Ein Forschungsprojekt im Auftrag des österreichischen Baugewerbes hat untersucht, welche Einsparungspotenziale geringe Abstriche bei Normen und Vorschriften hätten und wie sich das auf die Qualität auswirken würde. Praxisbeispiele zeigen, dass die Qualität kaum leiden würde, das Kosten- und CO2-Einsparungspotenzial aber enorm ist. Als Vorbild dient der deutsche Gebäudetyp E.
Die Einhaltung der – laut eigenen Angaben – ausufernden Baustandards wie Bauordnungen oder technischen Normen ist einem Großteil der ausführenden Bauunternehmen und Wohnbauträger seit vielen Jahren ein Dorn im Auge. »Zu viele Bauvorschriften erhöhen nicht nur die Baukosten, sondern verhindern auch Innovationen«, erklärt Anton Rieder, Bundesinnungsmeister Bau Stellvertreter. So müssten Planer und Baufirmen in der Praxis an – teilweise auch veralteten – Lösungen festhalten, bloß um der Norm zu entsprechen und sich damit gegen eventuelle spätere Haftungsansprüche abzusichern. »Gleichwertige, innovative und womöglich kostengünstigere Ausführungsalternativen können dadurch gar nicht erst in Betracht gezogen werden«, kritisiert Rieder und hat deshalb ein Forschungsprojekt initiiert, in dem untersucht wurde, inwieweit man von aktuellen Bauvorschriften abweichen kann, ohne an Qualität zu verlieren. Weiters wurde analysiert, welche gesetzliche Maßnahmen hierzu notwendig wären. Ziel dieses Projektes war es, einen Rahmen zu schaffen, damit Bauunternehmen und Planende nach innovativen Lösungen suchen und diese auch ohne überproportionales Risiko umsetzen können. Vorbild für diesen Rahmen ist der sogenannte Gebäudetyp E, der in Deutschland Freiräume für Bauherrn und Bauschaffende öffnet.
Technisch machbar
Um herauszufinden, welche Potenziale eine sanfte Aufweichung der Vorschriften und Normen hätte und welche Folgen sie nach sich ziehen würde, hat Georg Fröch, Assistenz-Professor an der Universität Innsbruck, mehrere Praxisbeispiel durchgerechnet (siehe Kasten). »Dabei hat sich gezeigt, dass bei relevanten Abweichungen von normativen Anforderungen Kosteneinsparungen relativ leicht möglich sind, ohne dabei das übliche Sicherheitsniveau für die Nutzer zu beeinträchtigen«, so Fröch. Es gehe um die Nutzung von Sicherheitspuffern, die Fokussierung auf den Zweck eines Bauteiles bzw. um die Rücknahme von Komfortstandards auf Wunsch des Bauherrn.
Dabei könnten Kosten eingespart werden, ohne gleichzeitig die geltenden Sicherheitsstandards zu verlassen. Für eine Standardwohnung oder ein typisches Einfamilienhaus spricht Fröch gegenüber dem Bau & Immobilien Report von einem Einsparungspotenzial von zehn bis 20 Prozent. Guido Strohecker von der Kammer der Ziviltechniker:innen gibt zu bedenken, dass sich der Stand der Technik schneller wandelt als die Normen. Zudem müsse man endlich beginnen, zwischen Must-have und Nice-to-have zu unterscheiden.
Der rechtliche Rahmen
Daniel Deutschmann, Heid & Partner Rechtsanwälte, hat sich für das Forschungsprojekt angesehen, wie der rechtlichen Rahmen aussehen müsste, um Lösungen außerhalb der bestehenden Normen und Vorschriften umsetzen zu können. Laut Deutschmann könnte – wie in Deutschland beim Gebäudetyp E – eine Bestimmung im Baurecht verankert werden, die dem Bauwerber einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bewilligung trotz Abweichung von technischen Normen gibt. »Dabei müsste nachgewiesen werden, dass die wichtigsten Sicherheitsstandards wie Standsicherheit, Brandschutz oder Schallschutz eingehalten werden.« Darüber hinaus könnten im Zivilrecht – also im ABGB und in anderen Gesetzen, die für Verträge über Gebäude oder Gebäudeteile gelten, wie unter anderem Bauwerkverträge, Kaufverträge, Mietverträge – Bestimmungen zur Zulässigkeit der Normenabweichung angedacht werden. »Dies immer mit der Auflage, dass die zwingenden baurechtlichen Bestimmungen und behördlichen Anordnungen eingehalten werden.« Fazit Das Forschungsprojekt ist ambitioniert und wird noch einige Hürden nehmen müssen. Dennoch sind die Initiatoren überzeugt, das richtige Thema zu richtigen Zeit angegangen zu sein. »Leistbares Wohnen ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, mit neuen Lösungen die Baukosten und Baupreise zu senken«, so Rieder. Der Ball liege nun bei der Politik, bei einer zukünftigen Bundesregierung und den Ländern. Aus einzelnen Bundesländern hat Strohecker erste Reaktionen erhalten, die Anlass zu Hoffnung geben. »Aus Kärnten und der Steiermark kommen sehr positive Signale. Das Interesse ist auf jeden Fall da«, zeigt sich der Architekt optimistisch.
Die Praxisbeispiele der Universität Innsbruck zeigen, dass die Auswirkungen auf die Qualität und den Nutzerkomfort gering, die Einparungspotenziale bei Kosten und CO2 aber enorm sind.