Die Herausforderungen in der Betonentwicklung sind umfassend. Die Forschung dazu hätte noch Beschleunigungspotential, war bei den Ulmer BetonTagen zu hören.
Mit weltweit verbauten acht Milliarden m³ ist Beton der bedeutendste Werkstoff unserer Zeit. »Dieses Potential konnte erst durch die Entwicklung des Stahlbetons ausgeschöpft werden«, betonte Professor Manfred Curbach von der TU Dresden bei den Ulmer BetonTagen, verwies aber auch auf die bestehende Korrosionsneigung sowie aufwendige Formgebung. »Es braucht alternative Bewehrungsmaterialien. Man muss kreativer entwerfen, bauen und betreiben«, forderte Curbach und sprach einen Schwerpunkt der Konferenz an: Carbonbeton.
Carbonbeton in der Praxis
Noch ist die Anwendung von Carbonbeton in der Praxis überschaubar. »Von unseren Betrieben sind uns, abseits von Demonstrationsobjekten, keine konkreten Bauprojekte unter Einsatz dieses Baustoffs bekannt«, informiert Thomas Mühl, Geschäftsführer des VÖB. In Deutschland nehmen die Praxisprojekte deutlich zu. Auf den Carbon-Zug aufgesprungen sind u. a. solidian, Carbocon und Hentschke Bau und sie profitieren: Der Wechsel von Stahl zu Carbon schafft eine Materialersparnis von bis zu 80 Prozent und reduziert z. B. den Energiebedarf sowie den CO2-Ausstoß um bis zu 50 Prozent. Verglichen mit Bewehrungsstahl ist Carbon wesentlich leichter (Dichte 1,8 g/cm³ statt 7,8 g/cm³) und fünf- bis sechsmal tragfähiger (3.000 N/mm² statt 500 N/mm²).
Der Weg dahin
Korrosionsbeständige Endlosfasern aus AR Glas oder Carbon sind Thema in der Forschung, aber für Professor Curbach zu wenig. Bei den BetonTagen nannte er Zahlen: In Forschung und Entwicklung haben 2018 im Wirtschaftssektor Bau in Deutschland rund 1.000 Personen gearbeitet, etwa gleich viel wie im Bereich Finanz und Versicherung. Das verarbeitende Gewerbe, d. h. Chemie, Optik, Maschinen- und Fahrzeugbau zählte dagegen fast 360.000 Forschende. Für Professor Dirk Schlicke, stellvertretender Leiter des Instituts für Betonbau an der TU Graz, ist das erklärbar.
»Das Bauwesen ist heutzutage sehr konservativ. Forschung ergibt Innovatives – und diese Innovationen werden manchmal allein schon dadurch verhindert, dass sie nicht die bisherigen Erfahrungen aus der Baupraxis widerspiegeln.« Für ihn gibt es im Bauwesen zahlreiche Verhinderer, aber nur wenige Visionäre. Auch Sebastian Spaun, Geschäftsführer der VÖZ, bestätigt, dass das Alltagsgeschäft oft wenig Raum für Innovation lässt – auch deshalb, weil Bauweisen und Baumaterialien einen sehr langen Lebenszyklus haben. Die Bauindustrie selbst betreibe gemeinsame Forschung gerne über Forschungsplattformen, wie z. B. die Verkehrsinfrastrukturforschung oder die Bautechnikvereinigung. Im Bereich von Zement und Beton sind es v. a. die Aktivitäten der ACR-Institute VÖZ und Smart Minerals. Verglichen mit Branchen wie Pharma oder Chemie sei das aber viel weniger.
Bild oben: Carbon ist sehr elastisch und kann höhere Spannungen aufnehmen. Bei den Ulmer BetonTagen gab es dazu von Professor Josef Kurath,
ZHAW Winterthur, eine Live-Präsentation. (Last: 250 kg)
Spaun sieht in der Umsetzung von Plusenergie-Stadtquartieren eines der wichtigsten Klimaschutzprojekte für das Bauwesen. Die VÖZ ist aktuell bei zwei Forschungsprojekten in diesem Bereich engagiert. »PnP control TABS«, geleitet von e7, beschäftigt sich mit der Entwicklung standardisierter Plug-and-Play Regelstrategien für Wärmepumpen in Kombination mit der Bauteilaktivierung. »Hybrid LSC«, unter der Leitung der TU Wien – Energy Economics Group, demonstriert die Nutzung der Flexibilitäts- und Energieeffizienz-Potentiale von »Local Sustainable Communities« für das Energiesystem. Die österreichische Zementindustrie unterstützt entsprechende Forschungs- und Innovationsaktivitäten rund um Bauteilaktivierung seit fast 15 Jahren. Heute sieht man die Erfolge in der Verbreitung, erklärt Spaun und vergleicht den Weg in die Praxis mit einem Marathon.
Lösung CEM II/C?
Auch an der Dekarbonisierung der Zementerzeugung wird intensiv gearbeitet. Um den Zement noch umweltfreundlicher zu machen, arbeitet die VÖZ am klimafitten Zement CEM II/C, der nur noch 50 Prozent Klinkeranteil haben wird. »Wenn uns dieser Meilenstein gelingt, tragen wir entscheidend zur Dekarbonisierung der gesamten Wertschöpfungskette des Bauens und zur Erreichung der internationalen Klimaziele bei«, so Spaun. Aber zuvor brauche es eine Prüfung auf Herz und Nieren. Im November 2020 hat Dyckerhoff als erster deutscher Hersteller die Zulassung für CEM II/C-Zement erhalten. In einem weiteren Schritt wird daran geforscht, Klinker durch neue Zumahlstoffe wie etwa Dolomit zu reduzieren.
Um Qualität und Langlebigkeit garantieren zu können, finden gemeinsam mit Smart Minerals umfangreiche Untersuchungen zum Verhalten dieser neuen Bindemittel statt. Calzinierte Tone sind ein weiteres Forschungsthema mit Blick auf alternative Zumahlstoffe. »Mit sogenannten getemperten Tonen, die regional und ausreichend verfügbar sind, befinden wir uns auf den Spuren der alten Römer«, so Spaun.
Richtung 3D
»Neben der CO2-Reduktion und der Verringerung des Ressourcenverbrauchs ist die Überführung der linearen Stoffströme in Kreislaufwirtschaften eine globale Herausforderung«, stellte Univ.-Prof. Christoph Gehlen, TU München, bei den BetonTagen fest und verwies in diesem Zusammenhang auf die additive Fertigung, den 3D-Betondruck. Dabei werde nur dort Material aufgebaut, wo es strukturell oder funktionell erforderlich ist. Der Betonaufbau erfolgt schichtweise, ohne Schalung und ermöglicht die Herstellung von kraftfluss- und materialoptimierten Bauelementen.
Das digitale Fertigungsverfahren ermöglicht es, Häuser schneller und zu geringeren Kosten zu bauen und dabei gleichzeitig zur Nachhaltigkeit beizutragen. Die Einführung von additiven Fertigungstechniken erfordere aber nicht nur technologische Entwicklungen, sondern auch eine technologiegemäße Formensprache. »Hier stehen wir am Anfang einer neuen Ära«, bewertete Gehlen.
Forschung
»Der Markt für Carbonbeton ist in Österreich noch nicht da, die Impulse gehen von Deutschland aus, nicht zuletzt wegen des Förderschwerpunkts C³, Carbon Concrete Composite«, informiert Sebastian Spaun. Vergleichbares gibt es in Österreich nicht. Ein Einblick in die bestehende Forschung:
An der TU GRAZ laufen Zulassungsversuche für CPC. CPC-Betonplatten sind mit dünnen vorgespannten Carbondrähten bewehrt. Seit 2013 wird diese Technologie bei Bauten eingesetzt, u. a. für Fuß- und Radfahrbrücken, Brückenbeläge, bei Balkonen und Treppenanlagen. Ab Herbst 2021 wird CPC im europäischen Markt verfügbar sein.
Der Arbeitsbereich Massivbau und Brückenbau an der Universität Innsbruck forscht seit Jahren an der praxisnahen Anwendung von Carbonbeton. Im Rahmen von New-Pro-Beton werden etwa ein Prozessverfahren und textile Bewehrungsmöglichkeiten für einen roboterbasierten Beton-3D-Druck erarbeitet. TCCV umfasst Materialforschung im Bereich der textilen Bewehrung.
Das Kompetenzzentrum für Bauen und Gestalten an der FH Campus Wien beschäftigt sich aktuell mit der zielgerichteten Instandhaltung und Verlängerung der Lebensdauer für Infrastrukturbauwerke. Im Vordergrund steht auch hochwertiges Materialrecycling. Das Projekt LCE steht kurz vor dem Abschluss. In Folgeprojekten spielen photogrammetrische Methoden und automatisierte Bauwerksbewertung eine wichtige Rolle.