Mittwoch, Jänner 22, 2025
In der Stadt der teuren Mieten

Die jährliche Studienreise des Vereins für Wohnbauförderung führte heuer nach Berlin. Ein Negativbeispiel, denn der Anteil der Sozialbauten liegt in der deutschen Hauptstadt bei mageren drei Prozent - im Gegensatz zu 24 Prozent in Österreich.

Titelbild: Die Kastanienallee 12 ist ein Beispiel für den teilweise desolaten Gebäudezustand im ehemaligen Ostberlin. (Credit: PRB Legat)

Eine Trauerweide empfing die Teilnehmer der diesjährigen VWBF-Studienexkursion beim ersten Besichtigungsprojekt, der Kastanienallee 12 (K12) in der Region Prenzlauer Berg. Sie war Synonym für den desolaten Zustand des Substandardgebäudes, bedingt durch fehlende Sanierung in DDR-Zeiten. Toiletten befanden sich am Gang, Bäder waren in Küchen integriert, geheizt wurde mit Kohleöfen und auf der abblätternden Fassade befinden sich Graffitis. Bewohner berichteten, dass im Winter die Rohre teils zufroren, wenn eine Partei nicht heizte.

Die Kastanienallee ist Teil des historischen Hirschhofes und damit eigentlich ein besonderes Viertel. Das entdeckten nach der Wende Investoren und in der Folge entstand teurer Wohnraum. Altmieter*innen konnten sich den Zins nicht mehr leisten und wurden gekündigt – zu sehen z. B. in der Kopenhagener Straße 67. Dass den rund 100 Bewohner*innen der K12 ihre 50 Wohnungen blieben und der Komplex nun saniert wird, verdanken sie dem Vorkaufsrecht der Stadt. Diese hat ein zum Verkauf stehendes Gebäude in einem Milieuschutzgebiet – einem sozialen Erhaltungsgebiet – zum Marktwert erworben und an die Mietergenossenschaft Selbstbau und die Schweizer Stiftung Edith Maryon verkauft, nun ist eine Sanierung vorgesehen.

Die positiven Möglichkeiten des Vorkaufsrechts finden allerdings immer seltener Anwendung. »In den vergangenen Jahren wurde nur 15-mal davon Gebrauch gemacht«, berichtete Klaus Mindrup, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und eng mit der Wohnungswirtschaft verbunden. Er kritisierte zudem, dass die Mietpreisbremse von jedem Mieter und jeder Mieterin selbst kontrolliert werden muss. Die großen Vermieter würden sich an die Regeln halten, Problem seien die vielen kleinen mit zwei, drei Wohnungen, auf der Suche nach dem schnellen Geld und Menschen, die vermietete Wohnungen kaufen und in der Folge Eigenbedarf anmelden. Tausende Mietwohnungen würden dem Markt so pro Jahr verloren gehen.

Der soziale Wohnbau leidet auch stark unter der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. 2002 gab es in Deutschland noch etwa 2,5 Millionen preisgebundene Sozialmietwohnungen, bis 2019 ging die Zahl stetig auf 1,14 Millionen zurück.

Finanzielle Lösung

»Die Rettung eines Gebäudes wie K12 ist auch in Österreich möglich«, berichtete Michael Gehbauer, Obmann des VWBF. Es gebe den § 20a im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, der den Erwerb bestehender Baulichkeiten zur umfassenden Sanierung vorsieht. Bis in die 2000er-Jahre wurden Problemhäuser in der Stadt Wien angekauft und saniert. Problemhäuser gebe es aber heute in diesem Ausmaß nicht mehr.

»Wohnen ist in Berlin zum Luxusgut geworden. Insgesamt fehlen zehntausende Wohnungen«, berichtete Klaus Windrup (r.) dem Obmann des VWBF, Michael Gehbauer (l.). (Bild: PRB Legat)

Gleichzeitig kritisierte Gehbauer die fehlenden Mittel für die Wohnbauförderung, die von 1,3 Prozent des BIP Ende der 1990er-Jahre auf 0,4 Prozent zurückgegangen ist, ebenso die fehlende Zweckwidmung des Wohnbauförderungsbeitrages. Positiv sei dagegen die Kooperation von Wohngenossenschaften mit Baugruppen. Insbesondere in Wien habe sich eine Szene entwickelt, wo die gemeinnützige Wohnungswirtschaft sehr stark mit Baugruppen kooperiert. Er nannte beispielsweise das Projekt Que[e]r­bau und die Baugruppe WaLeWi.

Innovative Konzepte

In den vergangenen zehn Jahren zog eine halbe Million Menschen nach Berlin, mehr als 3,8 Millionen haben hier ihren Hauptwohnsitz. Die Bautätigkeit hält mit dem Andrang allerdings nicht annähernd Schritt. Während die Baubewilligungen pro 1.000 Einwohner*innen in Österreich und Frankreich bei etwa 6 bis 7 lagen, liegt der Vergleichswert in Deutschland deutlich unter 5.

Mit Dachaufstockungen kann konventionelles Bauen ergänzt und neuer Wohnraum geschaffen werden. Der Plattenbautyp WBS 70 eignet sich laut HOWOGE besonders gut für Aufstockungen. (Bild: HOWOGE/Rentsch)

Neue Wohnkonzepte sind gefragt und werden auch schon realisiert, z. B. Clusterwohnungen. Das Konzept der Genossenschaft Am Ostseeplatz – es gab Fördermittel für experimentellen Wohnungsbau – sieht gemeinschaftliches Wohnen mit Küchen, Wohnfluren und Balkonen vor, auf jeder Etage gibt es dazu private Wohnungen, das Gebäude ist in Holz errichtet. Mit der Förderung hat die Genossenschaft Glück gehabt, denn richtig funktionierende Förderprogramme für den Neubau gibt es heute nicht mehr. Mit Dachaufstockungen kann konventionelles Bauen ergänzt und neuer Wohnraum geschaffen werden.

Nachhaltig Bauen

»Beim Thema Dekarbonisierung ist Deutschland bereits weit fortgeschritten«, meinte Klaus Baringer, Obmann des GBV. Die Gemeinnützigen seien aber schon gut unterwegs. »Wir haben den klimarelevanten Bestand (bis 1980) bereits zu 96 Prozent thermisch saniert. Da sind wir im Vergleich zum gesamten Immobilienbestand Kilometer voraus.« In Berlin hat Klaus Mindrup dem VWBF zahlreiche nachhaltige Beispiele vorgestellt. Vieles hänge nun von der Gesetzgebung und den Fördermöglichkeiten ab.

»Wir möchten alle Objekte, die noch nicht fossilfrei mit Energie versorgt sind, umstellen. Daher war das Projekt Märkische Scholle ein sehr interessantes Beispiel, wie das funktionieren kann«, betonte Michael Gehbauer. (Bild: VWBF)

Das Gebäudeenergiegesetz wurde vor kurzem geändert. Neue Heizungen müssen ab 2024 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. »Wohnen am Campus« ist ein autofreies Quartier der HOWOGE am Rande des Technologieparks Adlershof für mehr als 1.000 Bewohner*innen, auf den Dächern befindet sich eine PV-Anlage mit rund 3.600 m². In der Pankower Dolomitenstraße der EWG wird Grauwasser, d. h. Dusch- und Badewasser sowie Abwasser aus Waschmaschinen und Handwaschbecken zur Wärmerückgewinnung und Wasseraufbereitung verwendet. Das Projekt Märkische Scholle steht neben Dämmung der Gebäudehülle für Wärme- und Abluftwärmepumpen, solarthermische sowie PV-Anlagen, Puffer- und Langzeitspeicher, Aufbau eines Lastmanagements und Vernetzung der Häuser. Genutzt werden E-Tanks, d. h. Erdwärmespeicher, die die überschüssig gewonnene Wärme im Erdreich speichern. Der Primärenergiebedarf konnte um fast 85 Prozent reduziert werden.

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