Auseinandersetzungen über unerwartete Mehrkosten prägen seit vielen Jahren größere Bauprojekte. Eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) stellt fest: Nur wer Mehraufwendungen bereits auf der Baustelle dokumentiert, hat eine Chance, Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Text von Lukas Andrieu.
Die Ausgangslage
In der jüngst ergangenen OGH-Entscheidung (6 Ob 136/22a) hatte das Höchstgericht über die Mehrkostenforderung eines Auftragnehmers zu entscheiden, welcher behauptete, aufgrund von Covid-19 bedingten Maßnahmen, den Bauprozess wesentlich umstrukturiert zu haben. Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung war die Behauptung, dass es bei der Arbeit an einer Kärntner Brücke im Jahr 2020 durch die pandemiebedingten Maßnahmen (Tragen von Schutzmasken und dadurch verursachter Leistungsabfall der Arbeiter, laufendes Desinfizieren, Stehzeiten etc.) zu »erheblichen Kosten und Produktivitätsminderungen« gekommen sei.
ABGB oder ÖNORM-Vertrag?
Beide Parteien waren sich im Anlassfall angesichts der Vertragslage (typischer ÖNORM-B2110-Vertrag) grundsätzlich einig, dass die beim Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren und nicht abwendbaren Folgen der Pandemie grundsätzlich die Auftraggeberin treffen. Dies ist in Punkt 7.2.1 der ÖNORM B 2110 ausdrücklich geregelt. Dies bestätigte auch der OGH.
Letztendlich wurde das Begehren des Auftragnehmers (über rund 30.000 Euro) aber dennoch abgewiesen: Die beklagte Auftraggeberin wendete die Unschlüssigkeit der Mehrkostenforderung ein, weil keine baustellenspezifischen konkreten Nachweise über die angefallenen Aufwendungen vorgelegt wurden. Das klagende Bauunternehmen stütze sich bei der Berechnung der Forderung nämlich im Wesentlichen auf abstrakte prozentuelle Zuschläge zur ursprünglichen Angebotskalkulation, die aus einem (nicht ausreichend auf die konkrete Baustelle bezogenen) bauwirtschaftlichen Sachverständigengutachten abgeleitet wurden.
Hohe Anforderungen an Bauunternehmen
Dies reichte dem OGH nicht aus. Der Auftragnehmer, der Mehrkosten fordert, hat laut OGH zunächst möglichst detailliert jene Tatsachen zu behaupten, aus denen er seine Mehrkostenforderung ableitet. Erst darauf aufbauend und wenn es dem Bauunternehmer gelingt, die Tatsachen zur Begründung seiner Mehrkostenforderung zu beweisen, kann es zu einem Ersatz für die Mehrkosten kommen. Der OGH stellt damit klar, dass die Behauptung und der Beweis durch den Bauunternehmer notwendig ist, welche konkreten Mehrkosten tatsächlich entstanden sind. Für spezialisierte Anwälte und Baujuristen lässt die Entscheidung noch immer viele Detailfragen zum notwendigen Umfang und der Art des Beweises der Mehrkosten offen.
Dennoch steht von der Zielrichtung fest, dass sich aus dieser Entscheidung ein wesentlicher Umbruch in der Baupraxis und der Rechtsdurchsetzung von Mehrkostenforderungen ergeben wird. Die Bedeutung der Entscheidung wird weit über den spezifischen Anlassfall hinausgehen.
Einigkeit bestand bislang nur über die Kernvoraussetzungen einer Mehrkostenforderung. Grundvoraussetzung ist jedenfalls, dass ein Umstand vorliegt, welcher zu einer Zeitverzögerung im Bauablauf oder einem sonstigen Erschwernis des Auftragnehmers führt. Dabei ist essenziell, dass der Umstand aus der Sphäre des Auftraggebers kommt, welcher die Erschwernis auslöst. Nicht einzustehen hat der Auftraggeber für Umstände aus der Sphäre des Auftragnehmers (z. B. Ausfälle in der Belegschaft).
Mehrkostenforderungen anlässlich von Arbeiten an einer Kärntner Brücke waren Anlass für die aktuelle OGH-Entscheidung. (Foto: iStock)
Bei der praxisrelevanten Vereinbarung der ÖNORM B2110 muss der Auftraggeber ausnahmsweise auch einen Großteil der Risiken der sogenannten »neutralen Sphäre« tragen. Klassische Beispiele wären dabei etwa unvorhersehbare Arbeitnehmerstreiks, außergewöhnliche Witterungsereignisse oder Pandemien (wie es nun der OGH auch bezogen auf Covid-19 festgestellt hat). Diese Umstände müssen sodann eine Zeitverzögerung bzw. eine Erschwernis im Bauablauf auslösen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Auftragnehmer nicht wie vereinbart mit der Werkerrichtung starten kann oder Arbeiten pausieren muss. Jedenfalls muss dies zu Leistungsabweichungen führen, durch welche der Auftragnehmer einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet.
Große Uneinigkeit bestand bislang darüber, wie dieser wirtschaftliche Nachteil zu behaupten und in weiterer Folge auch zu beweisen ist. Nunmehr schloss sich der OGH (zu Lasten der Bauunternehmer) der strengeren Ansicht an, wodurch sich die Anspruchsvoraussetzungen einer Mehrkostenforderung »erschwert« haben.
Dokumentation gewinnt weiter an Bedeutung
Für die Praxis bedeutet diese Rechtsprechung, dass eine akkurate und möglichst umfangreiche Aufzeichnung der konkreten Auswirkungen einer Baustörung bereits während dem Bauprozess stattfinden sollte (zum Beispiel mittels Bautagebuch und digitalen Dokumentationslösungen). Nur so können die einzelnen Störungen bereits in der Klage konkret behauptet werden. Eine – in der Praxis oftmals eingesetzte – Geltendmachung mittels nachträglicher Sachverständigenschätzung, wird dem – wie auch der oben referenzierte Anlassfall gezeigt hat – in der Regel nicht gerecht werden können. Für Auftragnehmer bedeutet dies einen erhöhten Kontroll- und Dokumentationsaufwand, um Mehrkostenforderungen auch tatsächlich durchsetzen zu können.
Ausgesparte Materialfrage
Zur aktuell höchst umstrittenen Frage der eklatanten Materialpreissteigerungen und deren Kostentragung enthält das OGH-Erkenntnis keine Aussagen. Es sprechen aber gute Argumente dafür, dass die Klarstellungen des OGH zu Leistungsstörungen nicht auf die Frage der Risikotragung bei Festpreisvereinbarungen übertragen werden können. Auch in diesen Fällen wird immer anhand des konkreten Vertrages zu prüfen sein, was die Parteien vereinbart haben.
Der Autor
Mag. Lukas Andrieu, LL.M. ist Partner der Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH (Wien und Graz) mit Tätigkeitsschwerpunkt im Bau- und Vergaberecht und Universitätslektor für Vertragsgestaltung an der Universität Graz.
(Foto: Scherbaum Seebacher)