Am Bau ist die Unfallhäufigkeit mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Wirtschaftszweige. Europaweite Untersuchungen nennen Planungsfehler, mangelnde Organisation sowie fehlerhafte Koordination der Arbeiten und der zu treffenden Schutzmaßnahmen als wesentliche Faktoren.
Ein Bauarbeiter stirbt nach Absturz aus acht Metern Höhe, Tod durch umgestürzten 3,5-Tonnen-LKW beim Abladen von Aushubmaterial, Tod durch Kippen einer Schalungsplatte aus Metall, Tod durch Sturz eines auf einer Staplergabel befindlichen Trägers – die tödlichen Vorfälle auf heimischen Baustellen haben zuletzt dramatisch zugenommen. Man kann keine allgemeine Kritik üben, denn viele Bauherren nehmen Sicherheit sehr ernst. Sie nehmen Geld in die Hand, betreiben eine ordentliche Arbeitsvorbereitung, bestellen Planungs- und auch externe Baustellenkoordinatoren. Letzteres bringt immer den Vorteil des fehlenden Interessenkonflikts. Norbert Rabl, gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für technisches Unfallwesen und Arbeitsschutz, erläutert:
»Die wesentlichen Interessen von Bauherren und Ausführendem sind Kosten, Qualität und Zeit. Diesem Dreieck steht der Arbeitnehmerschutz entgegen. Ein Externer sollte immer den neutralen Blick haben.« Für andere Unternehmer sind steigende Produktionskosten und der Zeitdruck dagegen ein Grund für geringere Genauigkeit. »Sobald Investoren gefunden sind, wird so rasch als möglich damit begonnen, mit dem Objekt Geld zu verdienen. Vorangetrieben wird ein rascher Baufortschritt, Sicherheitsvorgaben werden erst nachträglich erfüllt«, weiß Peter Neuhold, Leiter der Abteilung Bauwesen im Zentral-Arbeitsinspektorat.
Woran mangelt es?
Laut Andreas Huss, zuständig für Arbeitnehmerschutz und Gesundheit in der Gewerkschaft Bau, lag die Unfallrate am Bau in den letzten Jahren bei über 90 Fällen pro 1000 Beschäftigte. Der Durchschnitt der anderen Gewerke liegt bei 40/1000. »Sicherheitsvorkehrungen und persönliche Ausrüstung sind vorhanden, sie werden aber nicht umgesetzt bzw. angewandt«, kritisiert er. Das ergibt eine lange Liste an Unfallursachen, angeführt von Verletzungen durch scharfe und spitze Gegenstände, danach folgen Verletzungen durch Hand- und Sägemaschinen, Herab- und Umfallen von Gegenständen sowie Stürze von Leitern und Gerüsten. Diese Unfallursachen führen Experten auf drei Hauptfaktoren zurück:
- Sicherheitswidrige Zustände, z.B. technische Mängel, fehlende Sicherheitseinrichtungen, unzureichende Wartung von Maschinen sowie mangelnde Ordnung und Sauberkeit
- Sicherheitswidriges Verhalten: 20 %
Nicht-Wissen, 70 % Nicht-Wollen (bewusstes oder fahrlässiges Handeln gegen bestehende Arbeitnehmerschutzvorschriften), 10 % Nicht-Können (aus geistigen und/oder körperlichen Gründen) - Höhere Gewalt: Der Anteil an tatsächlich unvermeidbaren Unfällen beträgt nach Auffassung der Experten nicht mehr als zwei Prozent. »Das Thema Übermüdung ist ebenfalls zu beachten«, zeigt Andreas Huss auf. Ab der zehnten Arbeitsstunde verdreifacht sich die Unfallgefahr.
Im Blick behalten
Bild oben: »Funktionalität und Bedienung der App Oskar hat Kunden wie Andritz, Pongratz Bau und Energie Graz überzeugt. Derzeit wird Oskar auf der Baustelle Sanierung Parlament im Auftrag der ARGE ÖBA Weco & Wendl sowie bei Abschnitten des ÖBB-Projektes Koralmbahn eingesetzt«, sagt Norbert Rabl, Sachverständiger und Entwickler der App.
Laut Strabag bekommt Sicherheit in der Unternehmenskultur zunehmend Gewicht. Die gesetzlichen Sicherheitsvorschriften regeln die Spielregeln am Bau bereits auf einem hohen Sicherheitsniveau; leider sind sie für den Bauarbeiter in der Praxis oft schwer zu verstehen und somit umzusetzen bzw. teilweise etwas zu starr geregelt. Diese Vielzahl an Anforderungen in die Köpfe der Leute zu bringen, sieht Jochen Berger, Leiter der Stabstelle Arbeitssicherheit, als Herausforderung.
Strabag berichtet von stabil fallenden Unfallzahlen und Ausfalltagen. Mit ein Grund sind sicherlich die Quartals-Sicherheitsschwerpunkte, aktuell zu den Themen Gerüst, Schalung, gefährliche Arbeitsstoffe und Gesundheitsschutz am Bau. In den letzten drei Jahren wurden an die 20 Sicherheitsthemen systematisch in die Fläche gebracht. Interne Safety Walks durch Führungskräfte, selbst entwickelte Apps zur Dokumentation von Begehungen sowie Sicherheitsbroschüren und Merkblätter ergänzen die konzernweite Sicherheitsstrategie. Überlegt wird zudem ein Drohneneinsatz bei Baustellen. In der internen Akademie wurden zum Sicherheitsthema 2018 3.300 Manntage an Schulungsleistung rund um Sicherheit erbracht. Arbeitssicherheit ist auch Thema der konzernweiten Kampagne 1>2>3 Entscheide Dich für Sicherheit. »Wir sind noch lange nicht am Ende, aber die ersten Schritte sind konkret gesetzt und funktionieren ausgezeichnet«, betont Berger. Eine Sicherheitsmaßnahme, die das Salzburger Unternehmen Ebster Bau entwickelt hat, ist das mitwachsende Fassadengerüst.
»2014 haben wir mit der Einführung vorauseilender oder mitwachsender Gerüstungen begonnen«, berichtet Baumeister Peter Ebster. Dabei wird das Baugerüst parallel zum Rohbau in die Höhe gezogen. Fortführende Arbeiten auf den Dächern und Balkonen wie Zimmerer-, Dachdecker und Spengler-, Abdichtungs- und Fassadenarbeiten oder Geländerherstellung können damit sicher durchgeführt werden. Anfallende Mehrkosten werden durch den Wegfall von Anmietungen für Arbeitsbühnen kompensiert, der Kran wird durch das Einhängen der Bühnen nicht aufgehalten, Treppentürme und Gerüst verkürzen Arbeitswege, Leiteraufstiege entfallen. Nicht alle Baustellen sind dafür aber geeignet. Je unregelmäßiger ein Baukörper ist, umso schwieriger wird die Umsetzung dieser Arbeitsweise.
Wechsel in die Steiermark: Hier hat Norbert Rabl mit seinem Team die App Oskar entwickelt, die die ungeliebte, weil zeitaufwendige Kommunikation am Bau fördert. »Früher waren analoge Fotos die Praxis. Oft hat es mehrere Tage gedauert, bis der Verantwortliche für die Beseitigung einer Gefahrenquelle gesorgt hat.« Mit der App Oskar wird etwa eine ausgebrochene Tür ohne Absicherung in höheren Etagen mit einem Foto dokumentiert, auf das Handy des Verantwortlichen übermittelt und dieser kann die Gefahrenquelle unmittelbar beseitigen.
Die Folgen
Investitionen in Arbeitssicherheit rechnen sich, wie viele Studien anhand des Return on Investment belegen. »Es fallen immer zusätzliche Kosten durch Produktivitätsausfall und Entgeltfortzahlung an«, betont Baumeister Michael Stvarnik, Vorsitzender des Ausschusses Arbeitssicherheit in der Geschäftsstelle Bau der WKÖ. Dazu Zahlen der AUVA: Ein Arbeitsunfall mit Aufwendungen für Ersatzbeschäftige, Überstunden, Heilungs- und Folgekosten kostet Unternehmen und Volkswirtschaft im Schnitt 27.000 EUR. »Das hat auf das Sicherheitsdenken jedoch manchmal keinen Einfluss. Das Überleben zählt, die Marktkonkurrenz muss preislich unterboten werden«, bemängelt Rabl, der seit 20 Jahren im Bereich Arbeitnehmerschutz am Bau arbeitet. Wer bei der Sicherheit am Bau spart, spare eindeutig am falschen Platz.
Sicherheitstipps
- Baufit ist eine Aktion der AUVA für mehr Sicherheit und Gesundheit in der Bauwirtschaft.
- Die Bauevaluierungssoftware ÖBEV unterstützt bei der Evaluierung von Gefahrensituationen wie bei der Festlegung von Maßnahmen zur Gefahrenverhütung.
- Der SiGePlan ist für alle Baustellen zu verfassen, für die eine Vorankündigung gem. BauK § 6 zu erstellen ist oder Arbeiten durchgeführt werden, die mit besonderen Gefahren gem. § 7 (2) verbunden sind.