Montag, Dezember 30, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Univ.-Prof. Christoph M. Achammer, CEO ATP architekten ingenieure, über digitale Zwillinge, überforderte Bauherren und das mittelfristige Ziel, die Baustelle zum Montageplatz zu machen. Und er erklärt, warum die Ausführungsplanung mit der Vergabe beendet sein muss.

Report: In einem Videostatement als Impuls für die Podiumsdiskussion bei der vom Bau & Immobilien Report veranstalteten Enquete »Chance Hochbau« meinten Sie, dass, während sich in der Anlagen- und Autoindustrie die Produktivität in wenigen Jahrzehnten verdoppelt hat, in der Bauwirtschaft seit 25 Jahren keine wesentlichen Fortschritte erkennbar sind. Woran liegt das?

Christoph Achammer:
Das Hauptproblem ist, dass das Bauen von Hochbauten bislang nicht der industriellen Serienfertigung entsprochen hat. Wir bauen de facto fast ausschließlich Prototypen. Es war eine willkommene Ausrede, dass für Prototypen die Prozesse nicht industriell organisierbar waren. Das gilt heute aber nicht mehr. Industrie 4.0 ist per definitionem industrielle Fertigung ab der Losgröße 1. Das ist der Türöffner für die industrielle Fertigung von Prototypen.


Report: Ist dieser Wandel bereits spürbar?


Achammer:
Absolut. Das geht in einem rasenden Tempo. Da wird in der Bauindustrie kein Stein auf dem anderen bleiben. Das beginnt wie in der Autoindustrie bei der Schnittstelle zwischen Planung und Procurement, der Verbindung zwischen Design und Bestellung. Das ist zwar noch nicht ganz in der Realität angekommen, diese Veränderungen werden aber in Quartalsschritten sichtbar sein.
Report: Wer sind die Vorreiter dieser Entwicklung?
Achammer: Die Vorreiter sehe ich vor allem im Bereich der Planung. Das sind diejenigen, die sich dafür entscheiden, parallel zum realen Projekt einen digitalen Zwilling zu entwickeln. Auch in der Baumaterialherstellung sieht man enorme Bewegungen, vor allem in der Holz- und Leichtbauindustrie. Das sind all diejenigen, die dazu beitragen können, die Baustelle zur Montagestelle werden zu lassen.


Report: Sind die Bauunternehmen bereit, sich zum Monteur degradieren zu lassen?


Achammer:
Degradieren würde ich nicht sagen, es ist vielmehr eine Weiterentwicklung zum industriellen Produzenten. Im mehrgeschoßigen Wohnbau werden verstärkt vorgefertigte Elemente zum Einsatz kommen, die auch schon haustechnische Teile integriert haben. Da ist die Planung enorm wichtig. Man geht nicht mehr in ein fertiges Gebäude und macht die Löcher, wo man sie braucht.


Report: Damit sind wir beim Thema Building Information Modeling. Laut unserer Umfrage unter 137 Architekten ist BIM aber nach wie vor ein Minderheitenprogramm. Nur für rund 17 % der Architekten spielt BIM eine »sehr große« oder »eher große« Rolle. Worauf führen Sie das zurück?


Achammer:
Das hat aus meiner Sicht drei Gründe. Zum einen erfordert BIM im Designprozess einen integralen Ansatz. Darauf ist ein Großteil der Architekturbüros nicht vorbereitet. Das zweite große Hindernis sind die derzeit noch fehlenden gemeinsamen Definitionsplattformen. Und das dritte Problem ist, dass sich die Softwareindustrie über den Content keinerlei Gedanken macht.
Ich bin aber dennoch optimistisch, was die Zukunft anbelangt. Wir haben etwa im letzten Jahr für das gesamte Gebäudemodell eine international taugliche Standardisierung entwickelt, die wir über eine eigene »BIMpedia Website« öffentlich zugänglich machen.
 

Report: Wer muss in die Pflicht genommen werden, um BIM auch in Österreich voranzubringen?


Achammer:
Ganz klar der Bauherr. BIM ist ja kein Selbstzweck. In Wirklichkeit muss doch jeder verantwortungsvolle Bauherr die enormen Potenziale von BIM zur Verbesserung seines Projekts einfordern. Und so kompliziert, wie oftmals getan wird, ist das Thema ja auch nicht. Wenn ich einem Bauherren erkläre, dass wir ein Gebäude eben nicht über unzählige »Geheimdokumente« im Planungs-, Errichtungs- und Betriebsprozess darstellen, sondern mit einem einzigen digitalen Zwilling von der ersten Planungsphase bis zum Betrieb, dann versteht das jeder.


Report: Aber sind die Bauherren auch dazu bereit, die dafür in der Planungsphase notwendige zusätzliche Zeit zur Verfügung zu stellen?


Achammer:
Ich glaube schon. Wir sehen aber in der eigenen Praxis, dass es gar nicht notwendig ist, länger zu planen. Integrale Planung bedeutet, dass Architekten, Haustechniker und Tragwerksplaner gemeinsam ein Haus entwerfen. In der aktuellen Praxis ist es so, dass die Architekten die Beiträge der Tragwerksplaner und Haustechniker in die Pläne eintragen. Das hat dazu geführt, dass ein Gutteil der Architekten zu Fachingenieuren für Gestaltung und die Projektsteuerer zu den eigentlichen Prozessführern des Planungsprozesses geworden sind. Damit haben wir heute die absurde Situation, dass der Bauherr als Projektleiter überfordert ist und keiner mit der Prozessführung der Planung beauftragt ist. Der überforderte Bauherr hat dann einen Berater in Form des Prozesssteuerers. Und diese Stabsstelle soll den Planungs- und Errichtungsprozess führen. Das muss ja schief gehen.  


Report: Ist BIM die große Chance, die Rolle des Architekten wieder aufzuwerten?


Achammer:
Ja. Allerdings nur, wenn der Architekt die Prozessführung der Planung wahrnehmen will. Bei uns im Haus hat auch manchmal der Tragwerksplaner die Prozessführung der Planung. Für ein komplexes Laborgebäude kann auch ein in integraler Planung geschulter Haustechniker das Sagen haben. Aber prinzipiell gilt schon, dass die Architekten prädestiniert wären, die Prozessführung der Planung zu übernehmen.


Report: Würden Sie unterschreiben, dass BIM nicht in erster Linie eine technische Herausforderung ist, sondern eine Frage der Kultur?


Achammer:
Das sehe ich auch so. BIM ist eine Methode. Wenn man gemeinsam in einer Datenbank ein Haus entwickelt, baut und betreibt, dann erfordert das eine  neue Art des Zusammenarbeitens. Bauingenieure und Architekten müssen erst wieder eine gemeinsame Sprache lernen.


Report: Gibt es noch weitere Belege für diesen Kulturwandel?


Achammer:
Wenn wir die Ausführungsplanung übernehmen, dann endet die Ausführungsplanung gewerkspezifisch mit der Vergabe. Nach der Vergabe kommen keine neuen Inhalte mehr. Es muss jedem klar sein, dass mit der Vergabe ein Leistungsversprechen abgegeben wird, dass auf dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Planstand aufbaut. Jeder neue Planstand unterliegt der gutachterlichen Bewertung, ob es sich um eine Vertiefung des vertraglichen Inhalts handelt oder eine Veränderung. Ist es eine Veränderung, habe ich einen Claim. Das ist die gelebte Praxis. Aber das kann ja keiner wollen. In Zukunft wird ein Gebäude bei der Vergabe vollständig definiert sein müssen. Das ist natürlich eine Herausforderung für Architekten und Bauherren. Aber damit wird auch die Unsitte aufhören, dass Unternehmen dank eines hohen Nachtragspotenzials extrem unterpreisig anbieten.

Report: Fehlt in vielen Fällen nicht das Know-how auf Auftraggeberseite?

Achammer:
Auf jeden Fall. Nehmen wir große öffentliche Bauprojekte wie das Krankenhaus-Nord, den Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie in Hamburg. Da werden Unsummen versenkt. Die werden aber nicht veruntreut, sondern es wird »verdummt«. Da werden Prozesse angestoßen, die für ein Projekt völlig irrelevant sind. Bei der Elbphilharmonie wurden für Controllings, Prozesssteuerung und die juristische Begleitung über 100 Millionen Euro ausgegeben.

Report: Abschließende Frage: Wie kann die Produktivität der Bauwirtschaft erhöht werden?

Achammer:
Ich würde jedem empfehlen, sich jeden einzelnen Teilprozess genau anzusehen und auf potenzielle Verschwendung hin zu untersuchen. Jeder Prozess muss dahingehend hinterfragt werden, ob er dazu beiträgt, das Produkt, also das Gebäude, besser zu machen.

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