Ein möglichst geringer Personaleinsatz auf der Baustelle ist der Wunsch bei jedem Bauvorhaben. Durch Digitalisierung sollen Bautätigkeiten automatisiert ausgeführt werden. Im Hochbau gibt es schon einige Erfolgsgeschichten, jetzt nimmt auch der Tiefbau langsam Fahrt auf.
Die Stimmungslage des österreichischen Baugewerbes hat sich laut KMU Forschung Austria insgesamt etwas eingetrübt: 21 Prozent der Betriebe beurteilen im 2. Quartal die Geschäftslage mit »gut« (Vorjahr: 46 Prozent), 63 Prozent mit »saisonüblich« (Vorjahr: 44 Prozent). Im Tiefbau ist 2022 nach einer kräftigen Erholung im Jahr 2021 (+5,9 Prozent) ein schwächeres Wachstum von +1,8 Prozent zu erwarten.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund versuchen Bauunternehmer, Prozesse verstärkt zu automatisieren, effizienter zu arbeiten und unter Tage neue Technologien einzusetzen. »Im Hochbau sind wir zwar auch noch nicht dort, wo wir es gerne hätten, aber da ist die Branche bei der Digitalisierung schon einen Schritt weiter«, analysiert Christian Schranz vom Zentrum Digitaler Bauprozess an der TU Wien. Im Tiefbau fehle es nach wie vor an der Umsetzung in Softwareprodukten, der aktuellste openBIM-Standard IFC 4.3 deckt den Infrastrukturbau aber bereits besser ab.
Die geringe Anwendung im Tiefbau hängt für Thomas Leopoldseder, CEO von Q-Point, sowohl mit der höheren Komplexität von Hochbauprojekten zusammen sowie mit langjährigen Mitarbeiter*innen, die nur schwer von den Vorteilen der neuen Lösung zu überzeugen sind. »Digitalisierung wird umso intensiver eingesetzt, je mehr junge Mitarbeiter in die Branche kommen.«
»Digitale Methoden messen Verdichtungs- und Temperaturparameter des Asphalts automatisch und flächendeckend. Man braucht keine Kernbohrung, sondern arbeitet mit Sensoren«, informiert Thomas Leopoldseder, Q-Point. (Bild: Q-Point)
Angekommen ist die Digitalisierung unter Tage jedenfalls in der Planung, wenn man an 3D-Modelle denkt. In der Ausführung besteht noch großer Handlungsbedarf. Zur Anwendung kommt sie bereits bei Messeinrichtungen. »Für uns sind digitale Sensoren entscheidend«, berichtet Franz Grabner, Business Development Manager bei Pipelife. Oberflächen- und Dachwasser einer Siedlungsanlage wird gesammelt, in unterirdische Speicher geleitet, Sensoren zeigen den Füllstand und starten kontrolliertes Versickern, wenn ein Starkregenereignis bevorsteht. Ebenso informieren sie über Reinigungs- und Wartungsbedarf.
Digitalisierung unter Tage
Für Karl-Heinz Strauss, Geschäftsführer der Porr, ist Tiefbau ein diverses Feld, sehr maschinengetrieben, und die digitale Dokumentation steht branchenweit noch am Anfang. »Wir betreiben daher aktuell einige Pilotprojekte, um die Leistungsdokumentation von Maschinen zu automatisieren. Es geht z. B. darum, dass ein Bagger automatisch zurückmeldet, wieviel Leistung er erbracht hat.« In der Logistik geht es um die Zahl der Transporte und wohin das Material geschafft wurde. Diese Dokumentation geschehe branchenweit noch stark auf Zettelbasis, die Daten würden erst nachträglich in Computerprogramme eingetragen. Hier bestehe großer Bedarf, diese Prozesse zu digitalisieren.
Ob Kanalwesen, Straßenbau oder Tunnel – GPS-Baumaschinensteuerungssysteme erhöhen Effizienz und Sicherheit auf der Baustelle (im Bild: Steuerbox GPS-Bagger). (Bild: Swietelsky)
Bereits stark digitalisiert ist der gesamte Tiefbauprozess bei der Habau. »3D-Objekte schaffen Intelligenz für Bauzeitpläne, Massenermittlungen und die gesamte Bauabwicklung. Wir können mit 3D-Planungen die Maschinensteuerung vorantreiben«, informiert Karl Fröschl, Abteilungsleiter Vermessung. Bei der Habau sind viele Maschinen im Einsatz, wo GPS- oder Tachymeter-Steuerungen zur Anwendung kommen, vor allem Bagger, Raupen und Grader.
Noch viel Potenzial
Die Arbeit am Bau ist sehr stark prozessgetrieben. Jeder Part muss aufeinander abgestimmt sein, redundante Arbeiten und Informationsverlust zwischen der digitalen Planung und der realen Ausführung sind zu vermeiden. Auch Karl-Heinz Strauss erkennt viel unausgeschöpftes Potenzial durch Digitalisierung im Tiefbau. »Neue Technologien wie Drohnen bieten großartige Möglichkeiten und die Maschinensteuerung mit Sensorik ist ein weiteres Wachstumsfeld.«
Vor allem im Spezialtiefbau braucht es diese, wie auch 3D-Vermessungen. Früher gab es eher Beschreibungen von der Leistung als detaillierte Planungen, vor Ort mussten die Schritte angepasst werden. »Das Projektierungsgebiet wird nun mittels registrierter Drohnen von geschultem Personal beflogen und durch Fotoserien und GPS-Daten festgehalten«, beschreibt Johann Dobrezberger, Bereichsleiter Spezialtiefbau bei Swietelsky, die neue Praxis. Mittels Photogrammetrie werden die Aufnahmen in ein digitales Geländemodell umgewandelt. Zur detaillierten Projektierung werden unterschiedliche CAD-gestützte Programme verwendet, welche detaillierte Lagepläne, Schnitte und Kubaturberechnungen sowie Visualisierungen erzeugen können.
Aufgrund der sehr unregelmäßigen Geländemodelle im Tiefbau kommen immer öfter Drohnen für die Vermessung zum Einsatz. (Bild: Habau Group)
Höhere Qualität und mehr Effizienz sichern laut Thomas Leopoldseder nicht nur bereits existierende Lösungen zur Bauprozesssteuerung, sondern zukünftig auch Augmented Reality. »3D-Brillen auf der Baustelle befinden sich aber noch im Experimentierzustand.« Potenzial erkennt er in smarten Informationssystemen in der Straße. »NFC-Chips werden zukünftig in die Straße oder in das Bauobjekt integriert, die Forschung geht sehr weit.« Hilfreich sind Chips z. B. bei auftretenden Qualitätsmängeln, sie geben einen Überblick über den Lifecycle der Schwachstelle.
Digitale Infusion für den Tiefbau
»Das Problem sind nicht zu wenige Softwarelösungen, vielmehr ist es der regelrechte Wildwuchs an Produkten«, so Karl-Heinz Strauss. Viele Lösungen würden aber nur Teilprozesse abdecken. Wichtig wäre eine durchgängige Dokumentation von Modellierung über Vermessung bis zur Maschinensteuerung. Auch Johann Dobrezberger verweist auf die fehlende Standardisierung. »Jeder versucht, sein eigenes Süppchen zu kochen. Es fehlen Schnittstellen, Programme kommunizieren nicht miteinander.«
Ähnlich sieht das Matthias Flora, Stiftungsprofessor für Tunnel Information Modeling an der Leopold-Franzens-Uni Innsbruck. »Es passiert zwar viel im Bereich Digitalisierung, aber es entstehen zunehmend Insellösungen. Wir müssen intelligente Systeme schaffen, die Menschen und Maschinen verbinden.« Lukas Hochreiter, BIM-Ingenieur bei der Habau spricht ein anderes Problem an. »Wir mussten dreidimensionale Daten in der Vergangenheit sehr häufig selbst aufbereiten, denn diese werden noch sehr selten von den Auftraggebern zur Verfügung gestellt. Durchgängige Standards fehlen, es gibt zwar einige Standards, diese sind aber unzureichend, um damit wirklich auf der Baustelle zu arbeiten.«
Franz Grabner, Pipelife, sieht in einem System ähnlich der Traceability Codes, wie sie als Chargenkennzeichnung und für Rückverfolgbarkeit in der Gaswirtschaft eingesetzt werden, die Zukunftslösung. (Bild: image industry)
Ein IFC-Modell vom Planer kann nicht direkt von den Bauunternehmen verwendet werden, da die Typisierung diverser Bauteile unzureichend ist. Nötig ist immer eine gewisse Aufarbeitung und Übersetzung. Dieser Hemmschuh ist laut dem BIM-Ingenieur kein österreichisches Thema, sondern ein internationales. Die Habau engagiert sich in Arbeitskreisen und Normungsausschüssen für die Etablierung eines einheitlichen Datenmodells.
Fokus Nachhaltigkeit
Neben Digitalisierung ist Nachhaltigkeit ein Big Point im Tiefbau. »Ab dem Geschäftsjahr 2025/2026 sind große Bauunternehmen zur Veröffentlichung eines geprüften Nachhaltigkeitsberichts verpflichtet«, sagt Hubert Wetschnig, CEO Habau Group. In ersten Projekten versucht die Habau mit Einsatz digitaler Lösungen die CO2-Bilanz zu rechnen und zu optimieren. »BIM spielt eine große Rolle, weil das Modell für Berechnungen verwendet werden kann. Methoden zur Reduktion des CO2-Ausstoßes lassen sich so leichter finden, Materialvergleiche können rasch erstellt werden.«