Das EU-Klima- und Energiepaket bedeutet auch für die mineralische Rohstoffindustrie harte Vorgaben bei den produktionsbedingten Treibhausgasemissionen. Ziegel-, Zement- und Gipsindustrie müssen viel Geld und Hirnschmalz in die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks stecken.
Alle reden von ihm, keiner weiß wirklich, was er bedeutet: der »ökologische Fußabdruck«. Laut Wikipedia handelt es sich dabei um die »Fläche auf der Erde, die notwendig ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen dauerhaft zu ermöglichen«. Angeblich stehen jedem Menschen auf diesem Globus 1,8 Hektar (ha) an Fläche zu, um die für ihn notwendige Kleidung, Nahrung, Müllabbau oder auch Energie herzustellen. Derzeit würde der Mensch allerdings im weltweiten Schnitt 2,3 Hektar benötigen. Kontinentale Unterschiede gibt es: So brauchen Europäer 4,7 ha, US-Amerikaner aber 9,7 ha, Chinesen nur 1,6 und Inder derzeit noch 0,7 Hektar.
Derzeit kaum bekannt und definiert ist der ökologische Fußabdruck, den die Industrien bei der Herstellung ihrer Produkte hinterlassen. Vor allem im Falle der energieintensiven Baustoffindustrie würde eine solche Maßeinheit Sinn machen. Macht doch laut Definition der Energieverbrauch bei der Produktion den größten Anteil bei der Berechnung des Fußabdrucks aus, gefolgt vom Betriebmitteleinsatz und dem Flächengebrauch. Die österreichische Baustoffindustrie hat, vertreten durch das Forum mineralische Rohstoffe, diesen Mangel zum Anlass genommen und im Vorjahr als erste Branche ein Projekt zur Berechnung ihres ökologischen Fußabdrucks gestartet. In Zusammenarbeit mit dem WWF (World Wildlife Fund) und dem Institut SERI (Sustainable Europe Research Institute) sollen die wesentlichen Umweltauswirkungen bei der Produktion mineralischer Baustoffe in einer Maßzahl zusammengefasst werden, um so zu einer ökologischen Gesamtbewertung der Branche zu kommen. »Mit diesem Rechentool können Unternehmen selbst ihren Fußabdruck berechnen und eventuelle Verbesserungen vornehmen«, meint Robert Wasserbacher vom Forum mineralische Rohstoffe dazu.
Vorgaben für Rohstoffindustrie
Vorgestellt wurde das Projekt, das in einem Jahr evaluiert werden soll, im Rahmen des diesjährigen Forums Alpbach. Dort diskutierten Vertreter aus Industrie, Wirtschaft, Verwaltung und Politik in einem Arbeitskreis zum Thema »Ökoperformance der mineralischen Rohstoffindustrie – Nachhaltigkeit, Glaubwürdigkeit, Vertrauen«. Günter Liebel, Sektionschef im Umweltministerium, erinnerte die Industrie an ihre Verantwortung: »Für die mineralische Rohstoffindustrie gelten ebenso wie für andere Industriesektoren klare umweltpolitische Rahmenbedingungen. Wesentliche Vorgaben enthält insbesondere das EU-Klima- und Energiepaket mit der Neugestaltung des Emissionshandelssystems und den Zielen im Bereich der erneuerbaren Energiequellen.« Ernst Derfeser, stellvertretender Vorsitzender des Forums Rohstoffe, wies vor allem auf die Notwendigkeit einer eigenständigen österreichischen Rohstoffgewinnung und -versorgung hin. Durch Naturschutz- und Wasserschongebiete werde der Zugriff auf mineralische Rohstoffe wie Sand, Kies und Schotter zunehmend erschwert, beklagte Derfeser. Dennoch stelle sich die Rohstoffindustrie den Herausforderungen mit Projekten wie dem ökologischen Fußabdruck. Hildegard Aichberger, Geschäftsführerin des WWF, freute sich darüber: »Auf Basis dieser Erhebung ist nun wesentlich transparenter, wo die Hebel für eine Verbesserung der Umweltperformance anzusetzen sind«, meinte sie in ihrem Referat. Denn die Folgen des Klimawandels seien zehnmal teurer, als ihn jetzt zu bekämpfen.
Dem Vorwurf, der für die Erzeugung mineralischer Rohstoffe notwendige Abbau sei umweltschädlich, versucht die Branche nunmehr seit zehn Jahren zu begegnen. In Zusammenarbeit mit dem WWF wurden in diesem Zeitraum stillgelegte Steinbrüche, Sand-, Kies- oder Tongruben renaturiert und die auf der Roten Liste stehenden Vögel Triel, Bienenfresser und Uhu, Wechsel- und Kreuzkröte sowie die Libelle dort angesiedelt.
Auch die Ziegelindustrie kooperiert mit dem WWF. Wurden früher stillgelegte Tongruben zu Badeteichen umfunktioniert – wie etwa am Wienerberg zu beobachten –, geht heute der Trend in Richtung Schaffung von sekundärem Lebensraum für bedrohte Tierarten.
Abgasreinigung bei Ziegelproduktion
Auch bei der Erzeugung von Ziegeln werden Schadstoffe frei – hauptsächlich Staub, aber auch Gase wie Schwefeldioxid, Stickstoffoxide, Kohlenstoff und CO2 sowie organische Kohlenstoffverbindungen. Wie sich die Abgase tatsächlich zusammensetzen, hängt dann vom verwendeten Rohstoff ab. So kommen die Elemente Schwefel und Fluor im Ton je nach Region in unterschiedlichen Konzentrationen vor. Dementsprechend unterschiedlich ist der Aufwand, den ein Ziegelwerk treiben muss, um die in den Luftreinhaltegesetzen vorgeschriebenen Emissionswerte einhalten zu können. Werden organische Stoffe beigemengt, um dem Ziegel die Porosität zu verleihen, dann ist externe Rauchgasnachverbrennung heute bereits Standard. So hat Österreichs größter Ziegelproduzent Wienerberger in seinen Werken Spezialfilter und thermische Nachverbrennungsanlagen installiert, um das Rauchgas zu reinigen und damit bessere Emissionswerte zu erreichen als gefordert. Mithilfe moderner Brenner und Wärmetauscher sowie elektronischer Mess- und Regelsysteme konnte der Energieverbrauch bei der Produktion der Ziegel reduziert werden. Stolz ist man bei Wienerberger auf die Verleihung des »Nature Plus«-Zertifikats, das vom Österreichischen Institut für Baubiologie (IBO) erstmals an einen Ziegelhersteller vergeben wurde. Kriterien für eine solche Verleihung sind ein Anteil nachwachsender oder mineralischer Rohstoffe von mindestens 85 %, die Verwendung von Rohstoffen mit ausreichenden Ressourcen, kein Einsatz von umwelt- und gesundheitsbelastenden Einsatzstoffen sowie ein geringer Energieverbrauch und geringe Emissionen bei der Herstellung.
Umstellungsprozess
Was die Emissionen bei der Ziegelproduktion betrifft, liegt der Industrie das bevorstehende CO2-Handelssystem innerhalb der EU schwer im Magen. Da die Industrie dem derzeitigen Stand nach ab 2012, wenn das Emissionshandelsregime in Kraft tritt, ihre CO2-Emissionszertifikate wird ersteigern müssen – anders als etwa die Zement- oder Kalkindustrie, die die Zertifikate weiter gratis zugeteilt bekommen –, bleibe der Ziegelindustrie gar nichts anderes über, als laufend in die Reduktion des Energieverbrauchs zu investieren, meint Gerhard Koch vom Verband Österreichischer Ziegelwerke. Obwohl heute schon für die Produktion von Ziegeln 20 bis 25 Prozent weniger Energie notwendig seien als noch vor 20 Jahren, so Koch. Dass die Ziegelindustrie als einzige der Baustoffindustrien nicht von der Gratiszuteilung der Zertifikate profitieren soll, obwohl sie nur für ein Prozent der Industrieemissionen verantwortlich ist, wurmt den Verband natürlich. Noch ist aber nicht das letzte Wort gesprochen, hofft Koch auf weitere Verhandlungen mit der EU. Aber nicht nur beim Energieverbrauch, auch bei den Energiequellen ist die Ziegelindustrie in einem Umstellungsprozess. Die nächste große technische Weiterentwicklung werde der Ersatz von fossilen durch erneuerbare Energieformen beim Ziegelbrennen sein. »Das wird die große Herausforderung für die Branche«, kündigt Koch an. So hat beispielsweise ein Südtiroler Ziegelwerk seine Energiezufuhr von Erdgas auf biogene Stoffe wie Rinderfett und Biogas aus vergorenen Apfelrückständen umgestellt.
Grüner Zement?
Auch die Zementindustrie, jene Rohstoffsparte mit den produktionsbedingt größten Umweltauswirkungen, bemüht sich um größere Energieeffizienz und mehr Umweltfreundlichkeit bei der Produktion. Drei Forschungsprojekte des Verbands der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) sollen dazu beitragen: Im ersten Projekt mit dem Titel »CO2-armer Zement« wird untersucht, ob und wie durch Optimierung des Feinstkornbereichs im Zement der Klinkergehalt und damit der CO2-Ausstoß um 10 % gesenkt werden kann. Das würde einer jährlichen Emissionseinsparung von etwa 250.000 Tonnen CO2 entsprechen. Einen solchen »CO2-armen Zement« hatte die Wopfinger Baustoffindustrie unter dem Namen Slagstar bereits vor einigen Jahren auf den Markt gebracht. Dabei handelt es sich um ein Betonbindemittel – die Konkurrenz aus der Zementbranche bezeichnet ihn hinter vorgehaltener Hand nicht als Zement –, das aus Hüttensand, Sulfatträgern und Spezialzusätzen besteht und nicht gebrannt wird. Die sonst beim Verbrennungsprozess entstehenden CO2- und NOx-Emissionen fallen daher weg. Zunutze gemacht hat sich diese ökologischen Vorteile der österreichische Mantelbetonhersteller Durisol, der seit heuer seinen zu 80 % aus Holzsägespänen – ein CO2-neutraler Werkstoff – bestehenden Mantelstein mithilfe des CO2-armen Bindemittels verfestigt und so laut eigenen Angaben auf einen negativen CO2-Wert kommt, also der Atmosphäre Kohlendioxid praktisch entziehen soll.
Zementindustrie am Limit
Das von der Zementindustrie initiierte Projekt soll laut Rudolf Zrost, Vorstandvorsitzender des VÖZ, der heimischen Zementindustrie einen Innovationsschub und Wettbewerbsvorteile bringen: »In diesem Projekt haben wir alle relevanten Forschungskräfte zusammengezogen. Unser Zement ist oft weit grüner als der unserer Nachbarn«, meint Zrost, auch Geschäftsführer des Zementherstellers Leube. Das zweite Forschungsprojekt der Zementindustrie widmet sich dem Thema Energieeffizienz. Alle österreichischen Zementwerke werden in einem Benchmarking mit einer auf dem technologisch höchsten Stand stehenden Anlage verglichen und analysiert. Außerdem wird ausgearbeitet, wie die im Produktionsprozess frei werdende thermische Energie optimal genutzt und weiter verwendet werden könnte. Mit der Reduktion von Stickstoffemissionen beschäftigen sich die Forscher im dritten Projekt. In zwei Probeanlagen soll durch Entwicklung und Einsatz einer speziellen Katalysatortechnologie eine Halbierung des Stickstoffoxid-(NOx-)Anfalls erreicht werden.
Allerdings habe sich gezeigt, dass die Zementbranche in einigen Bereichen schon am Limit des technisch Möglichen sei, meint Felix Friembichler, Geschäftsführer der VÖZ. Trotz hoher Investitionen in den Umweltschutz hätten der Einsatz thermischer Energie und damit der CO2-Ausstoß bei der Zementproduktion seit 2005 zugenommen, weil mangels anderer Zuschlagstoffe der Anteil an energie- und CO2-intensivem Klinker im Zement zugenommen habe, so Friembichler.
Noch nicht am Limit ist die Zementindustrie zweifelsfrei, wenn es um weitere Senkungen der Treibhausgasemissionen geht. Lafarge, internationaler Branchenleader in Sachen Zement und mit Lafarge Perlmooser auch in Österreich führend, hat sich jedenfalls die Umweltfreundlichkeit auf die Fahnen geschrieben. In den beiden heimischen Werken Mannersdorf und Retznei wurde in Nasswäscher zur Reduktion des Schwefeldioxid-Ausstoßes und in nicht-katalytisch arbeitende Anlagen zur Verringerung der NOx-Emissionen investiert. In Mannersdorf läuft das von der Zementindustrie gestartete Pilotprojekt zur NOx-Reduktion. 10 Millionen Euro wurden in eine SCR-Anlage (Selective Catalytic Reduction) investiert, die die Emission von Stickoxiden auf 200 Milligramm pro Kubikmeter senken kann. Die aktuellen Grenzwerte bei NOx liegen bei 500 Milligramm pro Kubikmeter. »Wenn wir die SCR-Anlage ab 2011 erfolgreich einsetzen können, gelingt es, die Stickoxid-Emissionen nachhaltig um rund 60 Prozent zu senken«, hofft Thomas Spannagl, CEO von Lafarge Perlmooser.
Gips will nachhaltiger werden
All diese Kriterien lassen sich unter einem Sammelbegriff zusammenfassen: Nachhaltigkeit. Manche verstehen darunter lediglich die ökologische Dimension, nämlich Klimaschutz und die Erhaltung von Natur und Umwelt. Heute definiert sich Nachhaltigkeit allerdings als Dreisäulenmodell, in dem auch ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigt sind.
Nachhaltig will auch die Gipsindustrie sein. Der für die Herstellung von Gipskartonplatten für den Leicht- und Innenausbau notwendige Rohstoff muss im Bergbau gewonnen werden. Dass das nicht immer reibungslos abläuft, musste der österreichische Gipskartonhersteller Knauf erfahren, der im Abbaugebiet am Dörfelstein mit Protesten von Anrainern konfrontiert war und erst nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten mit dem Abbau beginnen konnte. Mit im Plan ist eine stufenweise Renaturierung der einzelnen Abbauabschnitte. Auch Mitbewerber Rigips verpflichtet sich zur Renaturierung seiner Abbaugebiete und hat 2006 in Puchberg ein Pilotprojekt gestartet: Vor der Öffnung eines neuen Teilabbaubereichs wurden rund 700 m2 Rasenziegel an einer zu rekultivierenden Stelle neu aufgetragen – als kleine grüne Inseln über ein größeres Gebiet verteilt. Neben der Vermeidung von Gipstransporten per Lkw, wo es möglich ist, hat der zum Baustoffkonzern St. Gobain gehörende Hersteller in seinem Werk in Bad Aussee die Rückführung der Wärme, die beim Herstellungsprozess durch den Entzug von Wasser aus dem Gips entsteht, in den Produktionsprozess integriert. Mit dieser Wärme wird die Luft für die Verbrennung von Erdgas vorgeheizt, was den Energieverbrauch bei der Produktion um 6 % gesenkt und damit dem Unternehmen 90.000 Euro an Energiekosten und der Umwelt 700 Tonnen CO2 eingespart habe, wie im Nachhaltigkeitsbericht von Rigips zu lesen ist. Für heuer und die Zukunft erwartet sich der Hersteller weitere Emissionsreduktionen durch Veränderungen in der Zusammensetzung der Gipskartonplatten sowie eine Reduzierung des Rohstoffbedarfs durch Minimierung des beim Schneiden der Platten anfallenden Ausschusses.
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Facts
OI3-Index
Der ökologische Herstellungsaufwand für ein Gebäude im derzeitigen Baustandard ist in etwa gleich hoch wie der ökologische Aufwand für die Beheizung eines Passivhauses für 100 Jahre. Daher ist die ökologische Optimierung des Herstellungsaufwands ein wichtiger Bestandteil des ökologischen Bauens. Mit dem OI3-Index hat das Institut für Baubiologie (IBO) ein Tool kreiert, das zur quantitativen ökologischen Bewertung des Herstellungsaufwandes eines Gebäudes dient. Der Index umfasst die Darstellung der Baustoffe und -konstruktionen in einem Bilanzmodell, in das Stoff- und Energieflüsse, die Auswirkungen auf Treibhauseffekt und Bodenversäuerung und der Primärenergieaufwand eingehen. OI3 heißt er deshalb, weil er die drei Öko-Indikatoren Treibhauspotenzial, Versäuerungspotenzial und Primärenergie aus nicht erneuerbaren Quellen umfasst. Je niedriger die OI3-Kennzahl, desto besser schneidet die Konstruktion aus ökologischer Sicht ab. Der Wert des OI3-Index für das Gebäude ist umso niedriger, je weniger nichterneuerbare Energie eingesetzt und je weniger Treibhausgase und andere Emissionen bei der Produktion der Baustoffe und des Gebäudes abgegeben wurden.