Donnerstag, Juli 04, 2024

Der Brexit beschäftigt auch viele Unternehmen der heimischen Bauwirtschaft, die in Großbritannien aktiv sind. Die zentralen Themen sind die Volatilität des Wechselkurses, die ungewisse Nachfrageentwicklung sowie ein drohender Facharbeitermangel. Wirklich gewiss ist aktuell nur, dass alles noch recht ungewiss ist.

Großbritannien ist für Österreichs Wirtschaft nicht der wichtigste, aber auch kein unbedeutender Markt. 2016 erreichte das österreichische Exportvolumen knapp sechs Milliarden Euro. Großbritannien belegt damit unter Österreichs Exportzielländern den achten Rang. Auch zahlreiche Unternehmen aus der österreichischen Bauwirtschaft sind in Großbritannien aktiv, viele mit eigenen Niederlassungen oder Töchtern wie Wienerberger, Waagner Biro oder Kirchdorfer, aber auch reine Exporteure wie Binderholz oder Rubble Master sind darunter.
 
Die Stimmung unter den vor Ort ansässigen Unternehmen beschreibt der österreichische Wirtschaftsdelegierte in London, Christian Kesberg, mit »unbehaglich, aber gelassen«. Das bestätigt auch Palfinger-Konzernsprecher Hannes Roither. »Es gab zwar in der zweiten Jahreshälfte im Großbritanniengeschäft einen leichten Rückgang, aber nichts Dramatisches. Aktuell ist Abwarten angesagt, beunruhigt sind wir nicht.« Sorgen bereitet Roither lediglich die Vorstellung, dass die negative Stimmung auf Europa überschwappen könnte. »Das wäre dann ein großes Problem.« Unbestritten ist, dass der Brexit Auswirkungen auf die wirtschaftliche Dynamik haben wird. »Nimmt man Dynamik raus, sinkt auch auch das Wachstums- und Nachfragepotenzial«, so Kesberg. Unmittelbar nach dem Referendum wurden erst mal viele Aufträge auf Eis gelegt. Die Verunsicherung, die viele Unternehmen erfasst hat, wird auch Einfluss auf das Investitionsverhalten haben. Das wird auch zu Verzögerung bei Bauprojekten führen, bestätigt Waagner-Biro-Vorstand Thomas Jost. »Speziell bei Banken und Versicherungen, den zwei gro­ßen Treibern von Immobilienprojekten in der City of London, ist eine Unsicherheit deutlich zu spüren. Niemand weiß, wie es weitergehen wird und welche Rolle der Finanzplatz nach dem Brexit spielen wird.«

Unberechenbarer Kurs
Wie sich der Austritt Großbritanniens aus der EU tatsächlich auswirken wird, ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen. »Während der Verhandlungen und bis zur Scheidung bringt der Brexit jedenfalls ein erhöhtes Maß an Unsicherheit«, weiß Elisabeth Christen, Außenhandelsexpertin beim Wifo. Laut Christen muss mit höheren Kosten und steigender Komplexität durch unterschiedliche Regulierungen zwischen UK und der EU gerechnet werden. »Auch ein erhöhter steuerrechtlicher Mehraufwand, etwa durch Mitarbeiterentsendungen, Verrechnungspreise und Unternehmensbesteuerung, ist wahrscheinlich und mögliche tarifäre Handelshemmnisse wie Zölle könnten die Exportchancen österreichischer Unternehmen zusätzlich reduzieren«, so Christen.

Bereits jetzt stellt die starke Abwertung des Pfunds ein Problem dar. Selbst bei Wienerberger, wo zwar vor Ort produziert wird und die lokale Wertschöpfung enorm hoch ist, räumt man ein, dass »die Währungsturbulenzen rund um das Pfund für uns unerfreuliche Folgen hatten«. Schlimmer trifft der Wertverlust des Pfunds naturgemäß jene Unternehmen, die nicht vor Ort produzieren. Der Vorteil vieler österreichischer Unternehmen aus der Bauwirtschaft, die nach Großbritannien exportieren, ist, dass sie wie Binderholz oder Rubble Master in Nischen mit wenig oder keiner britischen Konkurrenz tätig sind. »Die Mitbewerber, die es am britischen Markt gibt, haben mit denselben Problemen zu kämpfen. Insofern sind die Auswirkungen gering«, erklärt Kesberg. Das bestätigt auch Rubble-Master-Geschäftsführer Gerald Hanisch, der etwaige negative Entwicklungen durch den Kursverfall aber nicht ausschließen kann. »Deswegen ist auch teilweise eine Währungsabsicherung notwendig geworden.« Noch unangenehmer als die aktuelle Abwertung ist für die Unternehmen laut Kesberg die Volatilität. »Die Unvorhersehbarkeit der Kursentwicklung macht die Planungsprozesse enorm schwierig.«

Fehlendes Know-how
Neben der Volatilität des Wechselkurses und der ungewissen Nachfrageentwicklung ist es vor allem das fehlende Fachpersonal, das Unternehmen in Zukunft Kopfzerbrechen bereiten könnte. »Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein wesentliches Wahlkampfthema war, ist auch zu erwarten, dass der grenzüberschreitende Mitarbeitereinsatz eingeschränkt oder verkompliziert werden könnte«, erklärt Wifo-Experte Michael Klien. Auch bei der Anerkennung von Qualifikationsnachweisen sind Änderungen nicht ausgeschlossen. Speziell im Baubereich ist aufgrund eines hohen Anteils an Beschäftigten aus anderen EU-Ländern deshalb ein Mangel an qualifiziertem Personal möglich. Das sieht auch Waagner-Biro-Chef Jost so: »Mögliche künftige Zugangsbeschränkungen für Fachkräfte könnten ein Problem darstellen. Denn ohne Zuzug aus den EU-Staaten könnte es in Großbritannien eng werden.« 

Fazit
Der Brexit wird die Aktivitäten heimischer Unternehmen in Großbritannien nicht völlig auf den Kopf stellen. Sowohl Kesberg als auch Klien sehen aus heutiger Sicht ein erweitertes, vertieftes Freihandelsabkommen als wahrscheinlichstes Szenario. Darin könnten dann auch die Fragen des grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsatzes sowie die Anerkennung von Qualifizierungsnachweisen geregelt werden. Im schlimmsten Fall wird Großbritannien zum Drittland. Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien wären dann laut Kesberg ähnlich wie mit den USA: »Dort gelten unsere Normen und Standards nicht, wir können keine Mitarbeiter entsenden, es gibt Zölle und man muss sich um Schutzrechte kümmern. Aber das funktioniert ja auch.«

Porr-CEO Karl-Heinz Strauss: »Der Brexit wird aus heutiger Sicht keine Auswirkungen auf unsere Tätigkeit in Großbritannien haben. Zudem können wir unsere Aktivitäten ohne großen Aufwand nach Fertigstellung des laufenden Projekts beenden bzw. umgekehrt auch ausbauen.«


Brexit: Was es zu beachten gilt
Trotz der derzeit noch herrschenden Ungewissheit über die konkreten Auswirkungen des Brexit gibt es laut den Wifo-Experten Michael Klien und Elisabeth Christen eine Reihe von Themen, welche in Großbritannien tätige Unternehmen im Auge behalten sollten: »Derzeit werden auch konzerninterne Beziehungen durch EU-Richtlinien begünstigt. Im Bereich Außenhandel müssten beispielsweise Lieferungen sowie unternehmensinterne Warenbewegungen nach Großbritannien zollrechtlich gemeldet werden, und sind nicht mehr sog. innergemeinschaftliche Lieferungen. Nach britischem Recht gegründete Unternehmensformen könnten nach dem Brexit nicht mehr ohne Weiteres anerkannt werden und eine Umorganisation, z.B. auf GmbH, erfordern. Der grenzüberschreitende Mitarbeitereinsatz könnte eingeschränkt werden und auch bei der Anerkennung von Qualifikationsnachweisen sind Änderungen nicht ausgeschlossen. In Summe gilt für Unternehmen, die sich in UK engagieren möchten oder bereits tätig sind, dass im Zuge des Brexit fachkundige Beratung erforderlich und ratsam sein wird.«


O-Ton: Eine Frage der Risikoeinschätzung - Thomas Edl, Geschäftsführung Delta Bloc UK Ltd, im Kurzinterview

Report: Die Kirchdorfer Gruppe ist seit 2010 mit der Tochtergesellschaft DELTA BLOC UK Ltd. am britischen Markt vertreten. Sind schon jetzt Auswirkungen des Brexit spürbar?


Thomas Edl:
Derzeit wühlt das schwache Pfund die britische Wirtschaft gehörig auf. Viele Unternehmen treffen bereits Vorkehrungen und durchspielen mögliche Szenarien, um die eigene Handlungsfähigkeit zu sichern. Auf der einen Seite müssen wir als international tätiges Unternehmen immer mit Währungsschwankungen unterschiedlicher Ausprägungsformen rechnen. Manche Märkte sind hier eben stabiler – andere dynamischer. Dies ist eine Sache der richtigen Risikoeinschätzung. Langfristig wird der Brexit aus unserer derzeitigen Sicht keinen spürbaren Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens haben.

Report: Wie bereitet sich die Kirchdorfer Gruppe konkret auf den Brexit vor?

Edl: Eines steht fest: Der Brexit wird den Lauf der britischen Geschichte verändern. Die möglichen Auswirkungen auf die Investition der britischen Regierung in den Infrastrukturbereich werden von uns mit Argusaugen verfolgt. Glücklicherweise scheint es aktuell noch keine Veränderungen in der Normenlandschaft zu geben. Die Devise lautet: beobachten und abwarten.

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