Sonntag, Dezember 22, 2024
Ein Jahr Standortentwicklungsgesetz - ein erstes Resümee
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Seit einem Jahr ist das umstrittene Standortentwicklungsgesetz nun in Kraft. Vom Gesetzgeber als »Gamechanger« angekündigt und hart bekämpft von Umweltorganisationen – doch was hat sich wirklich geändert? Zeit für ein erstes Resümee.

Die Intention des Gesetzes, nämlich die Verfahrensbeschleunigung, kann angesichts der Dauer von UVP-Verfahren in Österreich von niemandem ernsthaft negativ beurteilt werden.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer in erster Instanz zwischen 2009 und 2017 für »große« UVP-Verfahren betrug 16,4 Monate. Diese Durchschnittsbetrachtung täuscht aber. Seit 2009 ist die Verfahrensdauer kontinuierlich gestiegen. In den Jahren 2015 bis 2017 lag der Durchschnitt für das Verfahren erster Instanz bereits bei 25 Monaten.

Dazu kommt noch die Durchschnittsdauer der Verfahren zweiter Instanz von zuletzt (2015–2017) acht Monaten. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist also auf über 30 Monate angewachsen. Außerdem wurden in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt nur 29 neue Genehmigungsverfahren eingereicht, während Ende 2017 rund 50 Verfahren anhängig waren. 21 anhängige Verfahren waren Ende 2017 also schon mehr als 24 Monate alt. Man konnte also schon damals voraussagen, dass sich die durchschnittliche Verfahrensdauer weiter erhöhen wird. In diesem Umfeld hat der Gesetzgeber versucht, mit dem am 1.1.2019 in Kraft getretenen Standortentwicklungsgesetz gegenzusteuern.

Gründe für die lange Verfahrensdauer

Umweltorganisationen (»NGOs«, Non Governmental Organisations) streiten jeglichen Einfluss auf die überlange Verfahrensdauer in Österreich ab. Dies mit der zuletzt auch von namhaften Umweltrechtsexperten wiederholten Aussage, alle Umweltorganisationen gemeinsam würden sich ohnedies »jährlich lediglich in zwei bis drei Verfahren einbringen«. Diese Zahl von zwei bis drei Verfahren entspricht allerdings genauso wenig der Praxis wie die Behauptung, NGOs hätten keinen Einfluss auf die Verfahrensdauer. Prüft man die UVP-Entscheidungen der letzten Jahre, so kommt man auf 20 bis 30 Bewilligungs- und Feststellungsverfahren mit NGO-Beteiligung pro Jahr. Es sind diese Verfahren, die für die aufgezeigten extrem langen Verfahrensdauern verantwortlich sind.

Eine tiefergehende Analyse der Dauer von Verfahren ergibt, dass praktisch alle Verfahren mit NGO-Beteiligung über der durchschnittlichen Verfahrensdauer liegen, die anderen großteils darunter. Das Argument der NGOs, das liege daran, dass die Projektwerber unvollständige und schlechte Unterlagen einreichen würden, geht an der typischen Dynamik solcher Großverfahren vorbei. Zeitverzögerungen sind automatisch auf »unvollständige Unterlagen« zurückzuführen wenn jede noch so irrelevante Forderung von Umweltschützern zu aufgetragenen Gutachtens- und/oder Verfahrensergänzungen führt (siehe Kasten). Solange es das Ziel ist, genau mit solchen Forderungen anhängige Verfahren zu verschleppen, wird sich an Verfahrensdauern nichts ändern. Die teilweise enormen Zeitverzögerungen sind oftmals auf eine destruktive, ausschließlich auf Verhinderung des Projekts statt auf Verbesserung der Umweltauswirkungen ausgerichtete Verfahrensführung der NGOs zurückzuführen.

Der Gesetzgeber musste gegensteuern

Da solche Einwendungen und Forderungen von der Behörde immer seltener ignoriert werden, war eine weitere Erhöhung der durchschnittlichen Verfahrensdauer absehbar. Der Versuch des Gesetzgebers, mit Redezeitbeschränkungen, Stellungnahmefristen und Kostenstrafen eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen, ist vor diesem Hintergrund uneingeschränkt zu begrüßen. Zu bemängeln ist allerdings, dass zahlreiche von Umweltrechtsexperten geforderte Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung nicht umgesetzt wurden. Zu diesen Forderungen gehören beispielsweise die Zurverfügungstellung eines eigenen Sachverständigenapparates für die Verwaltungsgerichte, eine umfassende Modernisierung des Verfahrensrechtes oder die Einführung einer Kostentragungspflicht für die unterliegende Partei im Rechtsmittelverfahren.

Andere im Standortgesetz vorgesehene Maßnahmen, wie z.B. die zeitliche Begrenzung der Verfahrensdauer erster Instanz und die Reduktion der Rechtsmittelmöglichkeiten, haben jüngst zu Kritik der Europäischen Union geführt. Ob diese berechtigt ist, ob also das Standortentwicklungsgesetz in diesen Punkten unionsrechtswidrig ist, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren weisen.  
 

In der Praxis bisher unauffällig

Die massive Sorge der NGOs und der Europäischen Kommission, das Gesetz würde den Umweltschutz aushöhlen, hat sich bisher nicht bewahrheitet. Das Standortentwicklungsgesetz ist in der Praxis bisher nicht weiter aufgefallen. Soweit aus veröffentlichten Umweltinformationen nachvollziehbar, wird bisher kein einziges Projekt nach diesem neuen Verfahrensregime abgewickelt. Die ausschließlich für einige wenige Großverfahren im besonderen öffentlichen Interesse vorgesehenen Neuregelungen wurden von den Projektanten ganz offensichtlich bisher nicht in Betracht gezogen. Die Hürde, als ein solches Projekt im öffentlichen Interesse anerkannt zu werden, scheint zu groß.

Ist das Standortentwicklungsgesetz in der derzeitigen Fassung also sogenanntes »totes Recht«, sohin Recht, das auch in Zukunft nicht angewendet werden wird? Das ist aufgrund des engen Anwendungsbereiches zu befürchten.
 

Vorschläge für die Zukunft

Es besteht also Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Er wird sowohl auf die Bedenken der EU-Kommission als auch auf die fehlende Bereitschaft der Wirtschaft, das Gesetz anzunehmen, reagieren müssen. Diese Reaktion wird eine nochmalige Prüfung des normierten Verfahrensablaufes auf Europarechtskonformität, aber auch auf praktische Sinnhaftigkeit beinhalten müssen. Die Reaktion könnte aber auch dazu genutzt werden, eine Verfahrensbeschleunigung in allen Verwaltungsverfahren mit Umweltrelevanz voranzutreiben. Auch in »kleineren« Umweltverfahren besteht Handlungsbedarf. Denn auch dort ist die Dauer der Verfahren, insbesondere der Verfahren mit Beteiligung von NGOs, im internationalen Vergleich zu lange.


Auswüchse bei Umweltverfahren

- Die nachstehenden, in diversen Verfahren tatsächlich gestellten Forderungen von NGOs machen deutlich, warum es praktisch unmöglich ist, im Vorfeld schon vollständige Projektunterlagen einzureichen:

- Was wird seitens der Projektwerber getan, damit die Kleinkäfer nicht im Speichersee ertrinken?

- Wie wird Stress für die Kühe durch die Bauarbeiten zum Kraftwerk verhindert? Wir verlangen Messungen der Milch auf Stresseinwirkungen.

- Was tun Sie, damit Kinder nicht Steine auf die Schlangen werfen?

- Die Bauarbeiten dürfen nur nachts stattfinden, denn tagsüber schlafen die Fledermäuse.

- Vor Baubeginn sind die Murmeltiere der Gegend abzusammeln. Für die vor Beginn der Bauarbeiten abzusammelnden Murmeltiere ist ein Konzept vorzulegen, das sicherstellt, dass diese nur dort ausgesetzt werden, wo es keine anderen Murmeltiere gibt, denn sonst streiten die Tiere ums Futterangebot.

- Dieser Baum darf nicht gefällt werden, weil dort immer wieder ein Falke landet.

- Die Fische hören das Rauschen und eine Ausleitung eines Teils des Wassers für ein Wasserkraftwerk ist den Fischen nicht zumutbar.

- Auf der Landesstraße muss es eine Geschwindigkeitsbeschränkung für LKWs auf 30 km/h geben, damit die Vögel nicht in die LKWs fliegen.

- Vor Baubeginn sind alle Schlangen im Projektgebiet abzusammeln, diese sind nach Beendigung der Bauarbeiten wieder auszusetzen.


Der Autor

Univ.-Prof. Prof.(eh.) Dr. Georg Eisenberger ist auf Öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisierter Anwalt und hat einen beim Linde Verlag erschienenen Kommentar zum Standortentwicklungsgesetz veröffentlicht.

 

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