Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt die neue Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, wie sie Österreich klimaneutral machen will, warum es der aktuellen Regierung gelingen wird, das lang gehegte Ziel der 3%-Sanierungsrate tatsächlich zu erreichen und wie sie zu einer verpflichtenden Herkunftsbezeichnung von Baustoffen stellt. Trotz der im Regierungsprogramm festgeschriebenen Forcierung von Holz spricht sie sich klar für eine Produktneutralität bei Baumaterialien aus. Eine ökologische Bewertung von Baustoffen soll über den gesamten Lebenszyklus erfolgen.
Report: Dem Klimaschutz wird im aktuellen Regierungsübereinkommen große Bedeutung zugeschrieben. Welchen Stellenwert hat dabei aus Ihrer Sicht der Gebäudesektor?
Leonore Gewessler: Unser Programm für die kommenden Jahre ist ambitioniert: 2040 soll Österreich klimaneutral sein. Um die Weichen dafür richtig zu stellen, haben wir, wie die Wissenschaft es uns sagt, zehn Jahre Zeit. Die Reduktion der CO2-Emissionen im Gebäudebestand ist ein bedeutender Baustein für die Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele. Zwar ist es im Gebäudesektor schon in der Vergangenheit gelungen, die Treibhausgasemissionen deutlich zu senken.
Für eine Dekarbonisierung bis 2040 braucht es aber – so wie in allen anderen Sektoren auch - deutlich verstärkte Anstrengungen. Im Regierungsprogramm haben wir Maßnahmen im Gebäude- und Wärmesektor vereinbart, die sicherstellen sollen, dass Österreich seinen europarechtlichen Verpflichtungen, den Verpflichtungen aus dem Pariser Übereinkommen und dem Ziel der Klimaneutralität bis 2040 in sozial und ökonomisch verträglicher und kosteneffizienter Weise nachkommen kann.
Report:Welche konkreten Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen sind für den Gebäudesektor geplant?
Gewessler: Es braucht eine umfassende thermisch-energetische Sanierung bislang nicht sanierter Gebäude, Niedrigstenergiestandards für Neubauten und den zügigen und konsequenten Ausstieg aus der Nutzung von fossilen Brennstoffen. Hier sieht das Regierungsprogramm vor, dass ab 2020 keine Neuerrichtung von Öl- und Kohleheizungen im Neubau mehr erfolgt, ab 2021 soll der Austausch von alten Öl- und Kohleheizungen durch neue nicht mehr zulässig sein und ab 2025 ist ein verpflichtender Austausch von Heizgeräten älter als 25 Jahre vorgesehen.
Neben den Ölheizsystemen sind es Gasheizungen, die einen wesentlichen Teil der Treibhausgasemissionen im Sektor Gebäude verursachen. Daher haben wir mit dem Koalitionspartner festgehalten, dass im Neubau ab 2025 keine Gaskessel bzw. Neuanschlüsse von Objekten an das Gasnetz mehr erfolgen. Was die Gasinfrastruktur angeht, soll kein weiterer Ausbau von Gasnetzen zur Raumwärmeversorgung mehr vorgenommen werden, ausgenommen es handelt sich um eine Verdichtung innerhalb bestehender Netze.
Um die Energieeffizienz von Gebäuden zu steigern, braucht es ganz grundsätzlich eine Erhöhung der Sanierungsrate sowie der Sanierungsqualität und die Weiterentwicklung der Kriterien in den Bauvorschriften, sodass Schritt für Schritt Nullemissionsgebäude zum Standard werden.
Report: Seit vielen Jahren träumen Politik und Experten von einer Sanierungsrate von 3%. In der Realität hat man sich davon aber immer weiter entfernt, aktuell liegt sie bei unter 1%. Was konkret werden Sie anders als Ihre Vorgängerregierungen machen, um dieses Mal das Ziel auch tatsächlich erreichen zu können?
Gewessler: Es braucht aus meiner Sicht ein gut aufeinander abgestimmtes Bündel an Maßnahmen, das neben Kommunikation und Bewusstseinsbildung auch Anreize insbesondere zur Abfederung sozialer Härtefälle aber auch steuerliche Erleichterungen und konkrete gesetzliche Vorgaben wie das Erneuerbaren-Gebot bei Tausch einer alten Ölheizung enthält.
Mit einem solchen Bündel an Maßnahmen wird es uns gelingen, auch den Gebäudebestand sozial verträglich auf ein innovatives und zukunftsfittes Niveau zu bringen. Im Rahmen der ökosozialen Steuerreform arbeiten wir gemeinsam mit dem Koalitionspartner nun Details dazu aus.
Report: Laut Regierungsprogramm soll der Baustoff Holz forciert werden. Handelt es sich dabei nicht um eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen Baustoffen wie Ziegel oder Beton, die sich wie mehrere Studien zeigen bei einer Lebenszyklusbetrachtung in Sachen Nachhaltigkeit nicht vor Holz verstecken müssen?
Gewessler: Ich bin im Wirkungsbereich meines Ressorts auf Produktneutralität bei Baumaterialien bedacht – natürlich unter der Maßgabe, dass diese über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg bestmöglich zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen. Holz ist ein Beispiel für einen regenerativen Rohstoff, der bei nachhaltiger Produktion und kurzen Transportwegen den Schutz des Klimas und regionale Wertschöpfung gut in Einklang bringen kann. Aber das gilt natürlich nicht exklusiv für Holz als Baustoff.
Die Formulierung im Regierungsprogramm „Forcierung des Holzbaus und ökologischer Baumaterialien“ schließt auch andere Baumaterialien, welche die genannten Kriterien erfüllen, mit ein.
Report: Regionalität spielt nicht nur in der Lebensmittelindustrie eine immer größere Rolle, sondern ist für viele Konsumenten auch bei der Wahl des Baustoffes entscheidend. Können Sie sich eine verpflichtende Herkunftsbezeichnung für Baustoffe vorstellen, um zu verhindern, dass Konsumenten unabsichtlich zu einem (importierten) Baustoff greifen, der durch weite Transportwege einen deutlich schlechteren ökologischen Fußabdruck hat als vielleicht angenommen?
Gewessler: Die Forderung nach einer verpflichtenden Herkunftsbezeichnung für Baustoffe gibt es schon seit längerer Zeit. Es liegt natürlich auf der Hand, dass Baumaterialien mit kurzen Transportwegen im Sinne des Klimaschutzes den Vorzug gegenüber Produkten haben sollen, die weit gereist sind.
Die Möglichkeiten für die Einführung einer Herkunftsbezeichnung für Baustoffe wären zu prüfen. Allerdings ist hier zu gewährleisten, dass die Ausweisung der Herkunft und des ökologischen Fußabdrucks nach einem standardisierten Prinzip für alle Baumaterialien erfolgt, ganz gleich ob es sich um Ziegel, Beton, Zement, Holz, diverse Dämmmaterialien oder andere Produkte handelt. Die Marktakteure sollen dadurch bei allen Baustoffen vergleichbare Informationen als Grundlage für ihre Kaufentscheidung zur Verfügung haben.
Report: Sie waren mehrere Jahre Geschäftsführerin von Global 2000. Die Umweltorganisation hat 2010 gemeinsam mit den Bausozialpartnern die Nachhaltigkeitsinitiative Umwelt+Bauen gegründet. Eine auf den ersten Blick ungewöhnlichen Liaison. Könnte so eine enge Zusammenarbeit zwischen Umweltschützern und Industrie auch Vorbildwirkung für die Politik haben?
Gewessler: Durch ein offensives und aktives Vorantreiben von Maßnahmen Richtung Klimaneutralität eröffnet sich für innovative österreichische Unternehmen die große Chance, sich an vorderster Stelle im internationalen Wettbewerb in einem dynamischen Wachstumsmarkt zu behaupten.
Gerade in dem breiten Technologiefeld Bauen, Sanieren und effiziente Wärmeversorgung verfügt Österreich über ein reichhaltiges Know-how und ist für diese Herausforderung hervorragend aufgestellt. Neben der klimapolitischen Notwendigkeit ist es somit ein ökonomisches und auch arbeitsmarktpolitisches Gebot der Stunde, die Energiewende umgehend und entschlossen in Angriff zu nehmen.
Die Energiewende, die wir uns vorgenommen haben, bedeutet zweifellos eine große Kraftanstrengung, birgt aber auch unglaubliche Chancen für alle Bevölkerungsgruppen. Damit uns so etwas großes Gelingen kann, braucht es einen Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Genau das verbindet Umweltorganisationen und Sozialpartner.