Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report zieht Matthias Wohlgemuth, Vergaberechtsexperte der Geschäftsstelle Bau in der Wirtschaftskammer und Geschäftsführer der Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs (VIBÖ), eine differenzierte Bilanz über die praktischen Auswirkungen des Bestbieterprinzips. Er erklärt aber auch, warum es nicht zwingend als Misserfolg gesehen werden muss, dass der Billigste nur in den seltensten Fällen den Zuschlag nicht bekommt, und an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um die anvisierten Ziele auch in der Praxis zu erreichen. Außerdem verrät er, welche Zuschlagskriterien aus seiner Sicht am sinnvollsten sind. So viel sei verraten: Die Verlängerung der Gewährleistung ist nicht dabei ...
Report: Seit etwas mehr als zwei Jahren ist das Bestbieterprinzip für öffentliche Auftraggeber ab einer zu erwartenden Auftragssumme von einer Million Euro verpflichtend. Dieses Bestbieterprinzip war ein großes Anliegen der Bau-Sozialpartner. Als Vergaberechtsexperte der Geschäftsstelle Bau, wie fällt Ihr bisheriges Fazit aus?
Matthias Wohlgemuth: Bei der Bewertung einer Maßnahme geht es immer um das Ziel, das erreicht werden soll. Mit dem Bestbieterprinzip will der Gesetzgeber weg vom Preis als alleiniges Entscheidungskriterium für große öffentliche Bauaufträge. Ob das erreicht wurde, kann man sicher diskutieren. Aber auch wenn die Quote an Umreihungen vielleicht gering ist, muss man das Thema differenzierter betrachten. Denn es fehlt immer der Vergleich, wie das gleiche Projekt und die Angebote ausgesehen hätten, wenn es nicht nach dem Bestbieterprinzip ausgeschrieben worden wäre.
Report: Wie lautet Ihre qualifizierte Einschätzung?
Wohlgemuth: Nur durch das Bestbieterprinzip in seiner jetzigen Form scheint man nicht vom reinen Preiswettbewerb weggekommen zu sein. Die Frage ist, ob es am Bestbieterprinzip selbst oder daran liegt, wie es gelebt wird. Aus meiner Sicht ist es eher Zweiteres. Es kommt natürlich sehr stark auf die gewählten Qualitätskriterien an. Diese müssen sinnvoll für das Projekt sein und dem Auftraggeber einen Mehrwert bringen. Lediglich die Gewährleistung zu verlängern, hat weder für das Projekt noch für den Auftraggeber großartig positive Auswirkungen.
Eine Verkürzung der Bauzeit und damit verbunden eine frühere Inbetriebnahme beispielsweise kann sich für den Auftraggeber sehr wohl rechnen und lässt sich somit auch monetarisieren. Diese für das Projekt richtigen Kriterien zu identifizieren und entsprechend zu gewichten ist aber eine äußerst komplexe Angelegenheit und stellt sicher den einen oder anderen Auftraggeber vor große Probleme. Die Komplexität trifft aber natürlich auch die Auftragnehmer, die sämtliche Leistungen nicht nur berechnen, sondern auch nachweisen müssen. Das ist alles sehr aufwendig, aber damit steht und fällt das Bestbieterprinzip.
Report: Die aktuelle Umfrage des Bau & Immobilien Report unter öffentlichen Auftragnehmern zeigt, dass es nur in Ausnahmefällen zu einem Bietersturz kommt und nicht der billigste Auftraggeber zum Zug kommt. Kritiker sehen das Bestbieterprinzip deshalb als »zahnlosen Papiertiger«, der Vergaben ohne positive Auswirkungen unnötig verkompliziert. Können Sie diese Kritik nachvollziehen oder anders gefragt: Wie interpretieren Sie das weitgehende Fehlen dieser Umreihungen?
Wohlgemuth: Die fehlenden Umreihungen können bedeuten, dass die Gewichtung zu gering ist und deshalb keine Auswirkungen hat. Das wäre natürlich schlecht. Es kann aber auch bedeuten, dass die Unternehmen die Ausschreibungen genauer prüfen und die Angebote besser darauf abstimmen, weil sie eben wissen, dass der niedrigste Preis alleine nicht mehr ausreicht.
Report: Aber gibt es nicht immer irgendeinen, der trotzdem nur auf den Preis schaut und durch die geringe Gewichtung der Zuschlagskriterien einen uneinholbaren Vorteil hat?
Wohlgemuth: Wir werden das nie abschließend verifizieren können. Aber ich denke schon, dass in vielen Fällen der Bestbieter auch der Billigstbieter ist, weil er sich am intensivsten mit Ausschreibung und Angebot auseinandergesetzt hat.
Report: Denken Sie, dass die Auftraggeber durch das Bestbieterprinzip auch verstärkt Plausibilitätsprüfungen durchführen?
Wohlgemuth: Da sind wir beim Thema der vertieften Angebotsprüfung. Ich denke, dass vor allem die großen Auftraggeber das sehr routiniert und ordentlich machen. In der Fläche kann es aber schon sein, dass Auftraggeber damit überfordert sind.
Da gibt es auch das Problem, dass wir durchaus Ideen und Vorschläge für diese Preisangemessenheitsprüfungen gehabt hätten, aber weil sie von Wirtschaftsseite gekommen sind, wurden sie nicht gehört.
Report: Welche Ideen wären das?
Wohlgemuth: Etwa, dass man ab einem gewissen Preisabstand zwischen Erstem und Zweiten oder zwischen dem Ersten und dem Durchschnitt entsprechend vertieft geprüft werden muss. Da gibt es Ausarbeitungen, die wir jederzeit auf den Tisch legen können.
Report: Sie haben jetzt schon öfter die Frage der Gewichtung angesprochen. Welches Verhältnis von Preis und Zuschlagskriterien wäre aus Ihrer Sicht zielführend?
Wohlgemuth: Es gibt da verschiedene Denkschulen. Die einen sagen, sie wenden das gesetzlich vorgeschriebene Bestbieterprinzip an und definieren einen gewissen Prozentsatz für die Zuschlagskriterien. Andere, und dem kann man durchaus etwas abgewinnen, versuchen, die Kriterien zu monetarisieren. Und wenn dem Auftraggeber die Kriterien nicht mehr wert sind, dann ist es eben so. Aber die ganze Diskussion greift in diesem Punkt ohnehin zu kurz. Ich kann auch 90 % preisfremd definieren und trotzdem eine Billigstbieterausschreibung machen, wenn die 90 % von jedem Anbieter erfüllt werden. Die Frage der Gewichtung ist zwar ein wichtiger Aspekt, aber nicht der einzige.
Es ist einfach die Frage, wie viel Gehirnschmalz der Auftraggeber vor der Ausschreibung investiert und definiert, welche Kriterien sinnvoll sind und was ihm diese wert sind. Damit kann man einen echten Wettbewerb schaffen.
Report: Wird das aus Ihrer Sicht in der Praxis so gehandhabt?
Wohlgemuth: Ich habe den Eindruck, dass das vor allem bei den Projekten gemacht wird, wo man rasch einen unmittelbaren Mehrwert einzelner Kriterien sieht, wie etwa eine um zwei Wochen frühere Verkehrsfreigabe. Viele sagen aber auch, dass die Qualitäten ohnehin klar definiert sind. Wenn dann eine frühere Fertigstellung auch keinen unmittelbaren Mehrwert bringt und auch soziale Kriterien keine Rolle spielen, dann wird es natürlich schwierig. Viele wollen sich das auch einfach nicht antun.
Report: Was sind aus Ihrer Sicht projektunabhängig die wichtigsten und sinnvollsten Qualitätskriterien? Besonders beliebt scheint die Verlängerung der Gewährleistungspflicht zu sein.
Wohlgemuth: Das ist tatsächlich ein sehr beliebtes Kriterium der Auftraggeber, weil es relativ einfach ist und viele glauben, dass dadurch die Qualität auch tatsächlich steigt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Unternehmen deswegen besser arbeiten, weil die Gewährleistung von drei auf fünf Jahre verlängert wird. Es handelt sich ja nicht um eine Garantie, es geht um den Moment der Übergabe. Was mir oft berichtet wird, ist, dass Kriterien, die dazu führen, dass man sich genauer mit dem Bauablauf auseinandersetzt und hier ein Optimierungspotenzial findet, sehr positive Auswirkungen auf ein Projekt haben.
Es lohnt sich aber auf jeden Fall ein Blick in die mittlerweile zahlreichen Kataloge, die verschiedene Kriterien anführen und dabei auch nach Auftraggeber und Art des Projekts unterscheiden.
Report: Vor der Einführung des Bestbieterprinzips herrschte große Sorge vor einer drohenden Einspruchsflut. Was hat die Realität gebracht?
Wohlgemuth: Das ist überhaupt nicht passiert. Das kann man ganz klar sagen. Einsprüche gegen bestimmte Kriterien sind mir gar keine bekannt, mit einer Ausnahme und diesen haben wir als VIBÖ selbst gemacht (lacht). Dabei ging es um vergaberechtswidrige Zuschlagskriterien, die nicht auftragsbezogen waren.
Es gibt also definitiv keinen Mehraufwand für die Gerichte, für die Anwälte möglicherweise schon, weil sie den ganzen Vergabeprozess administrieren müssen. Ganz sicher einen Mehraufwand bedeutet das Bestbieterprinzip aber für Auftraggeber und Auftragnehmer.
Report: Wie genau kontrollieren die Auftraggeber aus Ihrer Erfahrung die von den Unternehmen angeführte Erfüllung der Zuschlagskriterien?
Wohlgemuth: Es ist richtig, das Bestbieterprinzip muss mit Kontrolle verknüpft sein, sonst ist jedes Kriterium ein reiner Papiertiger. Das ist auch nicht immer einfach. Bei den meisten Ausschreibungen sind die Zuschlagskriterien mit Pönalisierungen verbunden, das heißt für mich, dass vermutlich auch entsprechend kontrolliert wird. Von diesbezüglichen Streitigkeiten, die zu Schadenersatz geführt hätten, ist mir nichts bekannt. Wird nicht kontrolliert, kann das natürlich auch zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. Denn dann gewinnt derjenige, der einfach alles ankreuzt.
Report: Wie empfindlich fallen diese Pönale aus? Es ist ja nicht damit zu rechnen, dass einem Auftraggnehmer, der ein Kriterium zwar angeführt hat, aber in der Praxis nicht erfüllt, der Auftrag wieder weggenommen wird. Besteht nicht die Gefahr, dass Unternehmen billigend in Kauf nehmen, beim Schummeln erwischt zu werden?
Wohlgemuth: Wenn man den Mehrwert eines Zuschlagskriteriums im Vorfeld monetarisiert hat, kann man es auch relativ einfach pönalisieren, eventuell sogar mit einem Multiplikator. Die Asfinag etwa pönalisiert den monetarisierten Mehrwert mit dem Faktor 1,5. Damit macht man den Unternehmen das Schummeln sehr unattraktiv.
Report: Wo sollte man aus Ihrer Sicht noch nachschärfen, um das Bestbieterprinzip effektiver zu machen?
Wohlgemuth: Auch da geht es immer um die Ziele, die der Gesetzgeber verfolgt. Das erste Ziel war, weg vom reinen Preiswettbewerb zu kommen. Ob das wirklich gelungen ist, kann man wie gesagt diskutieren.
Ein wichtiges Anliegen der Sozialpartner war immer auch, mit dem Bestbieterprinzip die Spreu vom Weizen zu trennen. Das hat das Bestbieterprinzip in seiner jetzigen Form aber nicht geschafft. Deshalb ist ja auch Kritik laut geworden. Man wird sich also überlegen müssen, ob es nicht bessere Instrumente gibt. Da muss man einfach bei den Eignungskriterien noch mehr machen, als das jetzt der Fall ist. Da gibt es von unserer Seite auch zahlreiche Überlegungen in Richtung verpflichtender Eignungskriterien, wie etwa mehr auf das Mindestrating zu schauen oder ein positives Eigenkapital oder einen Mindestumsatz zu fordern. Aber als Wirtschaft haben wir beim Vergaberecht leider immer das Problem, dass wir bergauf spielen.
Report: Sie spielen bergauf?
Wohlgemuth: Ja, es ist so. Die Institutionen, die das Gesetz formulieren und beschließen, sind ja selbst öffentliche Auftraggeber. Der Input der Wirtschaft ist da leider oft sehr schwer unterzubringen.