Am 26. März präsentierten die Bausozialpartner die ersehnte Handlungsanleitung für sicheres Arbeiten auf Baustellen. Im Interview zeichnet der Geschäftsführer der Geschäftsstelle Bau, Michael Steibl, die Entscheidungsfindung nach, er spricht über den aktuellen Status quo der Branche und warnt vor einer zweiten, hausgemachten Krise durch fehlende Baugenehmigungen. Außerdem erklärt er, warum jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Prozessoptimierungen ist und was er von der Politik erwartet.
Report: Am Beginn der Coronakrise haben viele Bauunternehmen freiwillig ihre Baustellen ruhend gestellt. Eine nachvollziehbare Entscheidung?
Michael Steibl: Die Entscheidung war absolut nachvollziehbar, weil die Rechtslage gerade zu Beginn sehr unsicher war. Damals hat es noch geheißen, dass der Mindestabstand von einem Meter ohne Wenn und Aber eingehalten werden muss, sonst ist ein Arbeiten verboten. Das ist auf Baustellen in aller Regel nicht umsetzbar. Daher war es eine logische Konsequenz vieler Bauunternehmungen, die Baustellen einzustellen. Die Erleichterung kam erst in der zweiten Verordnung. Darin war festgehalten, dass auch unter Einhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen zur Risikominimierung gearbeitet werden darf. Das war der Startschuss in Richtung Handlungsanleitung, wie man diese Verordnung auf Baustellen praktikabel anwenden kann.
Report: Nach der Einigung auf diese Handlungsanleitung war die Erleichterung bei den Bauunternehmen groß. Die Gewerkschaft hat eigentlich einen generellen Baustopp gefordert. Wie stehen Sie im Nachhinein betrachtet zu dem getroffenen Kompromiss?
Steibl: Ich sehe die Entscheidung, dass unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen weitergearbeitet werden kann, nach wie vor positiv. Es war ja immer nur die Rede von einem temporären Baustopp. Nachdem nicht davon auszugehen war, dass sich die Rahmenbedingungen substanziell ändern, war immer die große Frage, was nach einem eventuellen Baustopp passiert. Ein längerer Baustopp hätte auch die Lieferketten getroffen und den Neustart deutlich erschwert. Deshalb glaube ich, dass die Entscheidung richtig war.
Report: Die Bausozialpartner sind bekannt für ihre hohe Konsensfähigkeit, meist wird an einem Strang gezogen. In diesem Fall lagen die Interessen jedoch weit auseinander. Wie hoch waren die Spannungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite? Hat das an sich gute Verhältnis Schaden genommen?
Steibl: Die Forderung der Gewerkschaft nach einem Baustopp ist vor der zweiten Verordnung gekommen, als es außer der 1-Meter-Regelung keine Vorgaben gab. Da war aber auch der Arbeitgeberseite klar, dass nur wenige Baustellen offen bleiben konnten. Insofern waren wir gar nicht so weit auseinander, wie man vielleicht vermuten könnte. Bei den Verhandlungen zur Handlungsanleitung hat sich gezeigt, dass alle Beteiligten sehr konstruktiv an die Gespräche herangegangen sind. Einen dauerhaften Schaden im Verhältnis kann ich da nicht sehen.
Report: Wie ist es zur Entscheidungsfindung gekommen? Können Sie die Verhandlungen grob nachskizzieren?
Steibl: Nach der zweiten Covid-Verordnung wollten wir nicht warten, bis die amtliche Formulierung »entsprechende Schutzmaßnahmen zur Minimierung des Risikos« mit Inhalt gefüllt wird, sondern wir wollten proaktiv vorangehen. Die Unternehmungen brauchten konkrete Maßnahmen, um weiterarbeiten zu können, was ja von der Regierung auch so gewünscht war. Wir haben uns gleich am nächsten Tag mit der Gewerkschaft zusammengesetzt, um eine Handlungsanleitung auf freiwilliger Basis zu erarbeiten.
In der Hoffnung, dass sie vom Gesundheitsministerium verbindlich gemacht wird. In diesen Prozess wurde auch das zentrale Arbeitsinspektorat ZAI einbezogen. Die Idee war, auf den arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen aufzusetzen und sie um Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit zu ergänzen. Die Verhandlungen sind in einer sehr konstruktiven Atmosphäre verlaufen.
Dann wurden die einvernehmlich beschlossenen Bestimmungen Gesundheitsminister Anschober präsentiert, der daraus eine verbindliche Erklärung in Form eines Erlasses machte.
Report: Wie geht es den heimischen Bauunternehmen angesichts der Coronakrise? Die Auftragsbücher sind ja nach wie vor gut gefüllt.
Steibl: Zu Saisonbeginn waren die Auftragsbücher gut gefüllt. Aktuell sind die Bauunternehmen damit beschäftigt, diese Aufträge abzuarbeiten. Die Frage ist, was an neuen Aufträgen hereinkommt. Da gibt es viele Unsicherheiten, vor allem im Bereich der Finanzierungen und Genehmigungsverfahren.
Report: Die Bundesinnung hat wiederholt vor der Verzögerung von Baugenehmigungen gewarnt. Sind dieser Verzögerungen tatsächlich schon spürbar?
Steibl: Es wurden viele Genehmigungsverfahren ausgesetzt. Das ist gerade am Beginn der Bausaison schmerzhaft. Dort, wo es noch nicht spürbar ist, ist es nur eine Frage von Wochen, bis es spürbar wird. Es ist unstrittig, dass die Genehmigungen unter der Krise gelitten haben.
Report: Denken Sie, dass diese Verzögerungen aufgeholt werden können?
Steibl: Mit einigem guten Willen ist sicher einiges möglich. Da und dort wird auch der Druck der Projektwerber erhöht werden. Wichtig ist es jetzt, eine zweite, hausgemachte Krise in Folge fehlender Baugenehmigungen zu verhindern.
Es ist aber auf jeden Fall erfreulich, dass mündliche Bauverhandlungen unter Einhaltung der Abstandsregel jetzt wieder uneingeschränkt möglich sind.
Report: Wie hoch würden Sie das aktuelle Bauvolumen im Vergleich zur Zeit vor Corona bzw. im Vergleich zum Frühjahr 2019 einschätzen? Mit welchen mittel- und langfristigen Folgen rechnen Sie?
Steibl: Vor einem Jahr waren alle Baustellen in Betrieb und die Bauleistung sehr hoch. Das war heuer natürlich nicht so. Mit Ende Mai, Anfang Juni hoffen viele, an das Niveau des Vorjahres anschließen zu können. Unternehmen wie die Strabag rechnen für das Gesamtjahr mit einem Minus von rund zehn Prozent, das ist ziemlich genau das, was man in der Akutphase der Coronakrise verloren hat.
Report: Die Bauwirtschaft sah sich in der Vergangenheit immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, dass ihre Abläufe ineffizient und die Produktivität niedrig ist. Könnte das der richtige Zeitpunkt sein, um grundlegende Prozesse in Frage zu stellen und die Organisation von Bauprojekten auf völlig neue Beine zu stellen?
Steibl: Ich bin mir nicht sicher, ob jetzt die richtige Zeit ist, um Prozessoptimierungen durchzuführen. Viele Unternehmen sind aktuell gezwungen, zu improvisieren. Aber jedes Unternehmen wird sich gut überlegen, was es aus der Krise und aus diesem Ausnahmezustand lernt und für eine spätere Optimierung mitnimmt.
Report: Die Arbeitslosigkeit ist empfindlich gestiegen. Haben die Unternehmen vom Instrument der Kurzarbeit ausreichend Gebrauch gemacht? Waren die Kündigungen unvermeidbar?
Steibl: Der Ausbruch der Coronakrise ist mitten in die Anlaufphase der Bausaison gefallen. Es wurden also weniger Kündigungen ausgesprochen, vielmehr wurden potenzielle Saisonrückkehrer nicht aufgenommen. Ein Problem der Kurzarbeit ist, dass die Mitarbeiter laut AMS ein Monat in Beschäftigung sein müssen, um davon Gebrauch machen zu können. Das war bei vielen Saisonrückkehrern nicht der Fall. Dennoch wurde die Kurzarbeit sehr gut angenommen. Auch wenn viele Unternehmen erfreulicherweise schon angekündigt haben, die Möglichkeit nicht zur Gänze auszuschöpfen, sondern schnellstmöglich wieder in den Vollbetrieb gehen wollen.
Report: Die Coronakrise hat unser Arbeitsleben auf den Kopf gestellt. Homeoffice, Telefon- und Videokonferenzen boomen. Vieles davon ist auf Baustellen nicht möglich. Aber auch virtuelle Baubesprechungen oder der digitale Datenaustausch auf Baustellen haben zugenommen. Wird die Coronakrise langfristige Auswirkungen auf die Baustellenabwicklung haben?
Steibl: Auch vor Corona war die Bauwirtschaft in einem sehr dynamischen Entwicklungsprozess in Richtung Digitalisierung. Das wird sich fortsetzen und vermutlich noch weiter verstärken.
Report: Welche Forderungen oder Wünsche haben Sie an die Politik, um die Baukonjunktur zu stützen?
Steibl: Es sind im Wesentlichen drei Stoßrichtungen. Zum einen sind das die schon angesprochenen Genehmigungen. Da darf es zu keinen weiteren Verzögerungen kommen. Dann muss die öffentliche Hand für eine entsprechende Baunachfrage sorgen. Das ist bei ÖBB und Asfinag auch durchaus zu erwarten, aber gerade auf kommunaler Ebene befürchten wir große Einschnitte. Hier ist die Bundesregierung gefragt, die Finanzierungsbasis der Gemeinden und Städte zu sichern.
Das sind zwar nicht die ganz großen Einzelaufträge, sie machen aber in Summe den größten Brocken aus. Wenn der wegbricht, dann wäre das eine Katastrophe. Und schließlich sollte die öffentliche Hand alles daran setzen, auch Privatinvestitionen zu fördern. Auch das hätte positive Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen. Denn der Bau hat nach wie vor den höchsten Beschäftigungsmultiplikator und die höchste Inlandswirksamkeit.