Von Early Contractor Involvement, Allianzverträgen und einer partnerschaftlichen Projektabwicklung ist aktuell viel zuhören. Der Bau & Immobilien Report zeigt, welche Rolle die Themen in der Praxis spielen und welche Hürden noch zu nehmen sind. Außerdem: Wer zu den Treibern zählt und wo noch - durchaus berechtigte -Skepsis herrscht.
Genug ist genug«, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz und kündigte einen Tag nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos die Koalition mit der FPÖ auf. Was folgte, war eine der heftigsten innenpolitischen Krisen der Zweiten Republik. Ganz so dramatisch ist die Lage in der Bauwirtschaft zwar nicht, aber hört man sich bei den Entscheidungsträgern der wichtigsten Auftragnehmer um, bekommt man den Eindruck, dass nicht wenige gerne eine ähnliche Reißleine ziehen würden. Denn auch das Verhältnis von Auftragnehmern und Auftraggebern ist nicht immer das allerbeste. Das liegt mitunter an den handelnden Personen, wird durch die aktuelle Vergabepraxis und Vertragsgestaltung aber mehr als nur begünstigt.
»Das jetzige System fördert den Konflikt mehr, als es die Lösung fokussiert«, sagt Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf. Wolfgang Wiesner, Leiter der Abteilung Contract Management und Prequalification bei der Porr, hält fest, dass »die Spielregeln, nach denen Bauaufträge vergeben werden, sehr stark durch die Auftraggeberseite bestimmt sind«. Das gelte in weiterer Folge auch für die Bauverträge selbst. »Und es liegt in der Natur der Sache, dass jene Partei, welche die größere Verhandlungsmacht hat, dabei Lasten und Risiken eher zur anderen Seite verschiebt.«
Bild oben: »Verträge sind immer Teil einer Kultur. Alternative Vertragsformen sind ein Zeichen, dass sich das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern geändert hat«, sagt BIG-Geschäftsführer Hans-Peter Weiss.
Aber natürlich versucht auch die Auftragnehmerseite die vorherrschende Vergabepraxis für ihre Zwecke zu nutzen und trägt so nicht unbedingt zu einem besseren Miteinander bei. »Die klassische Vorgehensweise führt regelmäßig zu Claims der Auftragnehmer, um im Nachhinein aus einem Unterpreis einen auskömmlichen Preis zu machen«, kritisiert Rechtsanwalt Stephan Heid, Heid und Partner. Damit läuft von Vorneherein alles auf ein konfrontatives Projekt hinaus, mit hohem Produktivitätsverlust auf beiden Seiten. Bis zu 20 Prozent der Kapazitäten werden mittlerweile im Schnitt für Dokumentation, Schriftverkehr und die Vorbereitung allfälliger Streitverfahren aufgewandt.
»Dieser Aufwand kommt in keiner Weise dem Bauvorhaben zugute, sondern verpufft ungenutzt«, sagt Heid. Und auch Wiesner bestätigt, dass sich der Schwerpunkt in der Projektabwicklung sehr stark von einer technisch orientierten Bauabwicklung hin zu einer rechtlich-kalkulatorischen Vertragsabwicklung verschoben hat.
Veränderung nötig
Auch wenn Mehrkostenforderungen und Streitigkeiten oft achselzuckend als »Part of the Game« gesehen werden, werden die Stimmen zunehmend lauter, die ein Umdenken in der Vergabepraxis und der Vertragsgestaltung fordern. Dazu kommt, dass die klassischen Verträge nicht auf neue Technologien und Methoden wie BIM oder Lean Construction ausgerichtet sind (sieh auch BIM-Tagebuch Seite 18).
»Wir werden die Lösungen für morgen nicht mit den Werkzeugen von gestern entwickeln können«, sagt etwa auch Matthias Wohlgemuth, Vergaberechtsexperte der Geschäftsstelle Bau in der Wirtschaftskammer und Geschäftsführer der Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs (VIBÖ). Es ist also wenig verwunderlich, dass aktuell bei diversen Branchenveranstaltungen und in den Fachmedien Schlagworte wie Early Contractor Involvement, Alliancing-Modelle und partnerschaftliche Projektabwicklung in aller Munde sind. Recht viel mehr allerdings auch nicht. Denn in der Praxis spielen die Themen innerhalb der österreichischen Grenzen noch eine untergeordnete Rolle. »Wir stehen da erst am Anfang der Entwicklung«, bestätigt Heid.
Auch Habau, immerhin die Nummer vier am österreichischen Markt, hat mit alternativen Vertragsformen in Österreich nur wenig Erfahrung gemacht.
»Mangels entsprechenden Angebots«, wie CEO Hubert Wetschnig ausführt. Rudimentäre Ansätze gäbe es zwar bei öffentlichen Auftraggebern bisweilen im Rahmen zweistufiger Vergabeverfahren, wo es zu einer Konkretisierung des Leistungsgegenstands kommt, die die nachgefragte Leistung schärft und besser kalkulierbar macht. »Vom Idealbild einer frühzeitigen Einbindung des Auftragnehmers im Rahmen eines echten Early Contractor Involvements oder Allianz-Modells ist das aber noch sehr weit entfernt«, sagt Wetschnig.
Bild oben: »Der partnerschaftliche Ansatz ist leider oft nur ein Lippenbekenntnis«, kritisiert Hubert Wetschnig, CEO Habau Group.
Exkurs: Die größten Vorteile von Allianzverträgen
- Hohe Flexibilität
- Hohe Kosten- und Terminsicherheit
- Risikoteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
- Gemeinsamer wirtschaftlicher Erfolg oder Misserfolg
- Garantierte Kostendeckung für Auftragnehmer
- Hohes Potenzial zur Kostenreduktion
- Starker gemeinsamer Fokus auf das Projekt
Noble Zurückhaltung
Die öffentlichen Auftraggeber machen auch gar keinen Hehl daraus, dass alternative Vertragsformen auf ihrer Agenda bislang nicht allzu weit oben zu finden waren. »Wir sind in der Vergangenheit sehr gut mit den traditionellen Vertragsmodellen gefahren und sehen diese für die weit überwiegende Anzahl der Bauprojekte im Infrastrukturbereich als sinnvoll und praktikabel an«, sagt Markus Frühwirth, Bauwirtschaftsexperte bei der Asfinag.
Mit der Umsetzung eines alternativen Vertragsmodells für Bauleistungen hat die Asfinag bislang noch keine Erfahrungen gesammelt. Allerdings hat man laut Frühwirth erkannt, dass die klassischen Vertragsmodelle vor allem bei sehr komplexen, risikobehafteten Projekten teilweise an ihre Grenzen stoßen. »Deshalb werden derzeit die Grundlagen für die Umsetzung eines Pilotprojekts erarbeitet«, sagt Frühwirth.
Auch die ÖBB sieht aufgrund der laufenden Anpassungen des klassischen Einheitspreisvertrags keine Notwendigkeit für ein grundsätzliches Umdenken. Als positives Beispiel wird der Hauptbahnhof Wien angeführt, der nach dem klassischen Modell abgewickelt wurde und dennoch den Koop-Award für die kooperative Projektabwicklung erhalten hat. Diskussionen über andere vertragliche Gestaltungen hätten bei spezifischen Anwendungen laut ÖBB aber durchaus ihre Berechtigung und werden intern auch geführt. »Die Betrachtung alternativer Vertragsmodelle ist in Evaluierung, wonach erhoben wird, welche alternativen Vertragsmodelle in welchen Bereichen, bei welchen Anwendungsfällen und unter welchen Umständen und Rahmenbedingungen und mit welchen Zielsetzungen zweckmäßig angewendet werden können«, erklärt Franz Bauer, Vorstand ÖBB Infrastruktur. Erste Pilotprojekte stehen demnach auch bei der ÖBB in den Startlöchern.
Bild oben: »Es braucht aus meiner Sicht eine Reduktion von Schnittstellen, die Erhöhung von Transparenz und die Herstellung einer gemeinsamen Interessenslage«, sagt Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf.
Auch bei der Bundesimmobiliengesellschaft zeigt man sich interessiert, aber zurückhaltend. Zwar sieht Geschäftsführer Hans-Peter Weiss bei Vertragsformen, die den Grundsatz der partnerschaftlichen Abwicklung stärker in den Vordergrund stellen und das »Claim und Anti-Claim«-System durchbrechen, großes Potenzial. »Wer sich weniger mit Claim- und Anti-Claim-Management beschäftigen muss, hat noch mehr Ressourcen, um sich auf das Wesentliche zu fokussieren.« Echte Erfahrungen hat man bislang aber lediglich »in Teilbereichen gesammelt«, was natürlich auch rechtliche Gründe hat.
»Die Herausforderung für uns als öffentliche Auftraggeberin liegt auch darin, die Möglichkeit alternativer Vertragsformen den Inhalten und Formen von Ausschreibungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz anzupassen«, so Weiss.
Sanfter Druck kommt vor allem von den großen Auftragnehmern, die diesbezügliche Erfahrungen im Ausland gesammelt haben (siehe auch Interview Seite 20). »Die stehen dem Thema sehr offen bis forcierend gegenüber«, sagt Frühwirth.
Eines der wenigen echten Vorzeigeprojekte in Sachen alternative Vertragsgestaltung ist der Bau des Druckstollens beim Gemeinschaftkraftwerk Inn (siehe Kasten S. 16). Das Projekt wird von der ARGE Hinteregger/Strabag/Jägerbau im Auftrag der GKI GmbH als echtes Allianzmodell umgesetzt. Dabei ist vertraglich festgelegt, dass beide Seiten auch monetär profitieren, wenn sie zusammenarbeiten und das Projekt bestmöglich abwickeln.
Exkurs: Was Allianzverträge anders machen ...
Die wesentlichen Punkte, in denen sich Allianzverträge von herkömmlichen Vertragsmodellen unterscheiden:
- Risk-Sharing-Ansatz: Bei Allianzverträgen wird zusätzlich zu den Risikobereichen von Auftragnehmern und Auftraggebern eine gemeinsame Risikoebene eingeführt. Durch die gemeinsame Risikoübernahme steigt das Bestreben, auch gemeinsame Lösungen zu finden.
- Vergütungsmodell: Allianzverträge bauen auf einem dreistufigen Vergütungsmodell auf. Stufe 1 enthält die tatsächlichen Kosten, Stufe 2 die Overheadkosten und Stufe 3 eine Bonus/Malus-Systematik. Aus der Differenz zu den tatsächlichen Kosten ergibt sich bei Kostenunterschreitung ein Bonus und bei Kostenüberschreitung ein Malus, wobei der Malus mit dem Gewinn aus Stufe 2 begrenzt ist.
- Organisationsstruktur: Auftraggeber und Auftragnehmer besetzen gemeinsam eine hierarchische Projektgesellschaft, die ähnlich aufgebaut ist wie ein Unternehmen.
- Problemlösung: Probleme werden innerhalb der Projektallianz gelöst. Es geht nicht um eine Fehlerzuweisung, sondern darum, so schnell wie möglich alle Ressourcen für die Projektlösung zu aktivieren.
- Auswahlverfahren: Bei der Auswahl des passenden Auftragnehmers geht es darum, das beste Team für ein Projekt zu finden. Weil ohnehin die tatsächlichen Kosten vergütet werden, kann der Preis in den Hintergrund treten. Ein funktionierendes, harmonisches Team erhöht aber die Chancen auf ein erfolgreiches Projekt, wovon beide Seiten monetär profitieren.
Better together
Auch wenn alternative Vertragsmodelle derzeit noch ein Nischenprogramm sind, sind sich doch alle Beteiligten einig, dass in Zukunft kein Weg daran vorbeiführen wird. »Nur mit alternativen Vertragsmodellen werden wir die Potenziale der aktuellen Veränderungen in der Bauwirtschaft auch wirklich heben können. Der Erfolg neuer Vertragsmodelle steht und fällt aber mit der tatsächlichen Umsetzung des Vertrags, also mit der konstruktiven und vertrauensvollen Kooperation aller Beteiligten«, ist Matthias Wohlgemuth überzeugt. Aus seiner Sicht wird sich eine breite Palette von aus heutiger Sicht »alternativen« Vertragsformen entwickeln. Das könne von kleineren Adaptionen der heute verwendeten Vertragsmodelle über neue Bauvertragstypen wie Cost-Plus-Fee, Early Contractor Involvement oder Alliancing-Modelle verschiedener Ausprägung, bis hin zu gemeinsamen Projektgesellschaften von Auftraggebern und Auftragnehmern gehen.
Auch Hubert Wetschnig kann sich neben der tatsächlichen frühzeitigen Einbindung des Bauunternehmens, wo die Planung beim Auftragnehmer selbst liegt, auch ein Allianzmodell zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vorstellen, bei dem von Anfang an Risiken und Chancen des Projekts gemeinsam getragen werden. »Ein solches Modell könnte etwa durch die Gründung einer Bedarfsgesellschaft zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer verwirklicht werden«, sagt Wetschnig.
Stephan Heid sieht bei Projekten bis zu 30 Millionen Euro vor allem in Anreizsystemen wie Bonus bei Zielerreichung, Aufteilung von Risiken nach Beherrschbarkeit oder Cost-plus-Fee-Vergütungsmodelle den besten Weg, um zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zu kommen. »Bei Großprojekten macht sich ein kompletter Allianzvertrag jedenfalls bezahlt. Je höher die Bausumme bzw. je komplexer die Bauaufgabe bzw. je länger der Bauablauf, desto bedeutender werden die Produktivitätsvorteile aus dem partnerschaftlichem Umgang«, so Heid.
Fazit
Aktuell gewinnt man den Eindruck, dass ähnlich wie beim Thema BIM abgewartet wird, welche Seite den ersten Schritt macht. Das prinzipielle Interesse an alternativen Vertragsformen ist zweifelsfrei gegeben. Bei der Umsetzung zeigt man sich aber – noch – eher zurückhaltend.
»Es gilt das Motto: Lass zuerst die anderen Lehrgeld zahlen«, so die Einschätzung von Stephan Heid, der vor allem auf Auftraggeberseite große Skepsis ortet. Für Stefan Graf, der seinerseits hofft, dass sich Generalunterprojekte mit Early Contractor Involvement und Allianzverträgen, am Markt etablieren, eine durchaus verständliche Haltung. »Weil vielen Beteiligten das breite Know-how fehlt, ist hier noch eine Lernkurve zu fahren«, so Graf.
Best Practice
Der Bau des Druckstollens beim Gemeinschaftskraftwerk Inn war bei Projektstart das erste Projekt im deutschsprachigen Raum, das als Allianzvertrag abgewickelt wurde. Auftraggeber ist die mehrheitlich im Besitz der Tiwag befindliche GKI Gmbh, als Auftragnehmer fungiert eine Arge aus Strabag, Jägerbau und der Porr Tochter Hinteregger.
Das Miteinander funktioniert wie in einer »klassischen« AN-Arbeitsgemeinschaft, wo der AG als vollwertiges und letztendlich wirtschaftlich letztentscheidendes Mitglied mit bei allen Entscheidungen mit eingebunden ist. Alle Abläufe werden in gegenseitiger voller Transparenz abgewickelt, alle Rechnungen werden vom AG freigegeben, nachdem sie in den üblichen Abläufen geprüft worden sind. »Dabei haben wir festgestellt, dass neben einer deutlichen Reduktion der eingesetzten Personen auf AG-Seite, etwa bei der ÖBA oder im Vertragsmanagement, auch auf AN-Seite Einsparungen im Bereich von Claimmanagement oder der Abrechnung möglich sind. Dadurch gilt die volle Konzentration den primären Herausforderungen des Projektes«, sagt Manfred Bauer, Geschäftsführung G. Hinteregger & Söhne Baugesellschaft mbH. Dadurch herrscht auch eine sehr positive Stimmung, die sich auch in sehr guten Leistungen vor Ort manifestiert. Unter dem Strich werden damit auch die Projektkosten nicht höher werden, sondern nachweislich in optimierter Form anfallen.