Integrierte Projektabwicklung (IPA) bietet einen international bereits etablierten, im deutschsprachigen Raum jedoch noch immer relativ neuen Ansatz zur Optimierung der Abwicklung komplexer Bauprojekte. Herzstück der IPA sind integrale Teams, die im Idealfall zu High-Performance-Teams werden.
Im Gegensatz zu bilateralen, konventionellen Abwicklungsmodellen wie der Einzelvergabe oder den Generalunternehmer-Modellen handelt es sich bei IPA-Projekten um integrale Teams, nicht um Gruppen. Ein entscheidender Faktor für die Bildung dieser integralen Teams ist der Mehrparteienvertrag. Dieser Vertrag legt die Spielregeln fest und bildet die Basis, auf der sich das integrale Team stützen kann. Im Laufe der Zusammenarbeit entwickelt sich das Team zu einem High-Performance-Team, das gemeinsam die Projektaufgaben löst und das Projekt erfolgreich abschließt.
Ein daraus resultierender Erfolgsfaktor ist die sorgfältige Auswahl der Partner, die den Mehrparteienvertrag unterzeichnen sollen. Neben den fachlichen Voraussetzungen muss auch die sogenannte IPA-Readyness der potenziellen Partner geprüft werden.
Der Weg zum geeigneten IPA- Partner
Um die im IPA-Projekt notwendigen Planungs- und Bauleistungen zu beschaffen, empfiehlt sich die Vergabe im Rahmen eines zweistufigen Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Bereits in Stufe 1, dem Teilnahmewettbewerb, müssen sich die Bieter, also die späteren potenziellen Allianzpartner, mit entsprechenden Referenzen, Nachweisen und bestenfalls Motivationsschreiben um eine Teilnahme bewerben. Dabei ist es wichtig, dass die Referenzen ausreichend aussagekräftig sind, der Komplexität des Projekts entsprechen und Aussagen zur partnerschaftlichen Projektdurchführung enthalten. Darüber hinaus sollten auch Erfahrungswerte zu kollaborativen Arbeitsmethoden und Tools mit Hintergrund BIM/LEAN dargestellt werden.
In der Stufe 2, der Angebotsphase, werden die Aspekte der Teamfähigkeit mit den präqualifizierten Bietern vertieft. Hierbei werden unter anderem die Erfahrung in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und des Teambuildings des Leitungspersonals im Projektmanagement-Team mit den entsprechenden Referenzen, ein persönliches Motivationsschreiben sowie die Erfahrung des Leitungspersonals im Umgang mit kollaborativen Arbeitsmethoden gewertet. Danach wird über diese Ebene die fachliche Eignung des Personals gewertet.
Härtetest Assessment-Center
Über die fachliche Eignung hinaus ist es wichtig, im Auswahlprozess die Arbeitsweise des eingesetzten Personals und dessen Teamfähigkeit im Praxistest in Erfahrung zu bringen. Dafür eignen sich vor allem ein Eins-zu-eins-Interview mit der Geschäftsführung, das Assessment-Center oder auch quantitative Eignungsanalysen. Diese drei Ansätze können entweder einzeln oder in Kombination miteinander angewendet werden.
Im Rahmen des Assessment-Centers werden vor allem drei Schwerpunkte validiert. Zum einen geht es darum, die Teamfähigkeit der Personen zu bestätigen. Zum anderen geht es im Hauptteil des Assessment-Centers um die Bewältigung einer Praxisaufgabe unter Zeitdruck. Mögliche Aufgabenstellungen sind beispielsweise die Einrichtung bzw. das damit verbundene Konzept der Co-Location, die Entwicklung einer Strategie zum Offboarding von Beteiligten oder die Erstellung eines Agenda-Entwurfs zur Charta-Zeremonie.
Zuletzt werden alle Teilnehmer des Assessment-Centers zu IPA, Lean und kollaborativen Vorgehensweisen abgefragt. Es handelt sich hierbei um semistrukturierte Fragen, die keine vordefinierte Lösung haben und die das methodische Bewusstsein der Teilnehmer untersuchen sollen. Die eigentliche Entscheidung über die IPA-Partner fällt erst nach der Durchführung dieses Assessment-Centers. Die Erkenntnisse hieraus können für das dann bezuschlagte Team verwendet werden, um Verbesserungen im Projektalltag zu initiieren und entsprechende Weiterbildungsformate zu implementieren.
Gemeinsames Ziel als Grundvoraussetzung
Die absolute Voraussetzung dafür, dass ein Team gut funktioniert, ist ein gemeinsames Ziel. Dieses Ziel muss bekannt, klar definiert und erreichbar sein. Ein herausforderndes Ziel und große Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin, spornen Teams zu Hochleistung an. Das klare Ziel ist nicht nur für IPA-Projekte, sondern für jegliches Unternehmen und jedes Projekt notwendig.
Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Teammitglieder in der Summe fachlich dazu in der Lage sein müssen, die Aufgabe zu erfüllen. Das heißt nicht, dass sie diese Fähigkeiten von vornherein besitzen müssen. Ganz im Gegenteil beflügelt gemeinsames Lernen Einzelpersonen und Teams nachweislich.
Schlussendlich müssen die Teams außerdem die grundsätzliche Möglichkeit haben, das Ziel zu erreichen. Sofern das Team aus eigener Kraft das Ziel erreichen kann, wird das Team dafür arbeiten. Komplizierte und hierarchische Freigabeprozesse, überbordende Kontrolle und Vorgesetzte, die vorgeschlagene Schritte kurzfristig streichen, verhindern die Wirksamkeit des Teams und sind deshalb unbedingt zu vermeiden. Dazu muss das Team in sich vertrauensvoll, verantwortungsbewusst und ehrlich miteinander arbeiten und umgehen. Diese Art der Zusammenarbeit kann man nicht vorab prüfen oder anhand von Persönlichkeitstests planen. Diese Art der Zusammenarbeit muss sich ein Team erarbeiten. Die Mitglieder müssen die Möglichkeit bekommen, sich kennenzulernen und in Selbstreflexion die eigenen Schwächen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.
Die vier Ebenen zum »High Performance«-Team
Teams erreichen nur dann »High Performance«, wenn vier wesentliche Ebenen beachtet werden. Die erste Ebene umfasst die Erfahrung und Expertise, die das Team mitbringt. Diese wird üblicherweise in Vergabeverfahren abgefragt und bewertet. Die zweite Ebene bezieht sich auf das Verhalten des Teams unter realen Bedingungen. Hier zeigt sich, wie gut das Team in der Praxis funktioniert und welche Herausforderungen bewältigt werden müssen, um zu den Ebenen drei und vier zu gelangen.
Die dritte Ebene betrifft die Rolle des Auftraggebers. Es ist entscheidend, dass der Auftraggeber die richtigen Voraussetzungen schafft, um leistungsfähige Teams entstehen zu lassen. Dazu gehört das Setzen klarer Ziele und die Bereitstellung der notwendigen technischen Ressourcen sowie eines unterstützenden Kontexts. Nur so kann das Team in die Lage versetzt werden, diese Ziele aus eigener Kraft zu erreichen.
Die vierte Ebene fokussiert auf die Selbstorganisation des Teams im laufenden Projekt. Hierbei geht es darum, kontinuierlich »blinde Flecken« zu identifizieren und eine Kultur der offenen Fehlerkommunikation zu etablieren. Diese offene Fehlerkultur ist entscheidend, um einen fortlaufenden Lernprozess und eine kontinuierliche Verbesserung zu gewährleisten, die letztlich den Weg zu einer »High Performance« ebnen.
Die Autor*innen
Selim-Tugra Demir ist Senior Manager und der Head of Lean Solutions bei Drees & Sommer. Gemeinsam mit dem Lean Netzwerk der Drees & Sommer SE umfasst sein Tätigkeitsspektrum unter anderem die Ausgestaltung der eigenen Lean-Reise, die Skalierung von Lean Design, Lean Construction und IPA auf weitere Kompetenzfelder innerhalb des Unternehmens.
Jörn Köster ist Architekt und verantwortet als Senior Experte den Kompetenzbereich alternativer Abwicklungsmodelle bei Drees & Sommer. Nach beruflichen Stationen in einem Architekturbüro und bei einem Generalunternehmer ist er seit zehn Jahren bei Drees & Sommer tätig und berät deutschlandweit Allianz- und Partnering-Modelle für private und öffentliche Auftraggeber in allen Projektgrößen.
Barbara Nilkens ist Bauingenieurin und Kommunikationsexpertin. Sie war fast 20 Jahre als planende und bauleitende Ingenieurin tätig, bevor sie sich 2017 mit dem ersten Ingenieurbüro für Baukommunikation selbständig machte. Ihr Unternehmensziel ist dafür zu sorgen, dass im Bauprojekt alle gerne für das gemeinsame Ziel bauen.