Donnerstag, Juli 04, 2024

Über den hohen Stellenwert des Themas »Leistbares Wohnen« herrscht auch in der Politik Einigkeit, allerdings nicht darüber, wie man dieses Ziel erreicht. Mithilfe eines Simulationsmodells hat Kreutzer Fischer & Partner nun die preisbezogenen Auswirkungen zweier unterschiedlicher Ansätze untersucht. Fazit: »Steigende Wohnbauproduktion« schlägt »Mietobergrenze« –und zwar deutlich.

Von Andreas Kreutzer

Auch wenn die Flüchtlingskrise die Schlagzeilen dominiert, das Thema »Leistbares Wohnen« bleibt weiter auf der politischen Agenda. In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 stiegen die Wohnungsmieten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund drei Prozent. Das ist fünfmal schneller als die Verbraucherpreise insgesamt. Dabei feierte die Arbeiterkammer noch im März dieses Jahres, dass die die Altbaumieten (Richtwertmieten) sowie jene für Wiener Gemeindebauten für heuer eingefroren werden. Doch offenbar hatte das keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der Mietpreise insgesamt. Und das aus gutem Grund. Denn die Richtwertmieten betreffen österreichweit nur rund 150.000 Wohnungen. Das sind etwa zehn Prozent aller Mietwohnungen oder vier Prozent des gesamten Wohnungs- und Eigenheimbestandes. Bei  allen anderen Mietwohnungen schoben auch heuer Indexierung sowie die freie Preisbildung die Mieten signifikant an. Insofern stellt sich die Frage, durch welche Maßnahmen der Preisauftrieb bei den Mieten tatsächlich gebremst werden könnte.

Glossar

Unter Mietobergrenze  versteht man eine gesetzliche Maßnahme, um das Ansteigen der Mietpreise einzudämmen und so ein leistbares Wohnen zu ermöglichen. Basis der Mietobergrenze ist der örtliche Mietpreisspiegel. Bei Neu- oder Weitervermietungen  darf dann die vereinbarte Miete den ortsüblichen Mietpreis  nur bis zu einem begrenzten Prozentsatz übersteigen.

Im Rahmen der Studie »Perspektiven für den Wiener Wohnbau« hat Kreutzer Fischer & Partner mittels Simulationsmodell zwei in Diskussion stehende Ansätze evaluiert. Untersucht wurden zum einen die preisbezogenen Auswirkungen einer lokalen Mietobergrenze, zum anderen die Folgen einer stark steigenden Wohnbauproduktion. Die Simulation fand vor dem Hintergrund eines hoch durchlässigen Wiener Wohnungsmarktes statt. Denn anders als in anderen Städten – wie etwa Berlin – ist der Wiener Markt für Wohnraum lokal kaum abgeschottet. Leichte Wechselbarrieren gibt es lediglich zwischen den Segmenten innerer Gürtel vs. äußerer Gürtel bzw. zwischen rechtem und linkem Donauufer (»Transdanubien«).

Zudem wirken sich Erosionen des Mietpreises in einem Preissegment mittelfristig auf alle anderen Preissegmente aus, weil es dadurch zur Verschiebung der Nachfrage kommt. Wenn etwa das mittlere Preissegment  günstiger wird, kommt eine verstärk­te Nachfrage sowohl aus dem unteren als auch aus dem oberen Preissegment, weil sich im mittleren Preissegment eben das Preisleistungsverhältnis verbessert. Kurzum, Mietpreisveränderungen folgen dem Prinzip der kommunizierenden Gefäße.

Obergrenze wirkt nur kurzfristig

Das Ergebnis der Simulation zeigt, dass die Mietobergrenze kaum und nur zeitlich begrenzt zu einer Eindämmung des Mietpreisauftriebs führt. Hingegen kommt es bei einer deutlich angehobenen Wohnbauproduktion bereits nach drei Jahren zu einer signifikanten Absenkung der

Mietpreise zwischen fünf und acht Prozent, nach fünf Jahren sinken die Mietpreise um mehr als zehn Prozent.
Die Knackpunkte der Mietobergrenze liegen im Detail: Abgesehen von der Bewertung der Wohnungsqualität ist auch die Frage der örtlichen Abgrenzung eine Herausforderung, zumal eine Segmentierung nur auf Bezirksebene wohl kaum die tatsächlichen Lebensverhältnisse vor Ort widerspiegelt. So ist etwa im 18. Wiener Gemeindebezirk eine Lage in Gürtelnähe oder westlich der Währinger Straße anders zu bewerten als im Cottage, in Gersthof oder in Pötzleinsdorf. Nicht zuletzt diese Komplexität führt in der Praxis zu einer Aushöhlung der ursprünglichen Intention.  In der Simulation sind nur kurz nach der Einführung leichte preismindernde Effekte feststellbar. Bereits im zweiten Jahr stabilisiert sich der Preisauftrieb wieder auf vergleichsweise hohem Niveau.

Deutlich stärkere Effekte bringt eine Anhebung der Wohnbauproduktion, zumal die rasch steigenden Mieten am freien Markt im Wesentlichen auf einen Umstand zurückzuführen sind: ein nicht ausreichendes Angebot. So werden etwa in Wien im Durchschnitt täglich nur 0,8 % des Wohnungsbestandes zur Neuvermietung angeboten. Übers Jahr gerechnet lag die Leerstandsrate bei Wohnungen im Jahr 2015 bei lediglich 2,2 Prozent. Das ist eindeutig zu wenig, um Druck auf die Mietpreise auszuüben. Aus dem Bereich der Gewerbeimmobilien ist bekannt, dass eine Preiserosion einen  Leerstand von zumindest sechs Prozent benötigt. Tatsächlich halten sich am Wohnungsmarkt aber Angebot und Nachfrage nahezu die Waage.

20.000 günstige Wohnungen

Im Ansatz wurde der Hebel »Wohnbauproduktion« auch bereits erkannt. Im Jahr 2015 wurden in Wien 11.230 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern neu bewilligt, nach jeweils rund 9.300 Wohneinheiten in den Jahren 2014 und 2013. Und im ersten Quartal 2016 erhöhte sich die Anzahl der Neubewilligungen für den Geschoßwohnbau sogar um 60 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Hochgerechnet aufs Gesamtjahr könnten heuer möglicherweise 13.000 Neubewilligungen erzielt werden. Doch auch das ist noch deutlich zu wenig. Um den beschriebenen, mietpreissenkenden Effekt zu erzielen, müssten in den nächs­ten fünf Jahren jährlich zumindest 20.000 Wohneinheiten zu Bedingungen des geförderten Wohnbaus errichtet werden. Etwa 8.000 bis 9.000 Wohnungen werden pro Jahr für den steigenden Bedarf benö­tigt.  Mit weiteren 12.000 Wohnungen jährlich wird die Leerstandsrate um jeweils zwei Prozentpunkte p.a. angehoben. Bereits nach drei  Jahren wird damit ein Leerstand von mehr als sechs Prozent erreicht, wodurch die Mieten automatisch sinken.

Chance Industrialisierung

Der preissenkende Effekt einer Überproduktion könnte durch eine weitere Industrialisierung des Geschoßwohnbaus zusätzlich verstärkt werden. Denn nach wie vor überwiegt im Wiener Wohnbau die »Prototypen-Produktion«. Praktisch jedes Gebäude wird extra geplant und nur einmal errichtet, obgleich damit kein Mehrwert erzielt wird, weder hinsichtlich der architektonischen Qualität noch der Convenience  der Wohnungsnutzer. Sehr wohl führt diese handwerkliche Art des Wohnbaus aber zu deutlich höheren Kos­ten. Ein Vergleich: Während derzeit die Baukosten im geförderten mehrgeschoßigen Wohnbau bei knapp 1.400 Euro pro Quadratmeter liegen, könnten in industrieller Bauweise, bei Losgrößen ab 14 Gebäuden pro Planung,  die Kosten auf unter 1.000 Euro pro Quadratmeter gedrückt werden.  Der Aufwand würde also um circa 30 Prozent sinken, die Mieten wohl um ein Fünftel. In Summe werden in Wien pro Jahr rund 500 neue Geschoßwohnbauten errichtet. Selbst wenn von jedem neuen Wohnhaus 20 »Klone« gebaut werden, würde die architektonische Vielfalt wohl nicht wirklich leiden.

Um die Wohnbauproduktion auf den errechneten Zielwert zu heben,  bedarf es aber immenser Anstrengungen vonseiten der öffentlichen Hand. Dabei geht es nicht alleine um die Wohnbauförderungen, sondern auch um neue Wege der Grundstücksbereitstellung (Stichwort: Baurechtgründe) oder die Neudefinition der Bauträgerwettbewerbe. Zudem müsste die Stadt Wien Vorsorge dafür treffen, dass der zu erwartende Rückgang bei den freifinanzierten Neuerrichtungen durch umso mehr geförderte Wohnungen kompensiert wird. Dabei handelt es sich immerhin um rund 40 % des jährlichen Wohnbauvolumens. Ob der Handlungsspielraum der Stadtpolitik das alles zulässt, wird sich zeigen – und damit auch, ob das Primat der Politik wirklich existiert.


Zum Autor

Andreas Kreutzer: ist Geschäftsführer der Kreutzer Fischer & Partner Consulting GmbH, einem führenden Marktforschungsinstitut im Bereich »Bauen & Wohnen«.

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