Städte als Akkus nutzen ist ein wesentlicher Schritt bei der Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien. Durch die zunehmenden Hitzeperioden steigt die Bedeutung der Bauteilaktivierung.
Bei den Energiequellen Wasserkraft und Biomasse sind keine deutlichen Steigerungen mehr zu erwarten, wohl aber bei Wind und Sonne. Diese stehen allerdings nicht durchgängig zur Verfügung, Speicher werden notwendig. »Das ist der Hebel für Bauteilaktivierung«, betont Gunther Graupner, Sprecher der ARGE Nachhaltige BAUTEILAktivierung und Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Bauforschung. »Die bisherigen Betriebserfahrungen entsprechen den Planungsüberlegungen und machen Mut auf mehr«, sieht auch Peter Holzer, Geschäftsführer des Ingenieurbüros P. Jung, IPJ, und Gesellschafter des Institute of Building Research & Innovation. Vier Millionen Quadratmeter jährlich verbaute Betondecken bieten sich für die Bauteilaktivierung an.
Laut FH-Dozent Wolfgang Amann, Geschäftsführer des IIBW, punkten neue Technologien wie die Bauteilaktivierung gegenüber konventionellen Heizsystemen. Bei der Kooperation mit Windparkbetreibern wird deren Überschussstrom für Wärmepumpen zur Temperierung der Betondecken eingesetzt. Einen Schlüssel der Bauteilaktivierung bildet der gute Wärmeübergang von den wasserführenden Rohren auf die thermisch leitfähige und speicherfähige Masse.
Das ist im Neubau durch ein Einbetonieren der Rohrlage leicht herstellbar. In der Sanierung sind Lösungen mit nachträglich angebrachten Rohrlagen an der Untersicht von Decken möglich, wenn auch mit Leistungseinbußen und mit meist deutlich verringerter Aktivierung der darüber liegenden Massen. Neben ihrer ökologischen Funktion überzeugt die thermische Bauteilaktivierung (TBA) auch ökonomisch.
»Die Bauteilaktivierung ist das wirtschaftlichste Wärmeübertragungssystem«, betont Amann. Beim Viertel Hoch Zwei in Theresienfeld nahe Wiener Neustadt z.B. ist durch Bauteilaktivierung, Solarpaneele am Dach, eine zentrale Luftwärmepumpe und dezentrale Warmwasseraufbereitungs-Wärmepumpen mit einer Reduktion der Energiekosten bis zu 70 Prozent pro Haushalt zu rechnen.
Wege zur TBA
Laut Peter Holzer braucht es zur Nutzung des Energiespeichers Gebäude eine aktivierbare nennenswerte Masse mit entsprechender Wärmespeicherfähigkeit und auch -leitfähigkeit. Bewährter Ort ist die Raumdecke, weil sie eine große Wärmeabgabe und -aufnahmefläche bildet, die außerdem frei von Möbeln, Fenstern und Bodenbelägen ist. Als Material eignet sich v.a. Beton, weil er eine hohe Dichte mit einer guten Wärmespeicherfähigkeit und -leitfähigkeit verbindet.
Die Massen müssen aktiv bewirtschaftet werden, d.h. sie werden nicht einfach nur der Lufttemperatur für eine Erwärmung ausgesetzt, sondern Rohrregister werden eingelegt. Wenn das Gebäude als thermischer Speicher betrieben wird, müssen moderate Raumtemperaturschwankungen, plus / minus 1 Grad um die Wohlfühltemperatur, zugelassen werden. »Es wäre ein Widerspruch, wenn man vom Gebäude erwartet, dass es Wärme speichert, aber vom Raum fordert, dass er immer dieselbe Temperatur hat«, gibt Holzer zu bedenken.
Energierahmen für TBA
In einem gut gedämmten Gebäude kann die thermisch aktivierte Betondecke mit ihrer Wärmespeicherfähigkeit Heizunterbrechungen von bis zu drei Tagen ermöglichen. Eine aktuelle Studie des Institute of Building Research & Innovation im Auftrag der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie hat ergeben, dass sich, exemplarisch für den Großraum Wien, auf diese Weise ca. 70 bis 80 Prozent des jährlichen Heizwärmebedarfs aus Überschussstrom von Windparks decken lassen.
Als ergänzende langfristige, saisonale Energiespeicher eignen sich laut Peter Holzer Tiefenbohrungen, sogenannte Erdsonden. Hierbei werden Rohrschleifen etwa 150 Meter tief in das Erdreich gelegt. Auch die Energie aus Abwärme kann in thermisch aktivierte Baumasse eingespeichert werden, in ersten Großanwendungen ist sie im Wohnbau bereits mit sehr positiven Mess- und Komfortergebnissen umgesetzt. Für die Sanierung bietet sich auch die nachträglich von außen angebrachte TBA an.
»Wir haben ein interessantes Projekt beim Energy Globe eingereicht, bei dem das Gebäude über die Außenwände bauteilaktiviert wird. Dadurch ist der Verbrauch gegenüber dem Energieausweis um 58 Prozent kleiner«, betont Graupner. Bestrebungen gibt es in Richtung elektrisch beheizter Gitter und Leitungsschlangen. Das ist ein noch eher exotischer Bereich, denn vielfach herrscht die Meinung, dass Strom ein zu wertvoller Energieträger für die reine Deckenaktivierung darstellt. Mit Strom sollten Wärmepumpen betrieben werden, die einen vierfachen Wärmeertrag bieten.
Technischer Rahmen für TBA
»Bisher gab es keine einheitlichen Methoden, um Bauteilaktivierung gut dimensionieren zu können«, informiert Architekt Gunther Graupner. Die meisten Tools simulieren entweder die haustechnische oder die bautechnische Seite. Ein innovativer Rechenkern, der an der TU Wien weiterentwickelt wird, betrachtet beide Faktoren. Gearbeitet wird in den Projekten Solcalc, Solbau und Simultan.
»Einfache Verfahren können räumlich oder zeitlich die Beheizung oder Kühlung eines Gebäudes, die Automation eines gebäudetechnischen Systems, die Wirkung von Speichern und die Nutzung von Umweltsignalen eines Energieversorgers nicht so realistisch abbilden, wie es notwendig ist«, erklärt Univ.-Prof. Thomas Bednar, Leiter des Instituts für Werkstofftechnologie, Bauphysik und Bauökologie.
»Mittlerweile sind wir so weit, dass Gebäudeensemble und Infrastruktur wie Strom, Kälte- und Wärmenetze modelliert und an Auswertungen und Simulation gekoppelt werden können. Damit zeigen wir die technische Machbarkeit eines Large Open Link Data Models«, berichtet Bednar.
Best Practice: MGG22
Bild oben: Da Wohnquartier MGG 22 hat das Potenzial zum echten Game-Changer.
Das Wohnquartier MGG22 in der Wiener Mühlgrundgasse mit 160 Wohnungen wird über Bauteilaktivierung und u.a. energieflexiblen Betrieb mit Wind-Überschussstrom temperiert. Roman Prager, W.E.B Windenergie: »Die Haustechniksteuerung hat eine direkte Verbindung mit der W.E.B Leitzentrale. Wenn wir Stromüberschuss haben, gibt es ein Freigabesignal an die Steuerung und diese steuert entsprechend dem Wärmebedarf die Wärmepumpen an. Erfahrungen haben gezeigt, dass mehr als 80 Prozent der Heizenergie in Zeiten mit Starkwind aufgebracht werden.« Das Projekt wurde noch während des Baus von der IBA_Wien 2022 als Game-Changer im Bereich der Wohnbau-Energieversorgung nominiert.
Forschungsprojekt TAB-Scale
Das in Passivhausbauweise errichtete Stahlbeton-Wohngebäude in Purkersdorf ist Gegenstand des Forschungsprojektes TAB-Scale der BOKU Wien rund um die optimale Nutzung von Sonnenenergie und Erdwärme durch eine Kombination von Wärmepumpen und Bauteilaktivierung mit prädiktiver Steuerung. Ziel ist die Nutzbarmachung der zukunftsweisenden Technologie für den mehrgeschoßigen sozialen Wohnbau.
Das Gebäude wurde nach den Kriterien des solaren Bauens geplant, mit einer Wohnraumlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, einer Wärmepumpe mit Tiefensonden und Bauteilaktivierung ausgestattet. Um den Kühl- und Heizvorgang mittels TBA möglichst effizient zu gestalten, wird mithilfe eines prognosebasierten Reglers die Wetterprognose der nächsten 48 Stunden bei der Temperaturregelung berücksichtigt. Das entwickelte System kann je nach Aufgabenstellung angepasst werden, z.B. an ein variierendes Energieangebot oder -preise.