenz am Bau. Die gemeinnützige Organisation für Frauenförderung in der Berufswelt, Catalyst, hat in einer Studie gezeigt, dass gemischte Führungsgremien im Vergleich zu jenen ohne Frauen eine bis zu 53 Prozent höhere Eigenkapitalrendite erzielen. »Immer wieder höre ich auch, dass sich das Arbeitsklima verbessert, selbst wenn nur eine Frau an der Sitzung teilnimmt«, berichtet Haselsteiner. Es gibt auch eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit für gemischte Teams. Immer mehr Auftraggeber sind Frauen – und die wollen mit Frauen verhandeln.
INFO:
Für 2013 listet das BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 24 Mangelberufe auf, u.a. DachdeckerInnen, BautischlerInnen, RohrinstallateurInnen, SchlosserInnen, MöbeltischlerInnen sowie BodenlegerInnen und LackiererInnen. Ende März wurde ein Fachkräftepaket mit einer Bildungsoffensive beschlossen, das v.a. gering und mittel qualifizierte ArbeitnehmerInnen sowie Arbeitslose zu Facharbeitskräften in Mangelberufen ausbilden soll.
AUS DER PRAXIS:
Der Bau & Immobilien Report hat mit einigen weiblichen Bauprofis über ihre Erfahrungen in der Männerwelt Bau gesprochen.
> Nicole Gruber, Polierin, Bilfinger: »Entschieden habe ich mich für den Bau, weil ich von der Entstehungsgeschichte eines Gebäudes fasziniert war. Es wird gebaggert, dann betoniert und nach zwei Jahren geht man in diesem Einkaufszentrum shoppen. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen war anfangs schwer, weil die nicht genau wussten, wie sie mich einordnen sollten. Aber das war nach einiger Zeit kein Thema mehr.«
> Nadja Wasserlof, Baumeisterin: »Man ist mit einer reinen Männergesellschaft konfrontiert. Ein Gleichgewicht wird es nie geben.«
> Magdalena Sobczak, Bauleiterin, Strabag: »Zuerst hatte ich Bedenken, aber die sind rasch gewichen. Die meisten Männer sind entgegenkommend.« Über ihre Berufswahl: »Ich wusste schon immer, dass ich etwas mit Technik machen will. Bei Elektrotechnik oder Mechatronik bleibt kaum Sichtbares, am Bau dagegen gibt es einen bleibenden und zudem sichtbaren Wert.«
> Désirée Unger, Baumeisterin, Porr: »Das hierarchisch, männlich geprägte Verhalten wird am Bau immer noch gelebt. Wesentliche Änderungen gibt es wahrscheinlich erst in der nächsten Generation. Zu Beginn meiner Ausbildung haben mir Familie und Bekannte teilweise abgeraten, im männerdominierten Bauwesen Fuß fassen zu wollen. Es wurde mir nahegelegt, eine kaufmännische Ausbildung abzuschließen und erst danach den Weg ins Bauwesen einzuschlagen. Der Matura an der Handelsakademie folgten daher ein HTL-Hochbau-Abschluss, ein berufsbegleitendes Studium und die Baumeisterprüfung. Derzeit betreue ich das Projekt der Bahnneubaustrecke Erfurt–Gröbers in Deutschland, eine 90 km lange zweigleisige Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die Tätigkeit ist sehr abwechslungsreich und bringt jeden Tag neu zu meisternde Situationen und Herausforderungen. Es ist mir wichtig, wesentlich mitgestalten zu können und kreativ strukturierte Lösungen umzusetzen – all das bietet vor allem das Bauwesen.«