Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Lean-Experte Gottfried Mauerhofer vom Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der TU Graz über das Potenzial von Lean Baumanagement, die effektivsten Instrumente und Werkzeuge sowie weit verbreitete Missverständnisse.
Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Merkmale von Lean Baumanagement?
Gottfried Mauerhofer: Lean Baumanagement kann die Baubranche kooperativer und kollaborativer gestalten. In der Lean-Philosophie ist das Bauprojekt der Protagonist der Geschichte. Firmenübergreifend wird eine »Best for Project«-Strategie verfolgt, bei welcher alle Beteiligten den bestmöglichen Projektabschluss gemeinsam anstreben. Durch diesen Ansatz können wir uns Stück für Stück von der Mehrkostenforderungsstrategie entfernen. Darüber hinaus kann Lean Baumanagement dazu beitragen, die stetig kürzer werdende Bauzeit mit immer höheren Qualitätsanforderungen und engeren Kostengrenzen in den Griff zu bekommen. Durch frühzeitiges und tiefes Verständnis über das Bauprojekt bei Auftraggeber und Auftragnehmer, werden bessere und frühzeitige Entscheidungen aufgrund transparenter Kommunikation im Team getroffen. So können Störungen proaktiv und vorausschauend behandelt werden, was zu wesentlich besseren Projektergebnissen führt.
Zudem ergänzen sich BIM und Lean Baumanagement sehr gut. BIM verspricht einen effizienten und qualitativ hochwertigen Planungsprozess, welcher mittels Lean Baumanagement weiter gesteuert werden kann.
Wo steht Österreich bei der Anwendung von Lean Baumanagement im internationalen Vergleich?
Mauerhofer: Meiner Meinung nach sind wir auf einem sehr guten Weg. Viele der großen und mittlerweile auch kleineren Firmen in der Baubranche haben schon einmal von Lean Baumanagement gehört. Immer häufiger sind Texte und Anforderungen über Lean Baumanagement in Ausschreibungen zu finden. Das zeigt uns, dass auch die öffentlichen und privaten Auftraggeber das Potenzial dieser Philosophie für die Baubranche verstanden haben. Ich würde uns hier im deutschsprachigen Raum vorne mit dabei sehen. Gerade Methoden wie Taktplanung und das Last Planner System werden immer häufiger mit Erfolg angewendet.
Wo wir sicherlich noch etwas hinterherhinken sind partnerschaftliche Bauverträge wie IPA. Hier sind Länder wie England, Finnland oder Australien schon weiter und wir könnten von ihnen lernen. Ich versuche mit Forschungsreisen einen internationalen Austausch zu ermöglichen, bei dem Personen aus der österreichischen Baubranche die Möglichkeit haben, von den Besten zu lernen. Beispielsweise führte uns die erste Reise des Universitätslehrganges Lean Baumanagement der TU Graz nach Finnland, wo wir viel über partnerschaftliche Bauverträge gelernt und gehört haben. Letztes Jahr sind wir zum Herzen von Lean nach Japan geflogen und haben uns die dort vorhandene kollaborative Baukultur angesehen. Heuer geht es nach England, um die dort mit Erfolg angewendete Lean Construction live zu erleben.
Lean Baumanagement umfasst viele verschiedene Instrumente und Werkzeuge. Welche versprechen das größte Potenzial?
Mauerhofer: Es gibt viele Werkzeuge und Methoden im Lean Baumanagement und alle haben ihre Berechtigung. Jedoch gibt es Instrumente, welche sicherlich für alle Baubeteiligten einen erheblichen Vorteil versprechen. Hierzu würde ich die vorhin schon erwähnten partnerschaftlichen Bauverträge mit gemeinsamer Gewinn- und Risikoaufteilung nennen. Sofern wir Alternativen zu den traditionellen Billigstbietern finden, die alle Baubeteiligten vom Auftraggeber über Auftragnehmer bis hin zu Subunternehmern auf ein gemeinsames Ziel ausrichten, können die weiteren Werkzeuge und Methoden wesentlich einfacher umgesetzt werden.
Als weiteres Instrument kann das Last Planner System genannt werden. Dieses verhilft dazu, die Bauplanung und auch Bauausführung kollaborativ über Zusagen zu gestalten. Dabei werden die einzelnen Tätigkeiten visuell in einem Big Room dargestellt, um diese für alle transparent zu gestalten. Der Vorteil ist, dass die Erfahrungen und Kompetenzen jeder Person voll genutzt werden, und das Team firmenübergreifend in die Zukunft schaut, um Störungen frühzeitig erkennen und verhindern zu können. Dadurch entsteht ein partnerschaftliches Miteinander, gegenseitiges Vertrauen und ein sehr stabiler Baufortschritt.
Für Lean-Einsteiger: Wie sollten die ersten Schritte aussehen? Welche Quick Wins sind zu erwarten?
Mauerhofer: Wichtig ist, offen auf das Thema zuzugehen. Der Ansatz von Lean Baumanagement ist konträr zu traditionellen Methoden und daher zu Beginn möglicherweise kontraintuitiv. Für einen guten Start ist ein gewisses Grundverständnis der Werkzeuge, Methoden und der gesamten Philosophie essenziell. Sobald erste Erfahrungen mit dieser Managementmethode gemacht wurden, sollten diese offen im Team besprochen werden. Es handelt sich bei der Einführung um einen klassischen Change-Prozess, wobei die Beteiligten abgeholt und gehört werden müssen.
Am einfachsten ist es aus meiner Sicht, bei einem Bauprojekt dabei zu sein, welches mittels Lean Ansatz abgewickelt wird. Dabei muss ein Rahmen geschaffen werden, in dem Fragen gestellt und ehrlich beantwortet werden können. So kann die anfängliche Angst oder Ungewissheit abgelegt werden.
Was sind die häufigsten Missverständnisse rund um Lean?
Mauerhofer: Dass die Ziele Kostenreduktionen und Effizienzsteigerungen sind! Dies sind lediglich Ergebnisse, da die im Bauprozess vorhandene Verschwendung systematisch eliminiert wird. Das Ziel ist die kollaborative und partnerschaftliche Bauprojektabwicklung, damit der Wert aus Kundensicht bestmöglich und mit dem geringsten Ressourcenaufwand erfüllt werden kann. Gerade darum sollte das Thema Lean auch bei den Auftraggebern mehr Anklang finden.
Ein weiteres Missverständnis ist, dass die blinde Anwendung von Werkzeugen und Methoden alle Ergebnisse liefert, welche wir uns wünschen. Lean Baumanagement ist vor allem ein gemeinsames Miteinander. Es soll eine kollaborative Baukultur entstehen, in welcher alle Beteiligten ihre Kompetenzen und Erfahrungen voll ausnutzen können, um Bauprojekte auf einem ganz anderen Level abzuwickeln. Wird diese soziale Komponente außer Acht gelassen, stellen sich schnell Frustrationen ein und die positiven Ergebnisse bleiben aus. Dahingehend muss zuerst ein Verständnis bei den Baubeteiligten entstehen, was sich mit der Anwendung der Lean Philosophie ändert. Diese Veränderungen müssen aktiv von den projektbezogenen Führungskräften angeleitet und gemanagt werden. Dann kann sich eine Kultur der Zusammenarbeit und kontinuierlichen Verbesserung in der Baubranche einstellen.