Lean Construction ist eines der Trendthemen am Bau. Wie so oft bei Trends, ist die Methode aber noch nicht überall angekommen. Ob Baustellen wirklich lean sind, ist eine Frage der Perspektive. Aber auch, wenn eine Baustelle formal nicht lean abgewickelt wird, hat sich die Lean-Philosophie weitgehend durchgesetzt.
»Lean Construction sollte heute bereits State of the Art auf allen Baustellen sein«, sagte Swietelsky-CEO Peter Krammer im Rahmen einer vom Bau & Immobilien Report veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema »Effizienzsteigerung am Bau« (siehe Seite 22). Ob es tatsächlich schon soweit ist, hängt davon ab, wen man fragt. Während sich die meisten großen Bauunternehmen tatsächlich schon länger intensiv mit dem Thema befassen, stehen viele Auftraggeber und Zulieferer buchstäblich als interessierte, aber weitgehend unbeteiligte Beobachter daneben. Selbst große Auftraggeber wie die Bundesimmobiliengesellschaft BIG können die Baustellen, die als Lean-Baustellen abgewickelt werden, an einer Hand abzählen. Ein großer Zementhersteller gibt an, dass das Thema an sie bislang nicht herangetragen wurde und auch Michael Toth, Geschäftsführer der Wienerberger Bausysteme, sieht Lean-Baustellen aktuell noch als die Ausnahme und nicht die Regel. Auch die ÖBB betreiben aktuell keine »dezidierten Lean-Baustellen«, wie Gerald Zwittnig, Leiter Projektumsetzung Projekte Neu-/Ausbau bei der ÖBB-Infrastruktur AG, erklärt. Die grundlegende Idee hinter Lean Construction wird bei der ÖBB laut Zwittnig aber sehr wohl gelebt (siehe Interview).
Ganz ähnlich wie Peter Krammer sieht Porr-Chef Karl-Heinz Strauss das Thema. »Die Optimierung von Bauprozessen und die Vermeidung von Verschwendung ist seit jeher Teil unserer DNA. Insofern ist das Lean-Prinzip nichts Neues«, so Strauss. Systematisch forciert werden die Lean-Methoden bei der Porr seit 2016. Damals wurde eine eigene Lean-Abteilung gegründet, um Inhouse-Ausbildungen und Trainings zu Lean-Methoden und -Werkzeugen durchzuführen. 2019 hat die Porr zudem begonnen, das gesamte Management lean auszubilden. Alle Führungskräfte, sowohl auf den Baustellen als auch in den nicht-operativen Bereichen, beschäftigen sich laut Strauss täglich mit der Optimierung von Prozessen und der Schaffung von Standards. Die Entscheidung, welche Lean-Methoden die Porr einsetzt, ist abhängig vom konkreten Projekt (siehe Kasten). Als Minimum gelten die 5S-Methode (Sortieren, Systematisieren, Sauber halten, Standardisieren und Selbstdisziplin üben) zur Verbesserung der Arbeitssicherheit, tägliche Regelkommunikation im Sinne des Shopfloor Managements und in vielen Hochbau-Bereichen das Last Planner System.
Mehr als Verschwendung vermeiden
Ganz allgemein werden Lean, Lean Management und Lean Construction oft mit der Vermeidung von Verschwendung gleichgesetzt. Aber diese Definition greift zu kurz. »Lean Construction geht weit darüber hinaus. Der größte Vorteil liegt in der Schaffung eines durchgängig wertschöpfenden Flusses im Planungs- und Bauprozess«, erklärt Claus Nesensohn, Gründer und Vorstand des Beratungsunternehmen für Lean Construction und integrierte Projektabwicklung refine. Durch die Anwendung von Lean-Prinzipien werde die Qualität der Bauausführung verbessert, was zu einer höheren Kundenzufriedenheit führe. Als gängigste und wichtigste Werkzeuge nennt sein Vorstandskollege Bülent Yildiz das Last Planner System, die 5S-Methode und die Wertstromanalyse. Das Last Planner System verbessert die Planungsqualität und -zuverlässigkeit, indem es eine bessere Koordination und Abstimmung zwischen den verschiedenen Gewerken und Stakeholdern ermöglicht. Die 5S-Methode konzentriert sich auf die Organisation und Sauberkeit am Arbeitsplatz und die Wertstromanalyse ist ein Instrument zur Visualisierung und Analyse von Prozessabläufen, die Engpässe, Verschwendungen sowie Potenziale zur Prozessoptimierung identifizieren. »Großes Potenzial sehen wir auch in der Integration von Lean Construction mit digitalen Tools wie BIM, da dies die Planungs- und Bauprozesse noch weiter optimiert«, erklärt Yildiz.
Wird eine Baustelle lean abgewickelt, hat das nicht nur große Auswirkungen auf das Baustellen-Team, sondern auch auf die Zulieferer. »Darauf muss man sich vorbereiten«, weiß Michael Toth von Wienerberger. Der Aufwand für eine qualitativ hochwertige Planung der Baustelle steigt. Detaillierte und zwischen den Gewerken optimierte Ausführungs- und Bauzeitpläne werden bereits vor Baustart erstellt. Um die termingerechte Lieferung garantieren zu können, müssen die Lieferanten laut Toth frühzeitig in die Planung eingebunden werden, und zwar sowohl bei konstruktiven Details als auch Lieferterminen laut Taktplan.