Die Bauchemie zählt zu den innovativsten Teilbereichen der Bauwirtschaft. Das aktuelle Produktportfolio der wichtigsten Hersteller hat mit dem vor zehn Jahren kaum noch etwas gemein. Gefragt sind vor allem nachhaltige, effiziente Lösungen. Was die Branche schon heute im Angebot hat und woran noch getüftelt wird.
Nachhaltigkeit ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Megatrends unserer Zeit. Im Bauwesen bedeutet das unter anderem die Verwendung lokaler, möglichst emissionsarmer und zunehmend recycelter, langlebiger Rohstoffe. Dabei spielen bauchemische Produkte eine entscheidende Rolle. »Beinahe alle unsere Produkte vereinfachen die Bauweise oder verlängern das Leben von Bauwerken und sparen daher seit Jahrzehnten mehr CO2 ein, als ihre Herstellung verursacht«, erklärt Michael Jernei, Bereichsleiter Forschung, Entwicklung, Qualitätssicherung und Verkauf Export bei Sika.
Auch die Produkte selbst sind im Laufe der Zeit immer nachhaltiger geworden. Große Sprünge sind laut Ardex-Geschäftsführer Gunther Sames etwa in der Substitution gefährlicher Lösemittel als Rohstoff, in der Performancesteigerung der Systemlösungen und in der Entwicklung emissionsarmer Produkte gelungen. Auch das Ardex-Portfolio wird laufend in diese Richtung optimiert und erweitert.
Die Innovationszyklen in der Bauchemie sind deutlich kürzer als in anderen Bereichen der Bauwirtschaft. Bei Murexin wird ein Drittel des Umsatzes mit Produkten gemacht, die jünger als fünf Jahre sind. Vergleicht man das aktuelle Portfolio mit dem vor zehn bis 15 Jahren, ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Es wurden zahlreiche neue Produkte entwickelt, die sparsamer im Verbrauch und damit ressourcenschonender sind, die emissionsarm und unbedenklich für die Gesundheit des Verarbeiters sind und die Raumluft nicht belasten.
»Produkte mit höherer Ergiebigkeit liefern heute zum Beispiel mit 18 kg die gleiche Verlegeleistung, für die man früher 25 kg Materialeinsatz gebraucht hätte«, erklärt Murexin-Geschäftsführer Bernhard Mucherl. Mit dem Einsatz der MSP-Technologie (siehe Kasten) wurden viele Produkte einkomponentig, lösemittelfrei und emissionsarm. »Mit diesem Fortschritt in der Technologie konnten wir ökologische Alternativen zu den alten Produkten fest am Markt etablieren und sind damit sehr erfolgreich«, sagt Mucherl.
Sika Österreich hat mit Sika MonoTop-412 Eco einen Hochleistungs-Instandsetzungsmörtel mit verbesserter Performance bei gleichzeitig 30 % reduziertem Zementeinsatz entwickelt, der von Österreich an Schwestergesellschaften in ganz Europa geliefert wird. »Mit diesem Produkt konnten wir zeigen, dass Nachhaltigkeit und bessere Performance kein Widerspruch sind. Beim Einsatz von einer Palette Mörtel spart der Kunde über 60 kg CO2. Das ist erst der Anfang und die nächsten Generationen sind in Entwicklung«, kündigt Jernei an.
Bei Mapei bedeutet Nachhaltigkeit vor allem eine ganzheitliche Betrachtung. »Es geht darum, die vielfältigen Aspekte des Umweltgedankens zu vereinen, wie z.B. die Sicherstellung umweltschonender Produktionsverfahren, die Verringerung des CO2 Ausstoßes und auch das Recycling im Produktlebenszyklus«, erklärt Geschäftsführer Andreas Wolf. Deshalb wird bei Mapei die Umweltverträglichkeit eines Produktes während des gesamten Produktlebenszyklus bewertet und analysiert. Zudem wird die regionale Produktion an den Standorten Nußdorf ob der Traisen und Langenwang weiter verstärkt und ausgebaut. »Bereits jetzt wird eine Vielzahl an Produkten hier in Österreich produziert, dadurch verringert sich nicht nur der CO2-Abdruck unserer Produkte, sondern wir sichern Arbeitsplätze und beleben die regionale Wirtschaft«, erklärt Wolf.
Geschwindigkeit zählt <<
Neben Nachhaltigkeit ist die Effizienzsteigerung eine weitere wichtige Anforderung an die Bauchemie. »Besonders gefragt sind Produkte, die eine rasche Verarbeitung und Multitasking ermöglichen«, sagt Andreas Wolf und meint damit Produkte, die mehrere Eigenschaften in sich vereinen und somit individuell einsetzbar sind und viele Anwendungsmöglichkeiten bieten.
Geschwindigkeit zählt auch bei Ardex. »Dank Technologien wie dem ArduRapid-Effekt und SpeedTec sind unsere Baustoffe in Rekordzeit verlegereif. Das beschleunigt den Baufortschritt, senkt die Kosten und schont die Umwelt«, erklärt Geschäftsführer Sames.
Bei Murexin sind die Rezepturen so eingestellt, dass die Produkte sehr emissionsarm, physiologisch unbedenklich sowie leichtgängig zu verarbeiten sind und mit ihnen hohe Reichweiten erzielt werden können. Dazu kommen Produkte, mit denen ganze Arbeitsschritte eingespart werden können. »Wir bieten sogenannte Kompaktsysteme zur Bodenverlegung oder auch rasche Systeme bei der Bodenbeschichtung an, die eine fertige Oberfläche in zwölf Stunden ermöglichen«, so Mucherl.
Auch bei Sika geht es um einfachere Verarbeitung, weniger Arbeitsgänge und schnellere Wiederverwendung/Trocknung. »Zum Beispiel ermöglicht unser neuartiger in Österreich entwickelter schwundfreier SikaScreed HardTop-65 Industrieestrich zusammen mit der zum Patent angemeldeten Einglättprimer-Technologie einen zementösen Industrieboden, der am gleichen Tag mit Epoxidharz grundiert und am nächsten Tag endbeschichtet werden kann«, erklärt Jernei. Dies spart nicht nur Zeit für den Bauherrn, sondern auch zusätzliche Anfahrten auf die Baustelle und die Entsorgung von Strahlgut, da ein Kugelstrahlgang entfällt. Woran die Forschungsabteilungen der Hersteller aktuell tüfteln, lesen Sie im Kasten.
Auswirkungen der Rohstoffknappheit
Mit Ende des ersten Quartals hat sich die Situation bei zahlreichen wichtigen Rohstoffen extrem verschärft. Davon betroffen waren und sind auch bauchemische Produkte. Mehrere Rohstofflieferanten haben kurzfristig und ohne Vorankündigung »Force Majeure« erklärt und Lieferzusagen nicht oder nur teilweise eingehalten. In Kombination mit der anhaltend hohen Nachfrage hatten fast alle Hersteller Probleme mit der Auslieferung einzelner Produkte. Auch Preisanpassungen mussten durchgeführt werden. So war etwa Ardex zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte gezwungen, auch in Österreich und in den CEE- und SEE-Exportmärkten eine »unterjährige, moderate Preiserhöhung umzusetzen«.
Die meisten Hersteller rechnen nicht mit einer Entspannung noch in diesem Jahr. Deshalb wird etwa bei Sika versucht, die »Auswirkungen mit internen Maßnahmen wie einer flexiblen Produktionsplanung abzufedern, damit vieles beim Kunden gar nicht ankommt«.
Die aktuellen F&E-Schwerpunkte der wichtigsten Hersteller (alphabetisch)
- Ardex: In insgesamt vier Forschungszentren wird aktuell an der Weiterentwicklung unterschiedlichster Produkte und Produktgruppen hinsichtlich Nachhaltigkeit, Effizienz und dem Einsatz alternativer Rohstoffe gearbeitet. Ein großes Ziel ist es, alternative Rohstoffe zu finden, die mindestens genau die gewohnte Performance der Ardex-Produkte und Systemlösungen sicherstellen.
- Mapei: In 31 Mapei Forschungszentren weltweit wird an neuen, nachhaltigen und effizienten Lösungen geforscht. Zudem arbeitet Mapei nicht nur an neuen Produkten und neuen Rezepturen, sondern investiert vor allem laufend in die Modernisierung der Produktionsanlagen, um die Produktionsstandorte in Österreich noch weiter auszubauen. Dem Megatrend Nachhaltigkeit begegnet man mit Produkten wie dem Betoninstandsetzungmörtel der Mapegrout Linie, der seit Anfang 2021 in Nußdorf ob der Traisen produziert wird, sowie dem Betonzusatzmittel Re-Con Zero.
- Murexin: Bei der Entwicklung neuer Produkte setzt Murexin auf moderne Technologien wie auf die sogenannte MSP-Technologie, die auf silan-modifizierten Polymeren basiert. Produkte auf dieser Basis zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr emissionsarm und physiologisch unbedenklich sind, aber gleichzeitig technologisch hervorragend sowie einfach und effizient in der Anwendung. Die MSP-Technologie kommt bei Murexin in allen Sparten zum Einsatz. Zudem hat Murexin bitumenfreie Bauwerksabdichtungen entwickelt, die einkomponentig, gebrauchsfertig und ökologisch sind.
- Sika: In verschiedenen Forschungszentren weltweit wird daran gearbeitet, bei der nächsten Mörtel-Generation Zement zu 50–90 % zu ersetzen und den CO2-Ausstoß in gleichem Umfang zu reduzieren. Mit seinen Zusatzmitteln und Additiven will Sika bei der Herstellung des CO2-armen Zements der Zukunft ein unverzichtbarer Partner sein. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Betonrecycling »reCO2ver«, das sich gerade im Übergang von der Grundlagenforschung auf die Pilotanlage befindet. Damit könnte man unter gleichzeitiger Bindung von CO2 aus anderen Prozessen (Zementherstellung, fossile Kraftwerke) eine hundertprozentige Wiederverwendung der Betonzuschläge ermöglichen. Somit könnte man in Zukunft den CO2-Ausstoß der Zementerzeugung umkehren.