Die sommerliche Überhitzung ist eine von vielen Herausforderungen von urbanen Zentren. Während das diesbezügliche Problembewusstsein seit vielen Jahren stark ausgeprägt ist, wird die generelle Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum noch weitgehend vernachlässigt. Der Bau & Immobilien Report hat mit Architekt Philipp Molter (Titelbild) über die vier Komfortparameter im Außenraum gesprochen, wie sie verbessert werden können und welche Städte als Vorbilder dienen sollten.
Report: Eine wesentliche Ursache für städtische Überhitzung ist die Bodenversiegelung. Aber ohne Bodenversiegelung gibt es auch keine Urbanität. Ist das Problem also systemimmanent?
Philipp Molter: Das kann schon sein (lacht). Es gibt aber auch vieles, das für eine Bodenversiegelung spricht. Etwa die Nachverdichtung. Auch da kommt es zu einer zusätzlichen Versiegelung, aber das ist als Ganzes betrachtet natürlich eine sehr sinnvolle Variante der Versiegelung. Dafür muss man in anderen Bereichen gegensteuern, etwa mit dem Pflanzen von Vegetation auf den Wänden oder Dächern. Das muss im Neubau parallel mitgedacht werden und mitlaufen und im Bestand nachgeholt werden.
Über Google Earth kann sich jeder ganz gut ein eigenes Bild machen, wie viel versiegelte Flächen es in Städten gibt. Da reden wir nicht nur von der Wohninfrastruktur sondern vor allem auch der Verkehrsinfrastruktur. Aber nicht nur in den Städten, auch im suburbanen Raum und in Gewerbegebieten ist der Grad der Versiegelung enorm hoch. Gerade wenn man sich die Parkplätze von Supermärkten oder Einkaufszentren ansieht. Die sind konzipiert für theoretische Stoßzeiten, stehen die meiste Zeit aber leer.
Report: Das Problembewusstsein im suburbanen Raum, bei Fachmarktzentren scheint durchaus gegeben. Wie steht es um das Bewusstsein in urbanen Zentren?
Molter: Ich denke, auch hier ist das Problembewusstsein vorhanden, zumindest bei den wichtigsten Akteur*innen und Entscheidungsträger*innen. Auch wenn die Entscheidungen dann meist noch nicht so getroffen werden, wie sie eigentlich sollten und worüber ja auch weitgehender Konsens herrscht. Weniger Awareness aus Sicht von Architekt*innen und Städteplaner*innen gibt es über das Thema »Komfortbedingungen im Außenraum« im urbanen Kontext. Damit beschäftigen wir uns wissenschaftlich erst seit ca. 20 Jahren. Das ist eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne.
Report: Was verstehen Sie unter Komfortbedingungen im Außenraum?
Molter: In der Architektur gehen wir von vier Komfortparametern aus: akustischer, olfaktorischer, thermischer und visueller Komfort. Gerade im urbanen Kontext ist der akustische Komfort enorm wichtig, wird aber oft negiert. Unser Gehirn schafft es mit viel Aufwand, Störgeräusche auszublenden. Diese akustischen Belastungen führen vielfach zu einem hohen Maß an Erschöpfung und Stress. Schallharte Oberflächen wie Glas führen dazu, dass ganze Straßenzüge für den Aufenthalt von Menschen unbrauchbar werden.
Da kann man mit Vegetation aber auch mit der bewussten Wahl von Baumaterialien einiges machen. Das gilt auch für den thermischen Komfort. Ich habe mich selbst dabei beobachtet, im Sommer gewisse Straßenzüge zu meiden. Das sind vor allem Straßen ohne Vegetation, mit geringer Beschattung und einer hohen akustischen Belastung. Da steht die Forschung aber noch ganz am Anfang, da wird es in den nächsten Jahren viele neue Erkenntnisse geben.
Report: Welche Erwartungen oder Forderungen haben Sie an die Politik?
Molter: Als Europäer*innen haben wir ein Erbe, das einen hohen Wert besitzt: die europäische Stadt, in der fußläufig fast alles erreichbar ist, mit belebten Erdgeschoßzonen und dem Bewusstsein, wie wichtig der öffentliche Raum ist. Das hat in der Pandemie noch einmal an Bedeutung gewonnen.
In großen Städten funktioniert das in der Regel ganz gut. Da hat auch die Politik die Komfortansprüche an den öffentlichen Raum stark im Blick. Anders sieht das in mittelgroßen Städten aus. Da ist dieses Bewusstsein noch viel geringer ausgebildet. Da muss noch viel mehr auf die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums geachtet werden, inklusive der vier erwähnten Komfortparameter. Das hat natürlich auch ökonomische Auswirkungen. Wenn der öffentliche Raum nicht genutzt wird, fallen Städte als Handelsumschlagplätze weg.
Report: Was sind denn besten Möglichkeiten, um die Aufenthaltsqualität zu steigern, um Überhitzung und akustische Belastungen zu vermeiden oder zu reduzieren?
Molter: Es gibt zum Glück viele Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen. Vegetation ist eines, aber natürlich können wir nicht jedes Gebäude mit einer Fassadenbegrünung versehen. Das wollen wir auch gar nicht, auch aus ästhetischen Gründen.
Mit unserem Projekt climate active bricks zeigen wir, wie mit differenzierten geometrischen Selbstverschattungen ästhetische Qualitäten mit Komfortqualitäten kombiniert werden können. Dabei generieren wir durch Vertiefungen deutlich mehr Schattenflächen. Gerade die im urbanen Bereich dominanten Glasflächen reflektieren die solare Strahlung und tragen dazu bei, dass der öffentliche Raum unkomfortabler wird. Deshalb müssen wir verstärkt darauf achten, mit verschiedenen Geometrien und Materialien ein Gegengewicht zu schaffen.
Auch von Städten im Süden kann man da viel lernen. Wenn Sie im Sommer durch eine südspanische Stadt gehen, werden Sie sehen, dass zwischen den Häusern Textilien gespannt sind. Das verbessert die Aufenthaltsqualität enorm.
Report: Was genau zeichnet das Projekt climate active bricks aus?
Molter: Ziegel ist einer der ältesten Baustoffe und hat sich dank seiner hervorragenden Eigenschaften weltweit über Jahrtausende bewährt. Vor diesem Hintergrund wollten wir einen Diskussionsbeitrag liefern, der verschiedene Trendthemen der Bauindustrie adressieren und einen altbewährten Baustoff in unsere Zeit überführen soll. Da geht es um die Vorteile der Digitalisierung ebenso wie um das ästhetische Potenzial des Ziegels sowie seine bauphysikalischen Vorzüge.
Es handelt sich um ein interdisziplinäres Projekt, das einen der ältesten Baustoffe der Welt mit modernen Möglichkeiten und Ansätzen verbindet.
Report: Sollen die Ergebnisse und Erkenntnisse auch in konkrete Projekte überführt werden oder steht der theoretische Hintergrund im Fokus?
Molter: Aktuell sind wir an einem Punkt der Forschung angelangt, wo wir die Vorteile des Baustoffs im urbanen Kontext nachweisen können. Jetzt kommen die ersten, konkreten Interessensbekundungen. Da wird sich in den nächsten Jahren einiges tun.
Report: Wer konkret zeigt Interesse? Sind das die Kommunen, private Auftraggeber, Auftragnehmer oder Architekten?
Molter: In erster Linie sind es Architekt*innen, die an konkreten Wettbewerben teilnehmen und nach innovativen Lösungen suchen.
Report: In Städten spielt Ziegel gegenüber anderen Baustoffen wie Stahl oder Beton eine untergeordnete Rolle. Welches Potenzial hat Ziegel im urbanen Kontext?
Molter: Architekt*innen haben verlernt, die unterschiedlichen Eigenschaften und Qualitäten von Baustoffen zu erkennen und auch entsprechend zu nutzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Ziegel auch in der Stadt eine wichtige Rolle spielen kann, einfach weil er viele Vorteile hat. Er wird regional produziert und hat tolle bauphysikalische Eigenschaften.
In den letzten Jahren wurde oft aus der Hüfte geschossen und der Beton in den Vordergrund gestellt. Der hat natürlich auch seine Vorteile, die haben andere Baustoffe aber auch. Es ist ja kein Zufall, dass oft vom »Pflichtbeton« statt »Sichtbeton« gesprochen wird (lacht). Aktuell wird viel über Holz gesprochen. Aber ich denke, dass wir alle gut beraten wären, wenn wir wieder stärker über die unterschiedlichen Qualitäten der verschiedenen Materialien nachdenken würden.
Report: Kommen wir noch einmal zur sommerlichen Überhitzung zurück. Gibt es Städte, die das Thema aus Ihrer Sicht gut angegangen sind und die gute Lösungen bieten?
Molter: Es gibt viele Städte, die über ihre Baugeschichte zu guten Lösungen gekommen sind. Ich habe vorhin Städte in Südspanien mit ihren Tendidos angesprochen. Andere Städte haben oberirdische Wasserleitungen, die für ein angenehmeres Klima sorgen.
Neuere Projekte sind etwa in Paris der Place de la Republique. Das war früher ein stark dem Verkehr zugeschriebener Ort, der in den letzten Jahren transformiert und der Öffentlichkeit zurückgegeben wurde. Da wurde viel mit Wasser, Vegetation und hellen Materialien gearbeitet, womit die Aufenthaltsqualität deutlich gesteigert wurde.
Interessante Beispiele sind aber auch Planstädte wie Masdar, die zwar nicht fertig gebaut wurden, wo aber auch viel über die Aufenthaltsqualität in öffentlichen Räumen nachgedacht und entsprechend geplant wurde. Schade, dass es nicht zur Umsetzung gekommen ist.
Termin
Bei der zweiten Auflage der Future Brick Days am 19. Mai dreht sich alles um das Thema »Nachhaltige Bauwelten«. Philipp Molter wird über das Thema »Kampf der städtischen Überhitzung« sprechen.
Programm und Anmeldung unter: www.futurebrickdays.at