Beton gilt als Baustoff des 20. Jahrhunderts. Wegen der hohen CO2-Emissionen bei der Zementherstellung steht das Material jedoch in der Kritik. Doch neue Technologien bei Herstellung und Recycling verbessern zunehmend die Umweltbilanz. Durch innovative Zusatzstoffe avanciert Beton zum Hightech-Produkt und könnte erneut das Bauwesen revolutionieren.
Zement, Wasser, Sand oder Kies – mehr braucht es nicht, um Beton herzustellen. Weltweit ist Beton der am häufigsten verwendete Baustoff, kein anderer ist so beliebig formbar und gleichzeitig stabil, belastbar und langlebig. Der Bau von Kraftwerken oder wichtiger Infrastruktur wie Straßen, Tunnel und Brücken ist ohne Beton undenkbar. Aber auch der Architektur lieferte der vielseitige Baustoff mit kurzen Bauzeiten und geringen Kosten interessante Impulse.
Aus dem Dreistoffgemisch ist längst ein ausgeklügeltes Material aus sechs Komponenten geworden, das den Anforderungen im modernen Bauwesen entgegenkommt und neue Möglichkeiten eröffnet. Durch Variieren der Bestandteile (Zement, Wasser, Gesteinskörnung, Zusatzmittel, Zusatzstoffe und Luft) verfügt Beton jeweils über ganz unterschiedliche Verarbeitungs- und Nutzungseigenschaften. Auf die Mischung kommt es an, wie schwer, leicht, druckfest oder wärmedämmend Beton ist. Jede Rezeptur muss entsprechend der Anforderungen – Tragfähigkeit, Feuchtigkeit, Brand-, Schall- oder Wärmeschutz – geprüft und zertifiziert werden.
Vielseitiger Alleskönner
Nicht zuletzt die Vielseitigkeit des Materials trug entscheidend zur Erfolgsgeschichte bei. Beton entwickelte sich weltweit zum wichtigsten Baustoff. Seine bauphysikalischen Eigenschaften wurden durch die hochtechnisierte Produktionsweise noch verbessert.
Das einzige Problem des Betons ist der verwendete Zement. Rund sechs Prozent der weltweiten CO2-Emissionen geht auf das Konto des umstrittenen Stoffes. Mehr als vier Milliarden Tonnen Zement werden pro Jahr hergestellt und verbaut, Tendenz stark steigend – vor allem in China und Indien. Die hohen CO2-Emissionen entstehen großteils aus dem Brenn- und Mahlprozess bei der Herstellung des Zements, sind aber auch auf den hohen Energieverbrauch beim Brennvorgang zurückzuführen.
»Der Beton bzw. der darin enthaltene Zement hat in der öffentlichen Diskussion zu Unrecht ein schlechtes Image, denn die Zementindustrie forscht seit Jahren intensiv daran, den Zement und damit den Beton klimafreundlicher zu machen«, sagt Angelika Mettke, Professorin für Bauliches Recycling an der TU Cottbus.
Österreichs Zementindustrie ist seit längerem bestrebt, die Prozesse möglichst effizient zu gestalten und den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Bereits 2018 erreichte in Österreich hergestellter Zement mit 521 kg CO2 pro Tonne jenes Ziel, das von der europäischen Zement-Branche (Cembureau) für 2050 vorgegeben wurde.
»Man muss die CO2-Emissionen, die der Zement bei der Produktion verursacht, über den ganzen Lebenszyklus des Betons von durchschnittlich 70 Jahren rechnen«, bringt Franz Denk, technischer Geschäftsführer der Wopfinger Transportbeton Ges.m.b.H., ein weiteres Argument ins Spiel. »Weiters nimmt Beton durch die Carbonatisierung während seiner Lebensdauer wieder ca. 30 % CO2 auf.«
Fußabdruck verkleinern
Doch kann es tatsächlich »grünen« Zement geben? Der Brennstoff für die Anlagen kann zwar aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Für den chemischen Prozess ist aber ein Mindestenergiebedarf nötig, damit der enthaltene Kalkstein entsäuert – hierbei tritt CO2 aus. Ein verfahrenstechnischer Umstand, weshalb die Zementindustrie zu Unrecht in der Kritik stehe, meint Georg Bursik, Geschäftsführer der Baumit GmbH.
Insbesondere der Produktionsstandort Wopfing sei »Weltmeister in der CO2-effizientesten Herstellung von Zement«: »Wir haben uns in den vergangenen drei Jahrzehnten technologisch extrem weiterentwickelt und sind innovativer als der Weltmarkt. Dieser Erfolg hat im Wesentlichen zwei Väter: einerseits der Einsatz von Kreislaufstoffen und andererseits die Verwendung von Ersatzbrennstoffen.«
2018 konnten in der Wopfinger Klinkerproduktion mehr als 50.000 Tonnen innerbetriebliche Kreislaufstoffe aus anderen Werksbereichen als Rohstoff eingesetzt werden. Hinzu kommt noch eine weit größere Menge an übernommenen Kreislaufstoffen, wodurch der Ersatzrohstoffanteil bei 30 % liegt. »Damit werden natürliche Ressourcen geschont und Deponievolumen vermindert«, erklärt Bursik. Zudem wird im Wopfinger Zementwerk die Heizenergie zu mehr als 80 % mit Ersatzbrennstoffen substituiert, die über einen hohen biogenen Anteil verfügen.
Dennoch bleibt bei der Verwertungsquote von Bauschutt noch Luft nach oben. Dass das Recyclingpotenzial an Baustoffen nicht ausgeschöpft werde, liege auch an den Kosten, meint Expertin Angelika Mettke: »Vom Recycling-Baustoff wird erwartet, dass er preislich wesentlich günstiger ist als der Baustoff aus der Natur. Das ist jedoch meist nicht der Fall. Rezyklierte mineralische Baustoffe werden intensiver geprüft, wodurch höhere finanzielle Aufwendungen für Baustoffproduzenten entstehen.« Durch neue Technologien ist es inzwischen möglich, aus Bruchbeton aufbereitetes Material für Recylingbeton in gleichmäßiger Qualität herzustellen, jedoch stellen die mitunter langen Transportwege die Effizienz der Kreislaufproduktion wieder infrage.
Innovative Ideen
Um den Kalkanteil im Zement zu verringern, können auch andere Stoffe, beispielsweise Hüttensand, gemahlene Schlacke oder Flugasche, beigemengt werden. Allerdings muss auch dieser Zement den strengen Richtlinien entsprechen – beliebig substituieren lässt sich Kalkstein nicht. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart experimentiert mit der Herstellung von Geopolymeren aus Ziegel und Altbeton. Dieser zementfreie Baustoff weist betonähnliche Eigenschaften in Bezug auf Festigkeit und Säureresistenz auf.
Porenbeton eignet sich aufgrund seiner guten Wärme- und Schalldämmung für den Bau zweistöckiger Häuser, für Fassadenplatten, aber auch als Isoliermaterial in Innenräumen. Einem Verfahren zufolge, das Techniker am Imperial College in London entwickelten, könnte die Zementindustrie langfristig sogar mehr CO2 absorbieren, als sie verursacht. Wird Kalk nämlich durch Magnesiumoxid ersetzt, würde diese Mischung beim Aushärten aus der Luft Kohlendioxid aufnehmen. Hochgerechnet könnten dabei pro Tonne Beton 100 Kilogramm CO2 neutralisieren, während bei der Herstellung von einer Tonne Portlandzement zwischen 650 und 920 Kilogramm CO2 freigesetzt werden.
Tests zur Festigkeit und Haltbarkeit von Zement auf Magnesiumbasis blieben jedoch ausständig. 2010 zur »Breakthrough-Technologie« gekürt, verschwand die Idee nach der Finanzkrise in der Schublade.
Wesentlich konkreter sind schon die Forschungen der TU Dresden mit feinsten Kohlenstofffasern, dünner als ein menschliches Haar. Ein Geflecht von Carbonfasern soll Stahl ersetzen und damit Betonteile für den Haus- oder Brückenbau filigraner machen. Carbon ist viermal leichter als Stahl, kann dennoch bis zu sechsfache Belastungen tragen und rostet nicht.
Eine wenige Millimeter dicke Deckschicht aus Beton reicht aus – der Materialeinsatz von Sand und Zement gegenüber herkömmlichem Stahlbeton ist bis zu 80 % geringer. Zudem können Beton und Carbon am Ende der Nutzungsdauer getrennt und wiederverwertet werden. Das Bauforschungsprojekt »C³ – Carbon Concrete Composite« läuft seit September 2013 und zeigt multifunktionale Möglichkeiten im Neubau und in der Sanierung auf. Bis Ende 2020 entsteht in Dresden das weltweit erste Gebäude aus Carbonbeton, dessen symmetrisch geschwungene Bauelemente die architektonischen Möglichkeiten der Carbonbetonbauweise veranschaulichen sollen.
Noch weitgehend Zukunftsmusik ist die Anwendung von Graphen. Spätestens die Verleihung des Physiknobelpreises 2010 an die Entdecker des Wundermaterials hat jedoch neue Perspektiven eröffnet. Zehnmal härter als Stahl und leichter als Plastik soll das Material sein, das Wissenschaftern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) beim Erhitzen und Zusammenpressen von Graphenflocken gelang. Wabenförmig angeordnete Kohlenstoffatome sorgen, so Projektleiter Markus Buehler, für »fast magisch wirkende Eigenschaften«: ultrahart, leichtgewichtig, extrem hitzebeständig, undurchlässig gegenüber Flüssigkeiten und Gasen. Der korrosionsfreie Hightech-Baustoff wäre besonders für Brücken oder Hochhäuser geeignet. Experimente mit dem kompliziert aufgebauten Kohlenstoffmaterial brachten bislang aber noch keine in der Praxis umsetzbaren Ergebnisse.
Dennoch legen Innovationen wie diese das Fundament für die kommenden Generationen. Die Reduktion von CO2 ist das bestimmende Zukunftsthema und betrifft die gesamte Baustoffindustrie und die nachgelagerte Wertschöpfungskette. Die Reduzierung des CO2, das bei der Zementherstellung durch die Kalkstein-Entsäuerung freigesetzt wird, stellt dabei die größte Herausforderung dar. Die Weiterentwicklung von Zukunftstechnologien in der Zementindustrie wird ein entscheidender Wettbewerbs- und Kostenfaktor, zumal Gebäude und Stadtteile künftig CO2-neutral sein müssen. Die Nutzung der Speichermasse Beton könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Neue Rezeptur
An der TU Graz forscht ein Team des Instituts für Materialprüfung und Baustofftechnologie an einem umweltfreundlichen Ersatz des Bindemittels Portlandzement. Dabei stützt man sich auf Erfahrungen mit Ultra High Performance Concrete (UHPC), einem besonders festen und widerstandsfähigen Beton. Während bei herkömmlichem Beton in der Regel mehr Wasser zugegeben wird, als für die chemische Reaktion erforderlich ist, wird UHPC durch die Zugabe von Mikrofüllern kompakter.
Diese Feinststoffe füllen die Hohlräume zwischen den Partikeln auf, die Packungsdichte wird optimiert, der Wasserbedarf sinkt. Dieses Prinzip könnte auch bei der Herstellung von umweltfreundlichem Beton zur Anwendung kommen, indem ein Teil des Zements durch sogenannte »Eco-Füller«, regional verfügbare Stoffe in einem ausgeklügelten Mischverhältnis, ersetzt wird.
Im Auftrag des Verbands der Fertigteilindustrie entwickelte das Forschungsteam rund um Joachim Juhart einen »Öko²Beton«, der auf die speziellen Anforderungen der Branche ausgerichtet ist – die Betonteile müssen bereits nach acht Stunden über die nötige Festigkeit für die Ausschalung verfügen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: »Dieser Ökobeton verursacht in der Herstellung im Mittel um 20 % weniger CO2-Emissionen als Standardbeton und hat einen um 10 % geringeren Primärenergiebedarf – und das bei gleichen Eigenschaften«, berichtet Juhart. In einem weiteren Projekt (»Erescon«) wurden in Zusammenarbeit mit der Asfinag und den ÖBB ökologische Alternativen für Transportbeton im Infrastrukturbau, etwa für Brücken und Tunnel, ausgelotet.
Trotz erfolgreicher Pilotversuche wurde der ökologisch optimierte Beton bisher vom heimischen Markt nicht angenommen, bedauert Baustofftechniker Juhart: »Das Konzept, Betonfertigteile umweltfreundlicher herzustellen – und das zum etwa gleichen Preis wie herkömmliche Fertigteile – haben wir fix fertig in der Hand. Es hakt allerdings an der Nachfrage. In der Schweiz und in den Niederlanden ist man in dieser Hinsicht schon viel weiter.« Gesetzliche Vorgaben oder Spezifizierungen in Ausschreibungen gibt es bislang nicht.
Gemeinsam mit dem Botanischen Garten hat sich Juhart inzwischen einem neuen Projekt zugewandt und geht der Frage nach, unter welchen Bedingungen Moos auf Beton wächst. Moose sind die ältesten Landpflanzen der Erde und filtern Partikel aus der Luft, insbesondere Feinstaub. Mit der Begrünung von Betonflächen die Luftqualität verbessern – damit würde grauer Beton tatsächlich grün und lebendig.
Fakten
Die Geschichte des Betons reicht bis in die Antike zurück – allerdings kannten die Römer noch nicht das wichtige Bindemittel Zement. Das wurde erst im 19. Jh. erfunden: Der englische Bauunternehmer Joseph Aspdin reichte 1824 das Patent ein. Isaac Charles Johnson entwickelte das Produkt weiter, indem er die einzelnen Bestandteile bis zum Sintern erhitzte. Dieser Zement verhalf Beton zu hoher Festigkeit und Beständigkeit und kurzer Trocknungszeit – ein neues Zeitalter der Architektur begann.
Wenn heute von Zement die Rede ist, handelt es sich zumeist um Portlandzement. 98 % des weltweit verwendeten Zements fällt in diese Kategorie. Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz werden vermahlen und auf 1450 Grad erhitzt. Beim Brennprozess wandelt sich der Kalk zu Calciumoxid und CO2 wird freigesetzt. Durch die chemische Reaktion mit Wasser (Hydratation) erhärtet Zement sowohl an der Luft als auch unter Wasser.
Durch den Zusatz von Hüttensand (Nebenprodukt der Stahlproduktion), Puzzolan (Kalkstein, Tonerde oder andere Gesteine) oder Flugasche (Nebenprodukt der Steinkohleverstromung) entstehen Zemente mit unterschiedlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften.
Den größten Bedarf an Zement hat China, wo etwa 45 % der weltweiten Produktion verbraucht werden. Von 2012 bis 2014 wurde in der Volksrepublik so viel Zement verbaut wie im gesamten 20. Jh. in den USA. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssten die jährlichen Emissionen der Zementindustrie bis 2030 um mindestens 16 % sinken. Deshalb setzen einige Unternehmen auf weniger energieintensive Herstellungsprozesse und Recycling von Altbeton.