Sonntag, Dezember 22, 2024

Zehn Jahre nach Erscheinen der ersten Bauprodukteverordnung (CPR) hat die Europäische Kommission (EC) einen Entwurf für die Revision des Regelwerks vorgelegt. Dieser wird von den Europäischen Bau- und Baustoffbranchen als dringend notwendiges Update begrüßt, ist aber in vielen Punkten umstritten. Ein Überblick.

Neuerungen des Entwurfs

Die Europäische Kommission soll nicht weniger als 19 Ermächtigungen zur Erlassung von delegierten Rechtsakten erhalten, z. B. zur Erstellung von technischen Spezifikationen für Bauprodukte. Mit diesen Akten wird die EC rechtssetzend tätig auf Basis des gesetzlichen Rahmens, der durch die CPR vorgegeben ist. Laut Entwurf wäre die Kommission u. a. berechtigt, bestimmte Produktanforderungen sowie zusätzliche Umweltauflagen festzulegen und Normungsaufträge zur Ausarbeitung freiwilliger Normen zu erteilen. Zahlreiche Stakeholder fordern, dass diese Befugnisse der Kommission auf Ausnahmefälle beschränkt werden sollen, um das ordnungsgemäße Funktionieren der CPR und des Europäischen Normungswesens zu gewährleisten.

Der CPR-Entwurf verfolgt eine Ausweitung des Geltungsbereichs auf Produktfamilien, die derzeit nicht als Bauprodukte gelten, z. B. Datensätze für 3D-Drucke, bestimmte Dienstleistungen wie die Herstellung von Schlüsselteilen von Produkten, aber auch Fertighäuser. Hier stellen sich eine Reihe von Abgrenzungsfragen zwischen Gebäuden und Bauprodukten, die es noch zu klären gilt. Bleibt es beim Kommissionsvorschlag, sind Europäische Bewertungsdokumente (EADs) nicht mehr Teil der harmonisierten technischen Spezifikationen.

Neue Pflichten

Neben der Leistungserklärung (DoP) für Bauprodukte wird eine zusätzliche Konformitätserklärung (DoC) eingeführt. Obwohl die Hersteller die Möglichkeit haben, die »Konformitäts- und Leistungserklärung« in einem einzigen Dokument auszustellen, gibt es Bedenken hinsichtlich des Verwaltungsaufwands und der zusätzlichen Kosten. Diese Produktinformationen müssen in eine neu zu schaffende EU-Baudatenbank hochgeladen werden. Bauproduktehersteller und Importeure befürchten ein bürokratisches Monster, denn die Doppelgleisigkeiten mit nationalen Datenbanken werden damit nicht abgeschafft. Kritiker*innen halten es für ausgeschlossen, diese EU-Datenbank auf einem aktuellen Stand zu halten, der mit dem Bauproduktemarkt synchron geht. 

Bauproduktehersteller und Importeure befürchten ein bürokratisches Monster.

Welche Informationen sollen über die EU-Baudatenbank bereitgestellt werden?

  • Digitaler Produktpass = Declaration of Performance (DoP), Declarartion of Conformity (DoC).
  • Gebrauchsanweisung für Produkte einschließlich Reparaturanleitung.
  • Ermöglicht dem Kunden die Auswahl zwischen Produkten auf Basis der Nachhaltigkeitsleistung.
  • Verbindung zu digitalen Gebäudedatenbanken.
  • Informationen für Jahrzehnte verfügbar.

Maschinenlesbare Leistungserklärungen von Bauprodukten (DOPs) sind im Entwurf bisher nicht vorgesehen. Digitale DOPs, die maschinell eingelesen werden können, sind somit nicht zugelassen. Dieser Mangel wird von maßgebenden Stakeholdern kritisiert. Darüber hinaus werden neue Auskunftspflichten für Wirtschaftsakteure an Behörden eingeführt. Die Daten, wer ein Produkt geliefert hat und wer finanziell oder personell an der Zurverfügungstellung beteiligt ist oder war, müssen zehn Jahre lang auf Nachfrage vorgelegt werden können. Ebenfalls ein bürokratisches Ungetüm, mit dem insbesondere der Handel überfordert wäre.

Umweltverpflichtungen

Neu ist die Ausweisung von Nachhaltigkeitskennwerten für Bauprodukte, wobei die Details von technischen Produktregelwerken festzulegen sind. Das Global Warming Potential (GWP) muss jedenfalls verpflichtend ausgewiesen werden. Verpflichtend wird auch die Ausweisung der durchschnittlichen Lebensdauer von Produkten sein, um vorzeitige Obsoleszenzen (zu frühes Kaputtgehen) identifizieren zu können. Die Regelung soll zu längeren Lebensdauern von Bauprodukten beitragen. Es ist nicht klar, wie ein Hersteller – ohne das konkrete Bauwerk für den Einbau zu kennen – deklarieren soll, wie lange die Lebensdauer eines Bauprodukts sein wird. Diese ist wesentlich von den Einbaubedingungen abhängig.

Die neue CPR fordert, dass Bauprodukte leicht repariert, renoviert und modernisiert werden können müssen. Die diesbezüglichen Anleitungen müssen zehn Jahre lang, ab dem letzten Inverkehrbringen eines Produkts, verfügbar gemacht werden. Harmonisierte technische Spezifikationen müssen zukünftig Mindestanforderungen an den Recyclinganteil von Bauprodukten festlegen sowie andere Grenzwerte in Bezug auf Aspekte der Umwelt-, einschließlich der Klimaverträglichkeit regeln. Es gibt die neue Verpflichtung, Produkte so zu gestalten, dass Wiederverwendung, Wiederaufbereitung und Recycling erleichtert werden – insbesondere durch Erleichterung der Trennung von Bauteilen und Werkstoffen und durch Vermeidung von gemischten, vermengten oder komplizierten Werkstoffen. Dazu kommt, dass Inverkehrbringer verpflichtet werden, überschüssige und von Zwischenhändlern nicht verkaufte Produkte zurückzunehmen, die sich in einem Zustand befinden, der demjenigen entspricht, in dem sie in Verkehr gebracht wurden.

Zur Überprüfung der Umweltverpflichtungen wird das neue »Assessment and Verification System 3+« (AVS-System) eingeführt, das externe Stichprobenkontrollen bei Herstellern vorsieht. Dieses System wird von manchen Branchenexpert*innen als schwer zu erfüllende, kostspielige Schikane bezeichnet. 

Produkte müssen so gestaltet werden, dass Wiederverwendung, Wiederaufbereitung und Recycling erleichtert werden.

Keine kurzfristige Lösung

Weiters sieht der Entwurf die endgültige Aufhebung der bestehenden CPR zum 1. Januar 2045 vor, sodass eine »Übergangszeit« von mehr als 20 Jahren ermöglicht wird. Warum bleiben zwei Regime so lange Zeit parallel bestehen mit der Gefahr der Verwirrung von Behörden und Wertschöpfungsketten?

Dies hat wesentlich mit den neuen Regeln für die Erstellung bzw. Erlassung von harmonisierten Produktspezifikationen zu tun. Geht es nach der Kommission, sollen zukünftig alle wesentlichen Bauprodukteanforderungen im Rahmen des sogenannten »Acquis-Prozesses« festgelegt werden. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der der Europäischen Normung vorgelagert ist.  Die Kommission startete vor dem Hintergrund des »James Elliott Case« (Rechtssache C-613/14 EuGH) diesen Prozess, um die bestehenden harmonisierten technischen Spezifikationen im Hinblick auf die formalen Anforderungen aus diesem EuGH-Urteil zu überarbeiten.

Unter dem »Acquis« ist der gesamte Bestand aller bisher veröffentlichten harmonisierten Spezifikationen, also Normen und Bewertungsdokumente, zu verstehen. Dieser Bestand soll »repariert« werden, um Rechtskonformität und Vollständigkeit des »Acquis« im Sinne des EuGHs zu gewährleisten. Es darf in harmonisierten Spezifikationen z. B. keine Verweise geben auf nationale Normen oder undatierte Verweise auf Europäische Normen und es dürfen nur Regelungen mit Bezug zu den acht Grundanforderungen der CPR geschaffen werden. Um zu verhindern, dass zusätzliche Spezifikationen entstehen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, hat die Kommission seit dem Jahr 2018 nur mehr eine Handvoll Bauproduktenormen im Official Journal veröffentlicht. Mehr als 200 Kandidaten-Normen hat sie die Veröffentlichung verweigert, weshalb oft von einer »Normenblockade« gesprochen wird.

In Zukunft muss das Global Warming Potential (GWP) verpflichtend ausgewiesen werden.

Um den Normenbestand zu überarbeiten hat die Kommission im Jahr 2021 begonnen, »Aquis-Produktarbeitsgruppen« einzurichten. Insgesamt 34 Gruppen sollen es im Laufe der Zeit werden, die sich mit den harmonisierten Spezifikationen bestimmter Produktfamilien befassen. Die ersten fünf Gruppen sind »Betonfertigteile«, »tragende Metallteile«, »gehärteter Stahl«, »Türen/Fenster« und »Zement«. Jedes weitere Jahr sollen mehrere neue Produktgruppen dazukommen. Nach den Schätzungen der Kommission wird es mehr als zehn Jahre dauern, bis der gesamte »Acquis« überarbeitet ist. Das erklärt die lange Übergangsfrist der neuen CPR bis zum 1. Januar 2045.

Was Acquis besser machen soll

Die Acquis-Produktarbeitsgruppen setzen sich aus Vertreter*innen der Kommission, der Mitgliedstaaten und der »Interested Parties« (baunahe Branchen) zusammen. Kommission und Mitgliedsstaaten dominieren den Prozess, Branchenvertreter*innen werden als Expert*innen zugezogen. Die Arbeitsgruppen legen die wesentlichen technischen Produktanforderungen plus die neuen Umweltanforderungen fest, als Basis für die CE-Kennzeichnung. Nach Ansicht der EC macht erst dieses Gesamtpaket die technischen Spezifikationen vollständig (»exhaustive«) im Sinne des EuGHs. Darüber hinaus wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass nur wesentliche Anforderungen an Produkte mit Bezug zu den acht Grundanforderungen der CPR festgelegt werden.

Den CEN-Normengremien wirft die Kommission vor, die oben genannten Anforderungen an harmonisierte Produktspezifikationen nicht zu erfüllen. Der Acquis-Prozess soll diese Fehler ausmerzen, indem er die Standardisierungsaufträge an CEN wesentlich stärker determiniert, als dies bisher der Fall war. Der Handlungsfreiraum der CEN-Gremien wird damit bewusst eingeschränkt. 

Fazit

Der schwerfällige Acquis-Prozess bringt es mit sich, dass es viele Jahre dauern könnte, bis neue Produktspezifikationen veröffentlicht werden. Bis dahin muss die Praxis mit veralteten Standards als Basis für die CE-Kennzeichnung von Bauprodukten auskommen. Als Ausweg haben einige CEN-Ausschüsse begonnen, freiwillige (nicht harmonisierte) Produktnormen zu veröffentlichen.

(Bilder: iStock)


Zusammenfassung neuer Umweltverpflichtungen für Hersteller:

  1. Nachhaltigkeitskennwerte für Bauprodukte sind auszuweisen, davon das Global Warming Potential (GWP) verpflichtend.
  2. Ausweisung der durchschnittlichen Lebensdauern von Bauprodukten.
  3. Produkte müssen leicht repariert, renoviert und modernisiert werden können.
  4. Einhaltung der Mindestanforderungen an Recyclinganteile sowie an die Umwelt- bzw. Klimaverträglichkeit von Bauprodukten.
  5. Neue Verpflichtung, Produkte so zu gestalten, dass Wiederverwendung, Wiederaufbereitung und Recycling erleichtert werden.
  6. Neue Verpflichtung, überschüssige und unverkaufte Produkte direkt oder über Händler zurückzunehmen, die sich in einem Zustand befinden, der dem beim Inverkehrbringen entspricht.
  7. Externe Stichprobenkontrollen der Einhaltung von Umweltanforderungen an Bauprodukte.

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