Sonntag, Dezember 22, 2024

'Benchmarking heißt übersetzt von anderen >abschreiben< und >abkupfern<.'Benchmarking. So heißt eine bevorzugte Methode der Unternehmen bei der Entscheidungsvorbereitung und Ideenfindung. Übersetzt heißt dies: von anderen »abschreiben« und »abkupfern«. Wer das tut, landet automatisch im Mittelmaß und wird niemals spitze.

Von Jens-Uwe Meyer.

Eric, ein zehnjähriger angehender Topmanager, wird in der Schule beim Abschreiben in der Deutsch-Arbeit erwischt. Entschuldigt er sich? Nein, denn: »Das war kein Abschreiben«, posaunt er heraus, »vielmehr ein heftübergreifendes Benchmarking, um die Wettbewerbsfähigkeit meines Deutschaufsatzes zu erhöhen.« Und ist es ihm peinlich? Nein! Denn die Manager in den Unternehmen machen es genauso, wie Eric von seinem Vater weiß. Nur dass das Abschreiben in der Welt des großen Managements »Benchmarking« heißt.

Ganze Heerscharen von Managern haben in Business-Schulen rund um die Welt die Kunst des Abschreibens gelernt. Wozu selbst Ideen entwickeln? Es gibt ja Benchmarking. Was in der Theorie gut klingt, hat in der Praxis fatale Auswirkungen: Ganze Branchen stecken heute in der Benchmarking-Falle. Jeder schaut auf die vermeintlich Besten und kopiert sie. Ein Unternehmen wagt sich mit etwas Neuem hervor, der Rest schaut, ob es funktioniert. Und kopiert es, wenn ja, hemmungslos. Die Folge: Alle reden von Innovationen, heraus kommen aber Produkte, die sich beinahe wie ein Ei dem anderen gleichen.

Benchmarking führt zu Einheitsbrei

Nach Beispielen brauchen Sie nicht lange suchen. Schalten Sie einfach Ihr Radio ein. Egal, welchen privaten Sender Sie hören, ständig werden Ihnen die »Superhits der 80er und 90er und das Beste von heute« angepriesen. Und ein Großteil der Radiomoderatoren klingt wie Losbudenverkäufer.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wa­rum Sie im gesamten deutschen Sprachraum das annähernd gleiche Programm hören? Weil alle Sender Benchmarking betreiben und auf die gleichen Erfolgsrezepte setzen.
Oder gehen Sie in den Supermarkt. Waschmittel Nummer 1 verspricht Ihnen die sauberste Sauberkeit, Waschmittel Nummer 2 das weißeste Weiß und Waschmittel Nummer 3 die farbigsten Farben. Auch die Branche der Nassrasierer verlegt sich eher aufs Klingen-Benchmarking denn auf Kreativität: Kaum brachte der erste Hersteller einen Rasierer mit zwei Klingen auf den Markt, folgte der nächste mit drei und wieder ein anderer mit vier.
Dasselbe Phänomen in der Automobilbranche. Machen Sie einmal folgenden Selbstversuch: Nehmen Sie einen Toyota Avensis, kleben Sie ein Opel-Schild drauf und fahren Sie durch die Stadt. Wie lange dauert es, bis jemandem auffällt, dass Sie keinen Opel fahren? Wahrscheinlich ewig.

Steckt unsere Firma in der Falle?

»Opel baut tolle Autos.« Diesen Satz konnten Sie in den letzten Monaten immer wieder hören. Das stimmt auch. Genauso tolle Autos wie die Konkurrenz. Aber welches Opel-Modell sticht aus der Masse heraus? Der Corsa? Ist das nicht der Polo von Opel? Der Insignia? So das nicht ein Zwitter aus Audi und BMW. Der Meriva? Ist das ...? Der Manta und der Kapitän waren einzigartig. Doch dann kamen die Benchmarker.

Sitzt Ihr Unternehmen in der Benchmark-Falle? Haben Sie so viel Benchmarking betrieben, dass Ihnen die Kreativität und Originalität abhanden gegangen sind? Wenn Sie von den folgenden drei Aussagen zwei bejahen, könnte Ihr Betrieb tief in der Falle sitzen:

>> Wir schauen auf die Konkurrenz und reagieren auf das, was dort passiert.

>> Wenn man die Feinheiten beiseitelässt, unterscheiden wir uns kaum von unseren Mitbewerbern.

>> Unsere Produkte werden häufig wie folgt beschrieben: »So wie das Produkt von …, nur kleiner/größer/billiger/schneller.«


Ist Ihr Betrieb gefangen? Wenn ja: keine Panik! Denn das Finden neuer Ideen kann ganz einfach sein. Das zeigt das Beispiel von Thomas Edison, der unter anderem die Glühbirne und die Filmkamera erfand. All seine Erfindungen waren Pionierleistungen – also das Gegenteil von Benchmarking. Edison verstand es, seine Kreativität zu strukturieren, zu lenken und zu leiten. Er verknüpfte Ideenfindung und strategisches Denken miteinander.

 

Thomas Edison. Er erhob den Fehler zum Prinzip der Innovation.Edison würde Ihnen als Unternehmensführer heute folgende drei Empfehlungen geben:

1. Verhängen Sie ein Kopierverbot

Von Benchmarking-Fetischisten hört man oft Sätze wie: »Selbst Thomas Edison hat von anderen geklaut.« Das stimmt! Einer der berühmtesten Sätze des Glühbirnen-Erfinders war: »Die Idee muss nicht neu sein. Sie muss nur neu in Bezug auf das zu lösende Problem sein.« Edison war dafür bekannt, fremde Lösungen aufzusaugen. Er selbst sagte von sich, »eher ein Schwamm als ein Erfinder« zu sein. Doch er kopierte Ideen nicht einfach. Das Konzept der Glühbirne stammte zwar von einem deutschen Auswanderer, Heinrich Göbel. Doch Edison entwickelte daraus ein Gesamtsystem – von der marktreifen Glühbirne über Leitungen bis hin zu Kraftwerken. Erlaubt ist: Ideen von überall aufsaugen und daraus einzigartige neue Ideen entwickeln. Verboten ist: Ideen mit marginalen Änderungen blind kopieren.

2. Etablieren Sie eine strategische Ideenentwicklung

Wie erfindet man Micky Maus? Walt Disney würde antworten: mit Fantasie und visionärem Denken, mit Mut zum Ungewöhnlichen und Pioniergeist. Und ein Manager? Durch einen exakt definierten Innovationsprozess, in dem die Ergebnisse der Trend- und Marktforschung systematisch zusammengefasst und Entscheidungskriterien klar definiert werden.
Manager haben es gelernt, in Prozessen zu denken. In vielen (Groß-)Unternehmen kaschieren heute ausgefeilte Prozesse einen Mangel an Ideen. Und in ihrem Management herrscht vielfach das Credo: Gute Ideen sind Zufall. Dabei bewies Thomas Edison schon Ende des 19. Jahrhunderts, dass man neue (Problemlösungs- und Produkt-)Ideen systematisch entwickeln kann. Das Edison-Prinzip, seine sechs Schritte der Ideenentwicklung, war die Grundlage seiner Ideenfabrik, die er in den USA errichtet hat.

3. Fördern Sie Fehler und Risiken

Lange und gründlich analysieren, einmal probieren und dann aufgeben. So lässt sich, kurz gesagt, die Innovationsstrategie vieler Unternehmen zusammenfassen. Fehler vermeiden um jeden Preis! Dass das nicht funktioniert, war Edison klar. Er erhob den Fehler zum Prinzip:  Er unternahm knapp 9.000 Versuche, bis die Glühbirne marktreif war. Und als nach dem 1000. Versuch ein Mitarbeiter sagte »Wir sind gescheitert«, erwiderte Edison: »Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1.000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.«

Erinnern Sie sich an Eric, den angehenden Topmanager? Hätte er bereits eine Business-Schule besucht, würde er nicht einfach abschreiben. Das Risiko, Fehler abzuschreiben, wäre ihm zu groß. Er würde stattdessen die vielfach propagierte »Fast Follower-Strategie« einschlagen: Ich schaue erst mal, welche Zensuren die anderen haben, und dann entscheide ich, von wem ich abschreibe. An vielen Business-Schulen wird Managern das Gegenteil des Edison-Prinzips gelehrt: Null Risiko, erst mal sehen, was woanders funktioniert, und dann machen wir es.

Das kann nicht funktionieren. Denn Fehler sind für das Lernen unerlässlich. Edison bezeichnete das Wissen, das er aus Fehlern zog, einmal als »das absolute Wissen«. Gehen Sie also kalkulierte Risiken ein. Schaffen Sie Freiräume des Scheiterns. Erlauben Sie, Schritte vor und zurück zu gehen. Und haben Sie keine Angst davor, in einer Sackgasse zu landen! Sie kommen wieder raus, keine Sorge. Und was wäre die Alternative? »Benchmarken« oder »Abschreiben.« Mit den überall sichtbaren Konsequenzen: verwechselbare Produkte, nahezu identische Prozesse sowie Strategien oder kurz: Mittelmaß. Mittelmaß war noch nie spitze.

 

 

Zum Autor:

Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Ideeologen – Gesellschaft für neue Ideen GmbH (www.ideeologen.de) und Autor des Buchs »Das Edison-Prinzip: Der genial einfache Weg zu erfolgreichen Ideen«

Info: www.edison-prinzip.de

 

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