Mittwoch, November 20, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Fredrik Werner vom Architekturbüro Henn über Klimaschutz im Bauwesen und erklärt, warum er beim Münchner Büroprojekt »DER bogen« auf Beton statt Holz setzt und das Gebäude damit nachhaltig und zukunftsweisend ist. (Titelbild: Henn)

Report: Herr Werner, die New York Times hat Ende 2021 ein Interview mit Martin Henn veröffentlicht, der das Architekturbüro Henn in der dritten Generation mit einem Team von 20 Partnern führt. Der Fokus des Gespräches lag auf einem neuen Vokabular in der Architektur, das er in das Unternehmen eingeführt hat: Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, organisches Denken.

Seit wann agiert Henn verstärkt nach diesem Credo und inwieweit muss die tägliche Arbeit in Ihrem Büro neu gedacht werden, um Gebäude zu entwerfen, die der Umwelt zugutekommen, statt sie zu belasten?

Fredrik Werner: Seit mehr als 30 Jahren beginnt jedes unserer Projekte mit einem Programming. Die Sinnhaftigkeit einer Bauaufgabe wird dabei jedes Mal hinterfragt und intensiv mit dem Bauherrn diskutiert. So wird gemeinsam ein maximaler Gegenwert für zukünftige Nutzer geschaffen. Denn nur wenn ein Gebäude einen langfristigen Nutzen hat und gleichzeitig von Nutzern und Nachbarn akzeptiert wird, erfüllen wir eine wichtige Komponente der Nachhaltigkeit.

In den vergangenen zehn Jahren aber hat die ökologische Dimension extrem an Bedeutung gewonnen. Das begleitet uns über alle Planungs- und Realisierungsphasen eines Projektes. Ein Gebäude im Sinne unserer Umwelt und der Zukunft unserer Kinder zu entwerfen und zu realisieren, bedarf einer holistischen Denkweise, die sehr viele Komponenten in sich vereinen muss. Dazu zählen die Art der Konstruktion und der Nutzung, der Ort, an dem ein Gebäude steht, die Akzeptanz der Nutzer und Nachbarn, die Wahl der Energieversorgung oder die Fähigkeit zum späteren Recycling. Der Erfolg liegt immer im Dialog aller Beteiligten. Es geht darum, bleibende Werte zu schaffen.

Report: Die CO2-Emissionen aus Bau und Nutzung von Gebäuden sind für bis zu 40 Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich. Wo kann die Architektur ansetzen, um diese gewaltige Zahl zu reduzieren?

Werner: Zunächst sollte man sich als Bauherr und als Architekt die Frage stellen, ob immer ein Neubau notwendig ist oder ob man ganz oder teilweise mit bestehenden Strukturen arbeiten kann. Denn im Altbestand ist ein immenser Teil an CO2 gebunden. Darüber hinaus sollte bei Projektplanungen stets die Reduktion von Bodenversiegelungen und damit der flächenschonende Umgang mit Bauland diskutiert werden. In besonders dichten Gebieten können außerdem Hochhäuser eine nachhaltige Antwort sein.

Die Wahl der Materialität für Konstruktion, Ausbau und Fassade ist ebenfalls ein wesentliches Thema für uns als Architekten. Denn hochwertige, dauerhaft beständige Materialien, die – langfristig betrachtet – wiederverwertet werden können, sind ein wichtiges Kriterium. Auch über die Verwendung von recycelten Baustoffen denken wir zunehmend nach. Zumal diese eine ganz eigene und überraschende Ästhetik haben können.

Report: Eines Ihrer aktuellen Projekte in München, der Business-Campus »DER bogen«, wird als Niedrigenergiegebäude unter Verwendung nachhaltiger Baumaterialien errichtet. Dafür gab es eine Vorzertifizierung in DGNB Gold.

 

Das Büroprojekt »DER bogen« in München ist als integrativer Stadtbaustein konzipiert, der nicht nur für die künftigen Mieter*innen, sondern die ganze Nachbarschaft konzipiert ist. (Bild: DER bogen GmbH & Co. KG)

Report: Allerdings wird das Gebäude aus klassischen Baumaterialien wie Beton und Stahl gebaut. Viele Architekturbüros und Bauherrn setzen aber verstärkt auf den Bau von Holz- oder Holzhybridgebäuden. Wieso haben Sie in ihren Entwürfen keinen Holzhybriden vorgeschlagen?

Werner: Holzhybrid- und auch Mischlösungen wurden in den frühen Planungsphasen untersucht. Aufgrund der besonderen Geometrie des Gebäudes mit seinen vielen Rundungen und komplexen Verschneidungen haben wir uns gemeinsam mit dem Bauherrn dazu entschieden, den Bau in Beton zu realisieren. Der Fokus wurde auf ein wirtschaftliches Gebäuderaster gelegt, Deckenstärken und Stützenquerschnitte konnten so auf ein Optimum reduziert werden. Diese Robustheit des »bogens« setzt auf eine sehr langfristige Nutzung und dadurch auf einen nachhaltigen Lebenszyklus. Außerdem profitiert das Gebäude im Gegensatz zu einer Holzkonstruktion von den thermischen Speichermassen der Betonbauweise.

Report: Ist »DER bogen« dennoch ein nachhaltiges Gebäude und damit auch für Mieter spannend, die ihre Unternehmen nach den ESG-Richtlinien ausrichten?

Werner: Das Gebäude ist als integrativer Stadtbaustein konzipiert. Es wird also nicht nur für die künftigen Mieter errichtet. Vielmehr bietet er auch der Nachbarschaft ein Angebot an Einzelhandel, gastronomischen Einrichtungen und Freizeitangeboten – auch außerhalb der Bürozeiten und sogar am Wochenende. Der Neubau fügt sich damit subtil und angemessen in seine Umgebung ein. Dadurch hat er etwas selbstverständliches und wird so auf lange Sicht nachhaltig.

Report: Ob der bewusste Einkauf von Lebensmitteln oder die Entscheidung für Öko- statt herkömmlich erzeugtem Strom: Nachhaltiges Handeln ist schon im Alltag von uns allen oft mit höheren Kosten verbunden. Wie schlägt sich umweltbewusstes Architektur-Denken in den Baukosten nieder – und wo bietet es eventuell sogar Sparpotenziale?

Werner: Nachhaltiges Bauen heißt nicht unbedingt, teurer zu bauen. Es ist immer der ganzheitliche, holistische Ansatz, der aus unserer Sicht nicht nur eine Antwort auf ESG, sondern im Speziellen auch auf ökologische Nachhaltigkeit gibt. Dazu ist ein intensiver Dialog mit vielen Stakeholdern des Bauherrn bis hin zu den einzelnen Fachgewerken erforderlich. Eine unserer wesentlichen Aufgaben ist es, alle Beteiligten zusammenzubringen und dadurch das Baubudget an den richtigen Stellen sinnvoll einzusetzen.

Natürlich müssen wir uns auch immer wieder mit neuen Technologien und Materialien auseinandersetzen, um die Kosten belastbar evaluieren zu können. Dazu zählen beispielsweise Technologien für die Holzhybridbauweise oder modulare Baukastensysteme und recycelbare Baustoffe. Wir arbeiten beispielweise gerade an einem Projekt mit der TU Dresden, in dem es um die Entwicklung und den konstruktiven Einsatz von Carbon-Beton geht.

Report: Neben dem Klimaschutz spielt seit Beginn der Coronapandemie ein weiteres Thema in der Gesellschaft eine zunehmend starke Rolle: Die Büroarbeit der Zukunft. Inwieweit hat das Tauziehen um die Rückkehr der Mitarbeiter aus dem Homeoffice in die Büros die architektonische Planung für »DER bogen« beeinflusst?

Werner: Es wird künftig darum gehen, mehr als nur gewöhnliche Büroflächen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen zusätzliche Angebote wie Gastronomie, Handel, Sportmöglichkeiten, Dachterrassen oder attraktive Außenräume in Bürogebäuden geschaffen werden. Die Zukunft der Arbeit wird sicherlich hybrid sein. Das heißt, Mitarbeiter werden einige Tage zu Hause arbeiten, die restlichen im Büro verbringen. Der Wunsch, Kolleginnen und Kollegen zu treffen und sich physisch auszutauschen, ist nicht nur in kreativen Berufen spürbar.

Für diese neue Art der Meeting-Hubs müssen wir die Büros künftig anders konzipieren. Denn Mitarbeiter wollen manche Aufgaben auf Co-Creation-Flächen gemeinsam schaffen. Konzentrierte Arbeiten aber wollen sie in Rückzugszonen im Büro oder im Homeoffice erledigen. All diese Themen kann »DER bogen« durch seine robuste und flexible Struktur abbilden, obwohl wir zum Zeitpunkt der Konzeptphase alle nicht wussten, wie man Corona schreibt.

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