Laut einer aktuellen Studie von Horváth & Partners rechnen Hersteller in Europa mit weiteren zweistelligen Preissteigerungen bei Rohstoffen.
Die Corona-Krise hat das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei Rohstoffen zur Produktion langlebiger Güter stark aus dem Gleichgewicht gebracht. Während die Hersteller Produktion und Lagerbestände pandemiebedingt herunterfahren mussten, stieg die Nachfrage nach Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen sowie Bau- und Renovierungsmaterialen für Innenräume und Außenanlagen an. Dazu kamen gerade in jüngster Vergangenheit ungünstige Naturereignisse wie extreme Trockenheit oder durch Borkenkäfer verursachte Schäden, die zu Engpässen führen. Lieferketten, die durch Lockdowns unterbrochen oder gestört waren, mussten sukzessiv reaktiviert werden. Als „i-Tüpfelchen“ gab es den Stau im Suezkanal-Stau sowie die Blockade eines der weltweit größten Container-Häfen in China. Die Folge: die Rohstoffpreise sind nahezu explodiert. Im Durchschnitt gab es Preissteigerungen um 30 Prozent seit Herbst 2020 beziehungsweise 20 Prozent seit Jahresbeginn – mit Spitzen von 65 Prozent beispielsweise bei metallischen Sekundärrohstoffen. Den stärksten Anstieg verzeichnet Holz, hier hat sich der Preis in Deutschland seit September verdoppelt. „Alle zwei bis drei Tage werden die Rohstoffpreise nach oben angepasst. Den Trend geben Nordamerika und China vor, wo die Preise bereits um ein Drittel höher sind als in Europa“, sagt Pricing-Experte Danilo Zatta von der Managementberatung Horváth. „Es geht sogar so weit, dass immer mehr Handwerksbetriebe ihre die Arbeit einstellen und Kurzarbeit beantragen müssen, weil trotz hoher Auftragslage einfach zu wenig Rohstoffe am Markt zu beschaffen sind, selbst zu überteuerten Preisen.“
Wie jetzt eine aktuelle Horváth-Studie unter mehr als 1.000 Führungskräften aus produzierenden Unternehmen in zwölf europäischen Ländern zeigt, rechnen auch die Hersteller mittelfristig nicht mit einem Ende der Preisspirale. Ganz im Gegenteil: Ob Holz, Stahl oder Kunststoff, Gas oder Methanol – bei nahezu allen Rohstoffgruppen gehen die betroffenen Branchen von weiteren Preissteigerungen im zweistelligen Bereich aus. „Leere Läger, ein eingeschränktes Angebot und eine anhaltend hohe Nachfrage führen zur langfristigen Überstrapazierung der Rohstoffmärkte“, so Zatta.
Holzpreis könnte im Dezember Rekordhoch erreichen
Für Holz erwarten die befragten Hersteller einen Anstieg von bis zu 33 Prozent bis Jahresende. In Großbritannien, wo der Brexit die Holzbeschaffung besonders erschwert, geben die Befragten sogar mögliche Erhöhungen von bis zu 180 Prozent für bestimmte Holzarten an. Als stärkster Treiber wird die anhaltend hohe Nachfrage nach Holzprodukten genannt. Mit den Lockerungen scheint die wirtschaftliche Krise final überwunden, die Investitionsbereitschaft der Bevölkerung steigt wieder. Gefragt sind vor allem Innen- und Gartenmöbel sowie Terrassen, Balkone, Zäune, Carports bis hin zu vollständigen Holzfertighäusern. „Die Menschen verbringen durch Homeoffice und Kontaktbeschränkungen mehr Zeit zu Hause und wollen dieses verschönern. Dazu kommt der Nachhaltigkeitstrend, der das Material Holz besonders attraktiv macht“, sagt Danilo Zatta von Horváth. 42 Prozent der Teilnehmenden verweisen zudem auf einen Angebotsrückgang. „Einige geografische Gebiete wie Schweden, Deutschland, Irland, die Vereinigten Staaten und Kanada mussten ihre normalen Produktionsaktivitäten vorübergehend reduzieren oder unterbrechen. Darüber hinaus haben Grenzsperren zur Begrenzung von Infektionen durch Covid-19 den kommerziellen Transport eingeschränkt und damit Lieferungen verzögert“, so Zatta. Als Beispiel führt der Experte die sibirische Lärche an, die auch in Deutschland sehr gefragt, aber aktuell Mangelware ist. Mit der exponentiell steigenden Delta-Variante befürchten die Befragten nun auch weitere Lockdowns in Europa und somit die Fortsetzung der starken Nachfrage, mit dem Ergebnis eines neuen Rekordhochs beim Holzpreis bis Dezember 2021.
18-prozentige Preissteigerung für Warmstahl prognostiziert
Bei einem weiteren Rohstoff, Warmstahl, sind die Preise pro Tonne bereits seit Jahresbeginn um 60 Prozent gestiegen. Die Branche rechnet mit einem weiteren Anstieg um 18 Prozent bis Jahresende. „Aufgrund von massenhaften Auftragsstornierungen zur Coronakrise haben die Stahlproduzenten teilweise komplette Produktionsstätten stillgelegt und die Zwangspause für langwierige Wartungsarbeiten genutzt“, so Zatta. „Dann hat sich die Wirtschaft schneller erholt als die Produktionsmengen wieder hochgefahren werden konnte. Dem eingeschränkten Angebot stehen Kunden gegenüber, die ihre Lagerbestände nahezu aufgebraucht haben, um in der Krise bestmöglich liquide zu bleiben, und jetzt wieder füllen wollen.“
Preis für Kunststoff wieder auf Rekordhoch – mit Trend nach oben
Die unerwartet schnelle konjunkturelle Erholung hat auch die Kunststoffpreise stark in die Höhe getrieben, da dieser Rohstoff in großen Mengen für nahezu alle langlebigen Güter wie Immobilien, Autos, Möbel und Haushaltsgeräte benötigt wird, die allesamt eine sprunghaft angestiegene Nachfrage verzeichnen. Auch für kurzlebige Konsumgüter werden trotz Nachhaltigkeitstrend große Mengen an Plastik benötigt, da aus hygienischen Gründen zur Ansteckungsvermeidung vermehrt auf Plastikverpackungen für Lebensmittel und Take-away-Produkte gesetzt wird. Dazu kommen Lieferungsengpässe durch Extremwetter in den USA, deren Energieversorgung durch eine Kältewelle gestört war. In der Folge sind Kunststoffmaterialien wie Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) so teuer wie seit Jahr 2015 nicht mehr. Zu weiteren Rohstoffen, die von starken Preissteigerungen betroffen sind, gehören Kupfer, Eisenerz, Öl, Palladium und Rhodium. Und auch Materialien sowie Halbfertigprodukte verzeichnen starke Preisanstiege, was vor allem die Möbelindustrie hart trifft.
Hersteller müssen sich an Preissprünge gewöhnen – und kurzfristig handlungsfähig sein
Plötzliche Preissteigerungen für Rohstoffe werden Horváth-Experte Zatta zufolge auch nach der Pandemie an der Tagesordnung sein, da Extremwetterereignisse, Infrastrukturstörungen, Finanzmarktentwicklungen, Handelskonflikte und Logistikprobleme auf den zunehmend strapazierten Verkehrsadern zunehmen und sich die Folgen durch den hohen Grad an Globalisierung unmittelbar und stark auswirken.
„Die Erhöhungen werden weiterhin oft so plötzlich kommen, dass sich Hersteller in der Zange von Lieferanten wiederfinden, die höhere Preise verlangen, mit Kunden auf der anderen Seite, an die eine Erhöhung nicht unmittelbar weitergegeben werden kann“, so Zatta. „Kurzfristige Handlungsoptionen bestehen beispielsweise darin, Preise auf Grundlage von vorausschauenden Preisindizes anzupassen, das Angebot zu segmentieren, um die Preise zu differenzieren, sowie mit Zuschlägen zu arbeiten“. Bei Preisanpassungen sollten dem Experten zufolge drei Regeln beachtet werden: Erstens sollten sie gezielt und systematisch geplant werden. Zweitens sollten Erhöhungen differenziert und selektiv an die Kunden weitergegeben werden, beispielsweise nach Marktsegment, Vertriebskanal oder Produktgruppe. Drittens ist eine frühzeitige und transparente Kundenkommunikation notwendig. Mindestens die wichtigsten Kunden sollten gezielt über die Preiserhöhungen und ihre Hintergründe aufgeklärt werden. Über das Controlling sind dann die unmittelbaren Auswirkungen zu überprüfen, um bei negativen Kundenreaktionen schnell gegensteuern zu können.