Sonntag, Mai 19, 2024

Im März 2023 erfolgt der Baustart für das erste Allianzvertrag-Pilotprojekt der Asfinag. Weitere sollen folgen, auch im Bereich der Streckensanierung. Details zu diesen und weiteren Pilotprojekten verrät Andreas Fromm, soeben wiederbestellter Geschäftsführer der Asfinag Bau Management GmbH. Außerdem: Wie er Innovationen zu Standards machen will, ohne den Markt zu verknappen.

Sie wurden Anfang des Jahres als Geschäftsführer der Asfinag Bau Management GmbH für weitere fünf Jahre wiederbestellt. Was werden die wichtigsten Eckpfeiler dieser Amtszeit sein?

Andreas Fromm: Es gibt drei wesentliche Fragen, die wir uns stellen müssen: Was ist unsere Kostenverantwortung? Wie sieht die verkehrspolitische Verantwortung aus? Und was ist klimarelevant? Im Kostenbereich sehen wir speziell in der Sanierung große Herausforderungen auf uns zukommen. Das Streckennetz ist zu weiten Teilen in den 70er-Jahren gebaut worden. In den nächsten Jahren werden wir einen Großteil der Brücken und Tunnel sanieren müssen. Das ist eine finanzielle Herausforderung, aber auch eine Frage der personellen Ressourcen. Wir werden in den nächsten sechs Jahren rund neun Milliarden Euro in das Netz der Asfinag investieren. Bisher war das Verhältnis zwischen Neubau und Sanierung ausgeglichen, jetzt geht es in Richtung 70:30 zugunsten der Sanierung.

Sie sind bei der Asfinag vor allem für die Bautätigkeit zuständig. Für Ihre Wiederbestellung mussten Sie sich auch einem Hearing stellen. Womit konnten Sie überzeugen?

Fromm: Vor allem ging es mir darum, die finanziellen und verkehrspolitischen Anforderungen mit den klimapolitischen Herausforderungen zu verknüpfen, und um die Frage, wie wir die aktuellen Innovationen der Baubranche in der Praxis umsetzen und so effizienter werden können. Eine Effizienzsteigerung hat ganz viele Vorteile. Man braucht weniger Ressourcen und verursacht weniger CO2. Gerade im Bereich Nachhaltigkeit arbeiten wir an vielen Innovationen. Das reicht von Baustoffen mit einem geringeren CO2-Fußbadruck über neue Konstruktionsarten und die Frage, ob man nicht generell mit weniger Material auskommen kann, bis zu Innovationen in der Bauabwicklung wie Lean Management. 

Zum Thema Lean Management gibt es ja auch schon Pilotprojekte. Mit welchen Zielen?

Fromm: Das Ziel ist, dass Lean Management bei der Asfinag Standard wird. Mit der Errichtung der Lärmschutzwand im Bereich Biedermannsdorf haben wir im letzten Jahr ein erstes großes Pilotprojekt umgesetzt, das die großen Vorteile von Lean deutlich aufgezeigt hat. Weitere Projekte wie etwa ein großes Rastplatz-Projekt in Niederösterreich werden folgen. Da fließen viele verschiedene Gewerke auf kleiner Fläche ineinander. Das ist prädestiniert für Lean. Unser Ziel ist, bis Mitte des Jahres einen Prozess zu haben, dass wir bei ähnlichen Projekttypen standardmäßig Lean einsetzen.

Viele Auftraggeber haben Sorge, dass sie sich künstlich den Markt verknappen, wenn sie neue Methoden oder Innovationen in Ausschreibungen fordern. Hat die Asfinag diese Sorge nicht?

Fromm: Als Asfinag wollen wir natürlich einen möglichst offenen, breiten Markt haben, damit wir mit wirtschaftlichen Angeboten rechnen können. Wir müssen bei allen Innovationen akribisch darauf achten, dass es zu keinen Monopolstellungen kommt. Deshalb müssen wir unsere Zielsetzungen immer mit der Bauwirtschaft abstimmen. Nehmen wir das Beispiel Recycling-Asphalt. Das war lange Zeit kaum verbreitet, dadurch dass wir es aber als Qualitätskriterium in den Ausschreibungen immer stärker forciert haben, ist es heute Standard. So soll es auch mit anderen Innovationen sein.   

Ein weiteres noch relativ neues Thema sind Allianzverträge. Mit dem Bau von vier Talübergängen auf der S31 im Bereich Sieggraben hat die Asfinag ganz aktuell ein erstes Pilotprojekt zum Thema gestartet. Wie sieht das Allianzmodell der Asfinag aus?

Fromm: Wir haben uns sehr stark an dem Leitfaden der Österreichischen Bautechnik Vereinigung ÖBV orientiert und den klassischen, wenn man das schon so sagen kann (lacht), »Allianzvertrag Infrastruktur« gewählt. Die wesentlichen Punkte sind eine gemeinsame Risikosphäre, die Abrechnung nach Open Book und ein Projektteam aus Auftraggeber und Auftragnehmer, das vor Ort Entscheidungen treffen kann. Dafür haben wir über ein Jahr lang in einem Verhandlungsverfahren die richtige Arbeitsgemeinschaft gesucht, mit der wir dieses Projekt abwickeln. Das war ein ganz entscheidender Punkt, denn dieses eine Jahr ist kein verlorenes Jahr, sondern im Gegenteil ein gewonnenes Jahr. Wir haben in dieser Zeit das Projekt stark diskutiert und optimiert.

Mit wie vielen Bietergemeinschaften waren Sie im Kontakt?

Fromm: Es gab im Vergabeverfahren eine Präqualifikation, aus der vier Bietergemeinschaften hervorgegangen sind. Am Schluss wurde aus zwei Bietergemeinschaften eine ausgewählt.

Wer hat den Zuschlag erhalten?

Fromm: Aus diesem Verfahren ist eine Bietergemeinschaft aus Habau und Swietelsky als Bestbieter hervorgangen. Baubeginn für das Projekt ist im März 2023, geplantes Ende im Juni 2026. 

Was sind Ihre konkreten Erwartungen an das Projekt?

Fromm: Da muss ich etwas ausholen. Wir haben in der Corona-Zeit gemeinsam mit der ÖBV einen Leitfaden entwickelt, der es Auftraggebern ermöglicht, Allianzverträge zu argumentieren. Das ist sehr gut angekommen und hat dazu geführt, dass alle großen Infrastrukturunternehmen wie ÖBB und BIG aber auch Energieunternehmen Pilotprojekte gestartet haben, bei denen wir ähnliche Standards verfolgen. Das ist auch eine enorme Erleichterung für die Bauunternehmen, die sich nicht bei jedem Projekt mit einem neuen Modell auseinandersetzen müssen.  Meine konkrete Erwartung ist, dass wir unter dem Motto »best for project« Probleme gemeinsam vor Ort lösen und echte Win-Win-Situationen schaffen. Die Firmen sollen das abrechnen können, was sie investiert haben, mit einem gewissen Zuschlag. Und wir als Auftraggeber bekommen transparent und ehrlich die Leistung, die wir bezahlen. Ein großer Vorteil des Allianzvertrags ist auch, Innovationen umsetzen zu können, ohne dass es vertragliche Hürden gibt.

Wie gehen Sie damit um, dass nicht nur die Asfinag als Auftraggeber, sondern auch die Auftragnehmer noch wenig Erfahrung mit der Umsetzung von Allianzprojekten haben?

Fromm: Wir haben im gesamten Vergabeverfahren sehr viele Qualitätsparameter abgefragt. Das ist auch soweit gegangen, dass wir auch Hearings gemacht haben, bei denen wir mit psychologischer Begleitung die Teams aufeinander treffen haben lassen. Da konnte man auch recht gut beurteilen, wie groß die Bereitschaft ist, in einem Allianzmodell zusammenzuarbeiten. Bei Pilotprojekten kann man nicht auf Erfahrung zählen. Wir haben auch keine Erfahrung, sind aber sehr gut vorbereitet. Wir haben etwa einen eigenen Abrechnungsleitfaden zum Allianzvertrag erstellt. Das ist ein sehr theoretisches Werk, das sich jetzt in der Praxis beweisen muss. Wir haben auch Strukturen entwickelt, die für andere Projekte anwendbar sind. Es ist sehr viel Know-how und Energie in dieses erste Projekt geflossen. Das wollen wir auch für andere Projekte nutzen.

Das heißt, die Asfinag plant weitere Projekte mit dem Allianzmodell? Welche werden das sein?

Fromm: Wir sind gerade dabei, das festzulegen. Wir planen drei bis vier Projekte mit Baustart 2024 oder 2025. Dafür müssen wir jetzt beginnen, weil wir gesehen haben, wie wichtig die Planungsphase ist.

In welcher Größenordnung?

Fromm: In der Größenordnung des aktuellen Projekts, also rund 70 Millionen Euro, aber auch größer. Besonders spannend sind für uns große Tunnelsanierungen an der A10 und der A9. Ich denke, dass da Allianzmodelle extrem gut funktionieren können.

Warum gerade im Sanierungsbereich?

Fromm: Bei Tunnelsanierungen gibt es große Unsicherheiten. Das reicht vom Bestand bis zu einer hohen Flexibilität der einzelnen Bauphasen. Das bedeutet auch, dass sich die bauausführenden Firmen stark einbringen können, etwa in Fragen der Logistik. Das führt zu einer deutlichen Optimierung der Bauabwicklung. Bei den Tunnelprojekten geht es immer auch um viel Ausrüstungsleistungen. Das ist im Vorfeld oft schwierig im genauen Umfang zu definieren. Da kommt es beim Einheitspreisvertrag sehr schnell zu Streitigkeiten. Da ist es oft schwierig, das gemeinsam zu lösen. 

Gibt es noch weitere Ideen für Pilotprojekte?

Fromm: Zum Thema Nachhaltigkeit sehe ich großes Potenzial im Bereich der Baustoffe. Da sind wir in engem Austausch mit der Stahl- und Zementindustrie. Da gibt es sehr vielversprechende Ansätze der Industrie. Wir wollen jetzt etwa der Frage nachgehen, ob CO2-arme Betone auch langlebig sind. Auf vertraglicher Ebene wollen wir auch bei Standardverträgen die ökosozialen Qualitätskriterien anheben und Nachhaltigkeits-Values machen. Damit sollen nicht nur wirtschaftliche Verbesserungen entsprechend gewichtet werden, sondern auch umweltrelevante Verbesserungen. Das ist auch ein toller Anreiz für Unternehmen, ihr Know-how einzubringen.

Natürlich gibt es auch weitere Anstrengungen im Bereich der Digitalisierung. In den letzten Jahren ist es stark um das Thema BIM gegangen. Auch wenn viele Firmen behaupten, BIM sei bereits Standard, muss man ehrlich sagen: in der Praxis sind wir davon noch ein Stück weit entfernt. Da stehen wir noch ganz am Anfang. Das gilt vor allem auch für die Dokumentation. Wir machen die Feldaufnahmen immer noch händisch. Da erwarte ich in den nächsten Jahren große Fortschritte, indem Systeme besser ineinandergreifen und wir eine einheitliche Datenstruktur haben. Ein weiteres Ziel ist auch, die örtliche Bauaufsicht besser zu schulen, denn sie ist ja unser verlängerter Arm auf der Baustelle. 

Fünf weitere Jahre liegen vor Ihnen. Wenn wir uns am Ende Ihrer zweiten Amtszeit wieder sehen, was sollte dann passiert und umgesetzt sein, damit Sie von einer erfolgreichen zweiten Periode reden?

Fromm: Ganz oben auf meiner Agenda steht die Reduktion der CO2-Emissionen am Bau. Da gibt es enorme Potenziale. Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist wie wir als Unternehmen aufgestellt sind. Das Thema »Digital Leadership« wird zu einer großen Veränderung der Arbeitswelt führen. Die Viertagewoche wird ein Thema werden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir auch in Zukunft engagierte und qualifizierte Mitarbeitende finden und langfristig halten.


Das Pilotprojekt »Allianzvertrag« im Überblick

Der Bau von vier Talübergängen auf der S31 im Bereich Sieggraben wird als klassischer »Allianzvertrag Infrastruktur« abgewickelt. Die wesentlichen Punkte sind eine gemeinsame Risikosphäre, die Abrechnung nach Open Book sowie ein Projektteam aus Auftraggeber und Auftragnehmer, das vor Ort Entscheidungen treffen kann. Der Zuschlag ging nach einem einjährigen Verhandlungsverfahren an eine Bietergemeinschaft aus Habau und Swietelsky. Baustart für das 70 Millionen Euro schwere Projekt ist im März, die geplante Fertigstellung im Juni 2026. 

(Titelbild: Report)

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