Der Konjunkturmotor in der Baubranche läuft heuer auf Hochtouren, und während die einen sich über den Boom freuen, sehen andere bereits Überhitzungstendenzen. Fakt ist: Ob bei Zement, Betonfertigteilen oder Maschinen – überall ist aufgrund von vielen Hamsterkäufen ein Engpass zu spüren, und Entspannung ist weit und breit nicht in Sicht.
Die neueste Bedrohung für Österreichs Bauwirtschaft kommt aus Übersee: Die USA haben der freien Marktwirtschaft anscheinend den Kampf angesagt und drohen China und Europa mit Zöllen, protektionistischen Gesetzen und Importbeschränkungen. Die Folgen der Politik von US-Präsident Donald Trump werden Wirtschaftstreibende rund um den Globus spüren, sagt Nitesh Shah, Anlageexperte der Investmentgesellschaft Wisdom Tree: »Die USA scheinen einen Handelskrieg gegen den Rest der Welt führen zu wollen, was zu starken Störungen der Lieferketten sowie zu einem Anstieg der Rohstoffpreise infolge der zunehmenden Angebotsengpässe an den Zielmärkten führen wird. Wir gehen davon aus, dass es bei zahlreichen gehandelten Rohstoffen zu Angebotsstörungen kommen wird und rechnen wir bei den meisten Metallen mit Preisanstiegen.« Sprich: Durch Trumps Handelskrieg werden auch die Preise für Aluminium, Stahl und letzten Endes für Baumaschinen steigen – wer nicht rasch baut, wird also in Zukunft teurer bauen müssen, so der Anlageexperte.
Bild oben: »Wer nicht rasch baut, wird in Zukunft teurer bauen müssen«, ist Anlage-Experte Nitesh Shah von Wisdom Tree überzeugt. (Foto: Wisdom Tree)
Besonders ernst werden warnende Worte wie diese in Österreich genommen, wo die Baukosten bereits im Vorjahr einen Sprung nach oben gemacht haben: Die immer rascher steigenden Kosten lassen sich hierzulande immer schwieriger an die Kunden überwälzen – und eine Welt, in der nach den Personalkosten bedingt durch Trumps Handelskrieg auch die Materialkosten durch die Decke gehen und der Bauunternehmer auf diesen sitzen bleibt, klingt für viele nach einem Horrorszenario. Daher steigen sehr viele Unternehmen aufs Gas: Sie arbeiten Aufträge ab und peitschen Projekte durch, so lange es noch geht – frei nach der Devise »Augen zu und durch«. Überall in der Branche ist von Baufirmen zu hören, die Personal aufstocken, Baumaterial horten und gemietete Geräte vom Bagger bis hin zur Schalung lieber ungenutzt am Firmengelände herumstehen lassen als Gefahr zu laufen, beim nächsten Auftrag nicht rasch genug an diese heranzukommen.
Boom erzeugt Engpässe
Dass die meisten Bauunternehmen mit Aufträgen geradezu überhäuft werden, tut ein Übriges dazu, um die Engpässe am Markt zu verschärfen. Denn die Konjunktur läuft auf Hochtouren, das Wirtschaftswachstum soll heuer Experten zufolge deutlich über der 2-Prozent-Marke liegen und sowohl private als auch öffentliche Auftraggeber wollen vermehrt Projekte verwirklichen – nur um oft erleben zu müssen, dass diese bereits die vorhandenen Kapazitäten sprengen. Vor allem im Süden Deutschlands und in den wirtschaftsstarken Regionen Österreichs müssen bereits mehrere private Bauträger und Gemeinden geplante Bauprojekte auf Eis legen: In Bayern gibt es durch den Bauboom fast keine freie Mülldeponie mehr, in Zell am See verzögert sich der Bau eines neuen Seniorenheims und in Berndorf im Flachgau wird die Errichtung des neuen Abfallwirtschaftshofs wohl auf 2019 verschoben werden müssen – trotz eines bereits genehmigten Budgets von 700.000 Euro.
Bild oben: Quester-Chef René Rieder hat in fast allen Produktgruppen mit Lieferproblemen zu kämpfen. »Sogar beim Zement, der bisher als Massenartikel innerhalb weniger Tage geliefert wurde, kommt es zu Verzögerungen.« (Foto: Quester)
»Unser Planer sagt, dass man derzeit keine freien Kapazitäten bei Baufirmen findet«, sagt der Berndorfer Bürgermeister Josef Guggenbichler: »Bis November sind offenbar alle ausgebucht. In der Branche sind die Auftragsbücher voll, wenn man sich umhört, bestätigt sich das immer wieder. Diesen Boom sieht man auch bei uns in Berndorf: Wir hatten jetzt im Gemeindegebiet vier Baukräne gleichzeitig stehen. Gleiches gilt für den Grenzraum von Oberösterreich zu Salzburg. Auch dort wachsen und wachsen die Betriebe.«
Nicht nur Kräne und Baustellen gehören derzeit in ganz Österreich zum Stadtbild: Bei Hornbach, Lagerhaus oder Obi sind die Parkplätze selbst an den heißesten Tagen voll – ein Zeichen dafür, dass die Kunden keine Sommerpause machen und das Baugeschäft auf Hochtouren läuft. Auch René Rieder, Geschäftsführer Quester Baustoffhandel GmbH, kann die Berichte der anderen Marktteilnehmer über Hamsterkäufe und Engpässe bestätigen: »Diese Aussagen decken sich durchaus mit unseren Erfahrungen: Generell herrscht derzeit eine starke Nachfrage nach Rohbaumassenartikeln wie Bewehrungsstahl, Betonfertigteilen, Schalsteinen, Estrichplatten sowie Zement – und dementsprechend gibt es auch verzögerte Lieferzeiten«, sagt der Quester-Chef. »Im Bereich Baustahl kommt es vor allem bei Ringmaterial, das für Betonfertigteile benötigt wird, zu Engpässen. Eine andere Situation, die es bis dato in dieser Form noch nicht gab, betrifft die Betonfertigteile: Die Elemente für Wände und Decken haben aktuell eine Lieferzeit von mehreren Monaten bis zu einem halben Jahr. Und schließlich gibt es auch bei Zement, der bisher als Massenartikel innerhalb weniger Tage geliefert wurde, Probleme mit den Lieferzeiten.«
Nicht nur im Profi-Geschäft ist die Nachfrage derzeit stärker als sonst, auch Heimwerker und Häuslbauer sind aktiv: Besonders gut entwickeln sich bei Quester auch die Bereiche Garten- und Landschaftsbau, Tiefbau und Fliese. Dass 2018 ein Rekordjahr wird, erwartet Rieder dennoch nicht: In Österreich ist der Baustoffhandel verzögert in die Saison gestartet, was vor allem den extrem niedrigen Temperaturen im März geschuldet ist. »Insgesamt war das erste Halbjahr zwar positiv, von der Euphorie des Jahresanfangs ist man aber weit entfernt«, meint er.
Maßnahmen für bessere Planbarkeit
Auch Franz Josef Eder, Geschäftsführer Eder Systembau, erwartet nicht, dass die gestiegene Nachfrage automatisch Preiserhöhungen bringt und die Gewinne sprudeln lässt: »Manche Baufirmen sind derzeit sehr gut ausgelastet und können dadurch von sich aus höhere Preise verlangen«, sagt er. »Bei uns basiert das Geschäft auf langfristigen Partnerschaften, Preiserhöhungen von heute auf morgen gibt es bei uns nicht, obwohl wir bereits für Aufträge produzieren, die erst im Oktober akut werden und wir bis Ende September mehr als ausgelastet sind.«
Bild oben: »Wir sind in der gesamten Baubranche momentan auf dem Weg, unsere kompetenten und motivierten Mitarbeiter durch konstante Überlastung und chaotische Arbeitsbedingungen in andere Branchen zu treiben«, ist Franz Josef Eder, Geschäftsführer Eder Systembau, besorgt. (Foto: VOEB)
Eder stört an der derzeitigen Situation vor allem, dass das Geschäft durch die vielen Hamsterkäufe langfristig unkalkulierbar geworden ist und statt Planung in der gesamten Branche immer mehr Improvisation an der Tagesordnung ist: Früher hat ein Architekturbüro, ein Statiker oder eine Baufirma so viele Aufträge angenommen, wie auch tatsächlich fristgerecht abgearbeitet werden konnten; heute überbucht man sich um das Doppelte, um eventuelle Ausfälle bereits im Vorfeld zu kompensieren, erzählt er. In der Vergangenheit hat man aber auch eine Woche vorher angerufen, wenn man einen Kran für eine Montage wollte – derzeit sind die Kräne meistens schon drei Wochen vor dem geplanten Termin belegt, weil viele lieber die Kosten in Kauf nehmen und lange reservieren, als im Falle des Falles ohne Kran dazustehen.
Diese »Augen zu und durch«-Einstellung spürt Eder auch bei Aufträgen: »Die Kunden meinen: Produziert ihr die Betonfertigteile und wenn diese bei euch am Lager liegen, werden wir sie schon bekommen. Im Mai war unser Lager mit 200 Lkw-Ladungen an Teilen komplett voll.« Um die – letzten Endes für alle Beteiligten unbefriedigende – Situation zu ändern, Hamsterkäufen den Garaus zu machen und ein Comeback der Planbarkeit und der ernst zu nehmenden Liefertermine zu erwirken, hat der VÖB-Präsident im Sommer ein Rundschreiben an die Kunden verschickt, das eine Reihe von neuen Maßnahmen enthält. »Diese sollen nicht dazu dienen, Erlöse künstlich in die Höhe zu treiben, sondern allen am Bau Beteiligten den Weg in einen professionelleren Arbeitsalltag zu ermöglichen«, heißt es im Schreiben: »Wir sind in der gesamten Baubranche momentan auf dem Weg, unsere kompetenten und motivierten Mitarbeiter durch konstante Überlastung und chaotische Arbeitsbedingungen in andere Branchen zu treiben. Um dem hoffentlich noch rechtzeitig entgegenzuwirken, müssen wir jetzt gemeinsam Maßnahmen setzen.«
Denn ob Baustoffproduzent, Lieferant, Händler oder Baufirma, für alle gilt die Devise: Auf jeden Boom folgt eine Talsohle. Langfristigen Erfolg haben nur diejenigen, die sich auch darauf einstellen können, dass die Zeiten auch wieder magerer werden können – ob mit oder ohne Einwirkungen aus Übersee.