Mittwoch, Februar 05, 2025
Die neue ÖNORM B2110
(Titelbild: iStock)

In ihrer neuen Fassung ist die ÖNORM B2110 so umfangreich wie nie zuvor. Wo sie sinnvoll eingesetzt werden kann – und wann man besser die Finger von ihr lässt: Eine Analyse des Bau & Immobilien Report in Zusammenarbeit mit KPK Rechtsanwälte.

Die ÖNORM B2110 begleitet ein Bauprojekt von der Ausschreibung über die Anbotslegung zum Vertragsschluss (Zuschlag) und die Bauausführung bis zur Übergabe und nötigenfalls danach zu Gewährleistung und Schadenersatzhaftung (siehe Grafik). Mit der Ausgabe vom 01.05.2023 samt Anhang ist die ÖNORM B2110 gegenüber der ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1947 nunmehr auf stolze 48 Seiten angewachsen.

Neuerungen 2023

Neu in der Ausgabe 2023 ist der gänzliche Entfall der Schlussfeststellung. Im neuen Kapitel 11 sind die Haftungsregeln nach Gewährleistungs- und Schadenersatzrecht und für Vertragsstrafen ohne maßgebliche inhaltliche Änderungen zusammengefasst. Ebenfalls neu sind die Anhänge A »value engineering« und Anhang B »Bonusregelung«, die ein Gegenstück zur Vertragsstrafenregelung darstellen sollen. Gegenüber der letzten Ausgabe von 2013 stellt die neue Ausgabe 2023 keine grundlegende Änderung dar, vielmehr handelt es sich um kleinere Anpassungen.


Ein erster Überblick

Die Vorteile der ÖNORM B2110:

  • Die ÖNORM B2110 schafft gegenüber dem ABGB »baupraktische« Regelungen (Beispiel: Leistungsänderungsrecht des AG).
  • Die ÖNORM B2110 ist als Vertragsformblatt einfach durch Verweis auf diese heranzuziehen.
  • Die ÖNORM B2110 ist am Bau Beteiligten – auch Technikern – aus Ausbildung und Erfahrung bekannt und wird auf der Baustelle »gelebt«.
  • Die ÖNORM B2110 ist in Rechtsprechung und Praxis erprobt, sodass die Auslegung durch die Gerichte leichter vorhersehbar ist, als bei individuell gestalteten Vertragsklauseln.
  • Das Risiko, dass einzelne Bestimmungen der ÖNORM B2110 als sittenwidrig beurteilt werden, ist gering

...und ihre Nachteile:

  •  Die ÖNORM B2110 geht vom Standardfall der AG-seitigen Planung aus und ist daher weniger geeignet für Verträge, die dem AN Planungsaufgaben zuweisen.
  • Während die ÖNORM B2110 in der Gesamtheit überwiegend ausgeglichen und sachgerecht vom ABGB abweicht (Recht des AG, eine Kaution zu fordern; Beschränkung des Rechtes des AG auf Zurückbehaltung des Werklohnes mit den dreifachen Behebungskosten), gibt es einzelne Regelungen, die sehr stark zulasten einer Partei vom ABGB abweichen (Begrenzung der Schadenersatzpflicht nach Punkt 11.3. (früher Punkt 12.3.)).
  • Die ÖNORM B2110 ist nicht geeignet für neue Formen der Projektabwicklung, wie etwa Early Contractor Involvement, Allianzmodelle, Mehrparteienverträge oder Partnering.
  • Die ÖNORM B2110 ist auf die Errichtung von Bauwerken zugeschnitten und daher nicht geeignet für sonstige Vertragsinhalte wie Planungsaufgaben, Herstellung und Montage von Maschinen oder Lieferung von Baumaterial.

In Aufbau und Struktur folgt die neue ÖNORM B2110 dem »klassischen Bauablauf«.

Warum soll man die ÖNORM B2110 vereinbaren?

Das ABGB ist mit dem dort geregelten Werkvertragsrecht nicht das perfekte Instrument für den Bauwerkvertrag. Insofern hat sich aus der Praxis bald die Notwendigkeit ergeben, »dem Bau« ein eigenes Vertragsformblatt zur Verfügung zu stellen. Damit musste der Gesetzgeber keine Sonderbestimmungen mehr für den Bauvertrag in das ABGB aufnehmen. In Deutschland hingegen sind seit 2018 Sonderbestimmungen für den Bauvertrag in das deutsche BGB aufgenommen. Aus diesem Grund ist die Existenz der ÖNORM B2110 als mögliches Vertragsformblatt klar zu begrüßen.

Die ÖNORM B2110 als Grundlage für Bauverträge ist in vielen Fällen dem individuell gestalteten Vertrag vorzuziehen: Die ÖNORM B2110 wird in Ausbildung und Fortbildung von Technikern und Bauwirtschaftern gelehrt. Ein individuell erstellter Bauwerkvertrag, der nicht auf der Baustelle gelebt wird, sondern zunächst in der Schublade verschwindet und erst im Streitfall oder vor Gericht wieder aus der Schublade genommen wird, ist nicht nützlich. Zudem wird die ÖNORM B2110 vom OGH als »ausgewogener Kompromiss« bewertet. Damit ist die ÖNORM B2110 Maßstab dafür, ob eine gröbliche Benachteiligung einer Partei gemäß § 879 Abs 3 ABGB vorliegt.

Gleichzeitig unterliegen die Bestimmungen der ÖNORM B2110 der Inhaltskontrolle nach § 879 ABGB. Der deutsche Gesetzgeber geht für die parallele VOB/B sogar noch weiter und entzieht diese in § 310 Abs 1 Satz 3 BGB weitgehend der Inhaltskontrolle. Aber auch in Österreich muss sich der Anwender wenig Sorgen machen, dass Klauseln der ÖNORM B2110 vor Gericht als unwirksam weil sittenwidrig erkannt werden. Bei einem sehr einseitigen Individualvertrag ist dies natürlich ein großes Risiko, dass vor Gericht eine Vertragsklausel als sittenwidrig und damit unwirksam beurteilt wird.

Ebenso hat die ÖNORM B2110 den Vorteil praxiserprobt zu sein. Es gibt zu ihrer Auslegung Literatur und Rechtsprechung des Höchstgerichtes. Demgegenüber ist ein individuell gestalteter Bauvertrag immer »terra incognita«. In einem Streitfall ist offen, wie die Gerichte diesen beurteilen. 

Bei klassischen Bauvorhaben überwiegen laut den Autoren Konstantin Pochmarski und Christina Kober die Vorteile der neuen ÖNORM B2110, zumindest solange der Auftragnehmer keine Planungsaufgaben hat. Für neue Formen der Projektabwicklung, wie etwa Early Contractor Envolvement, Allianzmodelle oder Mehrparteienverträge ist sie nicht geeignet. (Foto: beigestellt)

Warum soll man die ÖNORM B2110 nicht vereinbaren?

Der überwiegende Anwendungsbereich der ÖNORM B2110 betrifft einen klassischen Bauwerkvertrag: Der Auftraggeber (sein Planer) erstellt die Planung und auf deren Grundlage ein Leistungsverzeichnis. Dieses Leistungsverzeichnis wird ausgeschrieben und damit Gegenstand des Anbots des Auftragnehmers. Sodann erfolgt die Beauftragung mit einem Einheitspreisvertrag oder mit einem (Detail-)Pauschalpreisvertrag. Für besondere Vertragsgestaltungen, in welchen beispielsweise der Auftragnehmer als Totalunternehmer weitreichende Planungsaufgaben übernimmt, ist die Struktur der ÖNORM B2110 nur schlecht geeignet.

Wie oben dargelegt wird die ÖNORM B2110 aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Erstellung vom OGH als Kompromissergebnis betrachtet. Es gibt daher Bestimmungen, welche gegenüber der gesetzlichen Normallage besser für den AG sind; andere Bestimmungen sind besser für den AN, als die gesetzliche Normallage nach dem ABGB. Der AG wird beispielsweise durch die Einräumung eines Anordnungsrechtes nach Pkt. 7.1 bevorzugt; der AN wird bevorzugt durch die umfängliche Beschränkung der Zurückbehaltung des Werklohns nach Pkt. 10.4 auf die voraussichtlichen dreifachen Behebungskosten. Solche beiderseitigen Vor- und Nachteile entsprechen eben dem Wesen eines Kompromisses.

Teilweise sind aber die Abweichungen vom ABGB sehr stark und auch nur schwer zu begründen, sodass es hier immer wieder individuelle Abänderungen gibt. Als Beispiel darf die bei leicht fahrlässiger Schadenszufügung sehr stark begrenzte Schadenersatzhaftung nach Punkt 11 (früher Punkt 12) ÖNORM B2110 genannt werden. Freilich ermöglicht die Vertragsfreiheit, hier individuell in den Grenzen der Sittenwidrigkeitskontrolle abändernd einzugreifen. 

Fazit

Zusammengefasst überwiegen nach unserer Beurteilung für klassische Bauvorhaben mit Planung auf Seiten des Auftraggebers, Ausschreibung mit Leistungsverzeichnis und danach Einheitspreisvertrag/Pauschalpreisvertrag die Vorteile der Verwendung der ÖNORM B2110 und deren größerer Schwester ÖNORM B2118. 


Über die Kanzlei

Die Pochmarski Kober Rechtsanwälte GmbH (KPK Rechtsanwälte) ist eine Grazer Rechtsanwaltskanzlei mit Schwerpunkt im Zivil- und Baurecht. Zwei Rechtsanwälte und zwei Rechtsanwaltsanwärter vertreten Auftraggeber und Auftragnehmer sowie sonstige am Bau Beteiligte. Das Hauptaugenmerk liegt auf der rechtlichen Begleitung von Bauvorhaben während des gesamten Projektablaufes, sei es bei der Ausschreibung und Vergabe, Vertragsgestaltung, bei der Geltendmachung und Abwehr von Mehrkostenforderungen, Schadenersatzansprüchen und Gewährleistungsansprüchen oder im Streitfall außergerichtlich oder vor Gericht.

Infos: www.kpk-law.at

 

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